Psychische Belastungen bei Klinikärzten Zwischen Idealismus und Wirtschaftlichkeit gefangen

Das Gesundheitswesen hat einen tiefgehenden Wandel hinter sich. Die Folge ist, dass Professionen mitunter einem inneren Konflikt ausgesetzt sind, der sich auf die Zufriedenheit, Gesundheit und das Handeln gegenüber Patienten sowie Kollegen auswirken kann. Wie äußert sich dieser und welche Gegenmaßnahmen können ergriffen werden?Abbildung: die verschiedenen Konfliktebenen.Die Arbeit von Klinikärzten – wie auch von vielen anderen engagierten Berufsgruppen im Gesundheitswesen – ist gekennzeichnet durch lange Arbeitszeiten, Schichtdienste, starkem Zeitdruck und einer Tätigkeit, die hohe Konzentration und Aufmerksamkeit erfordert. Zudem geht ihre Tätigkeit mit hohen kognitiven und psychosozialen Belastungen einher (vgl. BAUA 2015). Diese Belastungen haben Folgen: So ist die Suizidrate unter Ärzten laut einer Hamburger Langzeitstudie (2007 bis 2014) im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung (12,5 Prozent) deutlich erhöht (20,9 Prozent). Bei männlichen Ärzten beträgt sie sogar 25,0 Prozent. Als primäre Ursachen wurden Depressionen eruiert (vgl. Naumovska 2015). Die Prävalenz von Depressionen und depressiven Symptomatiken bei Ärzten liegt laut einer Metaanalyse der Harvard Medical School bei durchschnittlich 28,8 Prozent (Varianz je nach Instrumentarium zwischen 20,9 Prozent und 43,2 Prozent) (vgl. Mata et al. 2015). Da gerade Berufsgruppen mit starkem Personenbezug sowie hohem Termin- und Zeitdruck trotz einer Erkrankung zur Arbeit gehen (vgl. Lohmann-Haislah 2012), könnten diese Werte erst die Spitze des Eisberges sein. Innere Konflikte als UrsacheWo liegt die Ursache? Das Gesundheitswesen ist durch politische Steuerungsversuche gekennzeichnet. Budgetierung und Begrenzung der Gesundheitsausgaben bringen für Ärzte einen tiefgreifenden Wandel der Berufsrealität mit sich (vgl. Marckmann & Strech 2010, Gothe et al. 2007). Ärzte sind gezwungen, ihre Entscheidungen über die Therapie ihres Patienten nicht mehr allein aus treuhänderischer Loyalität gegenüber dem Patienten heraus zu treffen (vgl. Kühn 2006, Mackmann & Strech 2010). Vielmehr müssen sie ökonomische Überlegungen mit einbeziehen. Dieser Wandel führt zu einem Wertekonflikt in der Berufsrolle (vgl. Mackmann & Strech 2010). Ressourcenrestriktion und die Einschränkung der Handlungsspielräume wirken sich negativ auf die Arbeitszufriedenheit aus (vgl. Gothe et al. 2007). Allein 69 Prozent der Ärzte geben laut Monitor des Marburger Bundes (MB; n = 3.895) an, dass ihnen nicht genug Zeit für die Behandlung der Patienten zu Verfügung steht. 70 Prozent der Ärzte fühlen sich durch die ökonomischen Erwartungen ihres Arbeitgebers in der Ausführung ihrer Tätigkeit beeinträchtigt (vgl. Marburger Bund 2015). Anonyme und mitunter subjektive Bewertungen vor der breiten Öffentlichkeit in Arzt- und Klinikbewertungsportalen können den psychischen Druck verstärken. Diese Reaktanz und das nicht Erfüllen der gesellschaftlichen Rollenanforderung – zum bestmöglichen Wohl des Patienten zu handeln (vgl. Wiesing 2013), führt zu einer Unstimmigkeit in der eigenen Rolle. Gerade Klinikärzte sehen sich in einer Realität, in der das, was sie moralisch erachten, nicht in der Praxis umgesetzt wird (vgl. Kühn 2006). Knesebeck et al. (2010) haben in einer bundesweiten Befragung von hauptamtlichen Klinikärzten in der Chirurgie und Gynäkologe (n = 1.311) erhoben, dass 25 Prozent der Ärzte unter einer Gratifikationskrise leiden, bei der ein Gefühl des Ungleichgewichtes zwischen Engagement und Anerkennung vorliegt (vgl. Hofmeister et al. 2010). Liegt zwischen den subjektiven Wertevorstellungen und der eigenen Handlung eine starke und andauernde Diskrepanz vor, fühlt der Arzt eine moralische Dissonanz. Ein interpersoneller Rollenkonflikt entsteht (vgl. Kühn 2016). Negative Folgen über die eigenen Grenzen