Nach der Meinung der Buchautorin und Kulturhistorikerin Elinor Cleghorn beeinflussen Sexismus, Mythen und Fehldiagnosen die Medizin bis heute. Wie es dazu kam und wie sich die Benachteiligung von Frauen bei medizinischen Behandlungen bis heute äußert, beschreibt die Autorin in ihrem Buch ,,Die kranke Frau“.

Die Mehrheit der Menschen mit Autoimmunerkrankungen ist weiblich. Cleghorn selbst erkrankte vor Jahren an der Autoimmunerkrankung Lupus erythematodes. Erst nach Jahren und unzähligen Arztbesuchen wurde die Erkrankung diagnostiziert. In ihrem Buch nimmt sie uns mit auf eine Reise durch die vergangenen Jahrhunderte bis in die Gegenwart, in der Frauen von der Medizin benachteiligt werden und zeigt damit auf, dass ihre Leidensgeschichte kein Einzelfall war.
Unter dem Deckmantel der Medizin
Das Werk von Cleghorn ist zudem ein kleiner Ausflug in die Medizingeschichte, der zeigt wie seit Jahrhunderten die Medizin von Männern dominiert wird. Das Buch ist dabei in drei Zeitspannen gegliedert in der Cleghorn anhand diverser Quellen darlegt, wie Mythen und Misogynie historisch gewachsen sind und bis heute zu Fehldiagnosen bei Frauen führen:
- Vom antiken Griechenland bis ins 19. Jahrhundert
- Vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1940er-Jahre
- Von 1945 bis in die Gegenwart
Die Autorin zeigt auf, wie auch nach der Professionalisierung der Medizin als Folge des Aufkommens der Wissenschaft die medizinische Benachteiligung von Frauen weiterging. Für Frauen hatte es nicht nur einen Nachteil, dass Ärzte kranke Frauen zumeist nicht ernst genommen haben. Hinzu kamen misogyne Vorurteile von Seiten der Ärzte über Frauen und ihre Körper. Männer wollten in der Medizin – so die Autorin – oft Macht über die Körper von Frauen ausüben – mit fatalen Folgen.
Ein Blick in die Medizin der Nachkriegszeit
Zwischen den 1940er und 50er-Jahren etablierte sich in Kliniken und psychiatrischen Einrichtungen in den USA und Europa die Lobotomie. Die Lobotomie war eine Art Trend. Bei dieser Operation werden die Nervenbahnen zwischen Thalamus und Frontallappen sowie Teile der grauen Substanz durchtrennt. Cleghorn beschreibt, dass insbesondere bei Frauen, die ihren Ärzten von seelischen und emotionalen Problemen erzählten, die Lobotomie zum Einsatz kam. Frauen galten als geheilt, wenn sie nach der Operation emotionslos den Anweisungen ihrer Ehemänner folgten. Der Großteil der Frauen verstarb während der Operation sowie an den Spätfolgen. Des Weiteren nahmen sich unzählige Frauen nach der Lobotomie das Leben.
Auch heute bestimmten die historisch gewachsenen Mythen um Frauen und ihre Körper die Medizin, wenngleich es in vielen Bereichen Fortschritte gibt. Akute und chronische „Frauenkrankheiten“ werden nicht mehr als sogenannte „Hysterie“ von der Ärzteschaft abgetan. Dennoch gibt es gerade bei Indikationen wie Autoimmunerkrankung, die vermehrt Frauen treffen, noch viel Forschungsbedarf. Rund vier Prozent der Weltbevölkerung haben Autoimmunerkrankungen. Betroffen von Autoimmunerkrankungen sind in fast 80 Prozent der Fälle Frauen.
Die kranke Frau
Elinor Cleghorn (2022) Die kranke Frau. Köln: Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KG .