KKC-Kolumne Wie Pandemieverläufe modelliert werden

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Modellierungen wollen mit mathematischen Modellen eine möglichst präzise Vorhersage von Geschehnissen erreichen, indem sie mithilfe von Zeitreihen und statistischen Kennzahlen den weiteren Verlauf von Abläufen prognostizieren.

Mit der Auswertung und Visualisierung der Gesundheitsdaten will das RKI epidemiologische und pandemische Zusammenhänge sichtbar machen. – © ETAJOE (stock.adobe.com)

Schon zu Beginn früherer Pandemien haben mathematische Modelle des Infektionsgeschehens eine enorme Wirkung entfaltet. Dies beruht nicht zuletzt darauf, dass Modellieren schon seit Jahrzehnten recht erfolgreich ist, z.B. beim Wetterbericht mit einer mittleren Treffsicherheit von 70 Prozent.

Im Prinzip arbeitet eine Modellierung mit einer Rückkopplungsschleife. Ein Realmodell wird in ein mathematisches Modell überführt, oft in Form von Differenzialgleichungen. Aus den gemessenen und geschätzten Werten wird dann ein Modellergebnis berechnet und mit den Realitätsbedingungen verglichen. Zur Optimierung wird das Realmodell immer wieder modifiziert und die Simulation so lange angepasst, bis ein realitätsnahes Ergebnis vorliegt.

Bereits eine Woche nach der WHO-Einstufung des Covid-19-Ausbruchs zu einer globalen Pandemie am 20. März 2020 publizierte das Robert Koch-Institut (RKI) eine Modellierung von Corona-Szenarien. Darin versuchten die Mathematiker auf der Grundlage von chinesischen Daten und Annahmen die Wirkung von drei Maßnahmen auf die Belastung des Gesundheitswesens abzuschätzen: die Isolation erkrankter Menschen, die Quarantäne von Kontaktpersonen sowie die Kontaktreduktion in der Gesamtbevölkerung. Dabei wurde von einer Verdopplungsrate des Erregers ausgegangen. Die Folgen sind bekannt: Noch im März wurden alle größeren Veranstaltungen abgesagt, eine Woche später schlossen alle Schulen, Kindergärten und Kitas. Ab 23. März galt bundesweit ein umfangreiches Kontaktverbot.

Modellierungen arbeiten mit idealen, isolierten Gemeinschaften in homogenen Populationen. Die Realität spielt sich allerdings in einer dynamisch-komplexen globalen Welt ab. Daher ist wegen der oft unzureichenden Datenlage eine gesunde Skepsis angesichts statistischer Hochrechnungen angesagt, da sie weder vom Status quo noch von künftigen Entwicklungen ein gänzlich verlässliches, realitätsgenaues Bild entwerfen können. Das Versagen von Modellierungsstudien zeigte sich bei früheren Epidemien: Bei der Schweinegrippe in Großbritannien wurden 3.100 bis 65.000 Todesfälle prognostiziert, tatsächlich waren es 457. An der Rinder-BSE-Seuche starben 177 statt der vorhergesagten 150.000 Menschen.

Einen Überblick im Kampf gegen Corona zu behalten, ist selbst für große Forschergruppen angesichts von bis zu 2.000 Studien pro Woche kaum noch möglich, zumal sogenannte Pre-Print-Server unzählige Studien ohne jede fachliche Bewertung und ohne ein Peer-Review-Verfahren öffentlich zugänglich machen. Die Fehlschläge der Modellierungen in den letzten Jahren haben aber zu einer Fülle neuer Erkenntnisse geführt, die nun in die Prognosen der Omikron-Infektionswelle eingeflossen sind. Das Verhalten von bewusst ungeimpften Personen, der Wegfall von vielen Schutzmaßnahmen, der hohe Anteil von bislang nur einfach geimpften bzw. mittlerweile geboosteten Menschen stellt neue Herausforderungen an die Modellierung. Aber die zunehmend verbesserte Datenbasis aus anderen Ländern und der weltweite intensive Austausch führen zu neuen Vorhersagen, deren Eintreffen nun in den nächsten Monaten beurteilt werden kann.

KI in der Modellierung

Das RKI hat im November 2021 Dr. Katharina Ladewig zur Direktorin des neu gegründeten Zentrums für Künstliche Intelligenz (KI) in der Public-Health-Forschung (ZKI-PH) in Wildau berufen. Mit der Auswertung und Visualisierung der Gesundheitsdaten will das RKI bisher unbekannte epidemiologische und pandemische Zusammenhänge sichtbar machen.

Kontakt zum Autor

Manfred Kindler, Präsident des Krankenhaus-Kommunikations-Centrums e.V. (KKC), m.kindler@kkc.info