hinausDie Folgen dieses inneren Konfliktes gehen über die persönlichen Grenzen hinaus. Denn auf der interpersonellen Ebene können Rollenkonflikte dazu führen, dass die Grundsätze der eigenen ärztlichen Berufsethik in Frage gestellt werden (vgl. Siegrist 2012). Berufe, die einem ständigen emotionalen Druck ausgesetzt sind, führen häufig in eine psychische Ermüdungen (vgl. BAUA 2011). So verwundert es nicht, dass im Fehlzeitenreport 2016 in der Branche Gesundheits- und Sozialwesen F43 „Reaktion aus schwere Belastung und Anpassungsstörung“ zu den zehn häufigsten Einzeldiagnosen zählt (vgl. Badura et. al 2016). Andauernde, unangenehme Umstände sind die primären und ausschlaggebenden Entstehungsfaktoren (vgl. ICD-10 2016). In der Studie von Knesebeck et al. (2010) gaben 80 Prozent der Ärzte an, dass sie sich durch die berufliche Beanspruchung den persönlichen Interessen nicht mehr zuwenden können. Gerade bei Frauen wirkt sich die berufliche Beanspruchung negativ auf das Privatleben aus (vgl. Knesenbeck et al. 2010). Die Gesundheit und die Arbeitszufriedenheit des Arztes haben jedoch auch Auswirkungen auf die Arzt-Patienten-Beziehung (vgl. Gothe et al. 2007). So gaben knapp die Hälfe der befragten Ärzte an, dass durch die Überarbeitung die Patientenversorgung beeinträchtigt ist (vgl. Knesenbeck et al. 2010). Das Wohlbefinden des Arztes steht damit im direkten Zusammenhang mit der Qualität der Patientenversorgung (vgl. Knesenbeck et al. 2010). Eine weitere Auswirkung stellt die Überlegung dar, den Beruf ganz aufgeben oder ins Ausland abwandern zu wollen (vgl. Knesenbeck et al. 2010). Laut dem MB-Monitor erwägen 46 Prozent der Ärzte, ihre bestehende Stelle aufzugeben (vgl. Marburger Bund 2015). Ein Wert, der nicht nur im Hinblick auf den Fachkräftemangel beunruhigend ist, sondern weitreichende Folgen mit sich bringt, da Menschen, die beruflich unzufrieden sind, diesen Beruf auch nicht weiterempfehlen. Die Unzufriedenheit wirkt sich zudem auch auf die Zusammenarbeit innerhalb des Teams aus. 62 Prozent des Pflegepersonals (n = 3.885) fehlt es an Wertschätzung seitens ihrer ärztlichen Kollegen. Solche Konflikte zwischen Ärzten und den Pflegekräften wirken wiederum psychisch belastend (vgl. Hibbeler 2011). Anzumerken ist, dass sich viele Studien oft auf die berufliche Gesamtzufriedenheit und Belastung ohne die differenzierte Betrachtung von Teilaspekten der Berufsausübung von Ärzten beziehen. Allerdings müssen aufgrund der gravierenden Auswirkungen die alarmierenden Signale bei Ärzten wie auch bei anderen Berufsgruppen des Gesundheitswesens ernst genommen werden. Raus aus dem DilemmaDa systemisch nicht mit einer Abkehr der Ökonomisierung im Gesundheitswesen zu rechnen ist, sollten geeignete Präventionsmaßnahmen im Umgang mit unterschiedlichen intra- und interpersonellen Konflikten im Klinikalltag vorangetrieben werden. Die Basis für zielgruppenspezifische Maßnahmen stellen psychische Gefährdungsbeurteilungen in Kliniken dar. Wie viele Kliniken allerdings der seit Ende 2013 im Arbeitsschutzgesetz § 5 verankerten gesetzlichen Forderung nachkommen, darüber herrscht keine Transparenz. Das Gefährdungsbarometer 2016 (n = 108; 14 Prozent Gesundheit und Sozialarbeit) kommt bundesweit auf 38 Prozent Unternehmen (vgl. Eo.Institut 2015), eine von der Fachzeitschrift „Personalwirtschaft“ initiierte Erhebung auf nur 35,5 Prozent (n = 398) der Unternehmen im Mittelstand (vgl. TK, Fürstenberg Institut, IAS 2015). Hier scheint es Handlungsbedarf zu geben. Anzumerken bleibt darüber hinaus, dass Präventionsinterventionen insbesondere dann fruchtbar sind, wenn sie neben einem fachlichen Input die gegenseitigen Sichtweisen und Probleme offenlegen, die Wertschätzung und das Rollenverständnis füreinander steigern sowie die Beteiligten auf das gemeinsame Ziel der „Patientenorientierung“ vereinen.

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