Fachkräftemangel und Personalentwicklung
In der Pflege fehlen Fachkräfte. Das ist nicht erst seit Corona ein Problem. Doch was ist die Lösung? Eine Klinik in der Allgäuer Gemeinde Pfronten setzt auf kürzere Arbeitszeiten.

Gute Gemeinschaft, tolles Team, familiäres Ambiente, Fortbildungen. In Stellenanzeigen versuchen sich Krankenhäuser möglichen sich bewerbenden Personen von der besten Seite darzustellen. Im Wettbewerb um gut ausgebildete Pflegekräfte setzt die St. Vinzenz-Klinik im Ostallgäuer Pfronten auf Handfestes: die 36 Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. 150 Mitarbeitende profitieren von dem neuen Modell.
In puncto Fachkräftemangel leiden Krankenhäuser schon lange; und auch kleinen Häusern in ländlichen Regionen, wie der St. Vinzenz-Klinik, geht es da nicht besser. Für Dirk Kuschmann, den Geschäftsführer der Pfrontener Klinik ist klar, dass von den Häusern ein Signal an die möglichen Bewerbenden kommen muss: „Ich muss mich als Arbeitgeber ein Stück weit attraktiv machen, vielleicht auch etwas attraktiver als andere Kliniken hier in der Region“, sagt Kuschmann im Interview mit HCM.
Klinik trägt finanzielles Risiko selbst
Die Klinik geht in die Offensive und in Vorleistung, denn das finanzielle Risiko trägt das Haus selbst. „Wir machen das jetzt, wir starten damit. Auch mit dem Risiko, dass es in dem Maße nicht refinanziert wird, wie wir uns das aber natürlich erhoffen“, sagt Kuschmann. Die Pflegepersonalkosten sind aus den Fallpauschalen (DRG) ausgegliedert und werden von den Kassen erstattet. Wie viel von den Krankenkassen übernommen wird, ist Gegenstand der Budgetverhandlungen. Unabhängig davon, sieht Kuschmann positiv in die Zukunft, denn die Alternativen wären allesamt teurer.
Mehrkosten durch externes Pflegepersonal
Denn was von den Kassen nicht übernommen wird, sind Mehrkosten für Pflegende von Zeitarbeitsfirmen. „Wenn ich nichts mache, muss ich eventuell auf externe Kräfte zurückgreifen. Die sind nicht in den Abläufen drin, wie die hauseigenen Mitarbeitenden und kosten zudem deutlich mehr. Perspektivisch gesehen, ist es wirtschaftlicher, wenn es gelingt, die freien Stellen regulär zu besetzen“, erklärt Kuschmann den Vorstoß der Pfrontener Klinik.
Momentan gibt es fünf freie Stellen im Bereich der Pflege. Durch die neue Stundenregelung kommen noch einmal fünf dazu. Die möchte man so schnell wie möglich besetzen. Dazu ist in naher Zukunft eine Marketingkampagne geplant. „Wir haben regional schon einiges gemacht und über die sozialen Medien kommuniziert, da war das Echo durchweg positiv“, sagt Angela Kolleck, die für Marketing und Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. Einige Bewerbungen seien daraufhin schon eingegangen. Jetzt soll noch mehr geworben werden.
Bis zu 24 freie Tage mehr pro Jahr
Die neue Arbeitszeitregel soll nicht nur für neue Bewerbungen sorgen, sondern auch die bestehenden Mitarbeitenden entlasten. Der hausinterne Tarif gilt seit dem 1. April 2021. Davor haben Pflegende 37,5 Stunden in der Woche gearbeitet, vor rund fünf Jahren waren es einmal 40. Indem die Arbeitszeit verkürzt wird, es aber bei acht Stunden-Schichten bleibt, gewinnen die Mitarbeitenden zusätzliche freie Tage. Vor allem für langjährige Mitarbeitende der St. Vinzenz Klinik ist das eine spürbare Verbesserung: So hat eine Vollzeitkraft – im Vergleich zur 40-Stunden-Woche – heute rund 24 freie Tage mehr pro Jahr zur Verfügung. „Das kommt der Work-Life-Balance zugute“, sagt Pflegedienstleiter Ludwig Fischer .
Er hatte zusätzlich noch auf einen zweiten Effekt gehofft, nämlich, dass Teilzeitkräfte wieder aufstocken. Das ist bisher kaum eingetreten, was für ihn ein Beleg dafür ist, wie wichtig den Mitarbeitenden in der Pflege die Freizeit ist. Anders herum ist die Zahl derjenigen, die von einer Vollzeitstelle reduzieren deutlich zurückgegangen: „Die Reduzierungsanträge sind auf ein sehr niedriges Niveau gesunken, das war vorher anders. Da haben viele auf 90 oder 80 Prozent reduziert, um auf ungefähr 36 Stunden zu kommen“, erzählt Fischer.
Überstunden gehören den Angestellten
Sollte es doch zu Überstunden kommen, werden sie vergütet. Markus Schmid, Betriebsratsvorsitzender bei St. Vinzenz, sagt dazu: „Wenn ich Überstunden mache, dann kann ich sie mir auszahlen lassen, die kann ich mal freinehmen und sie gehören mir und nicht mehr dem Chef.“ Sollte jemand spontan den Dienst einer Kollegin oder eines Kollegen übernehmen müssen, wird auch das finanziell ausgeglichen.
Auch für potenzielle neue Pflegekräfte, die für den neuen Job ins Allgäu umziehen, gibt es viel Unterstützung: So hilft die Klinik neuen Mitarbeitenden Wohnraum zu finden und bietet einen Mietkostenzuschuss in den ersten sechs Monaten an. Auch in einem neuen Wohngebiet in der Nähe, will die Klinik neuen Kolleginnen und Kollegen Wohnraum zur Verfügung stellen.
Die Idee haben Kuschmann und Fischer aus Österreich mitgebracht: In einer Klinik in Tirol arbeiten die Pflegekräfte 36 Stunden pro Woche, einige Pflegekräfte arbeiten durch flexible Arbeitszeitmodelle neun Stunden am Tag. Daraus ergibt sich für sie eine Viertagewoche – auch attraktiv und vielleicht als nächster Schritt denkbar.