Entscheidungen in Stresssituationen treffen Was Führungskräfte von der Luftfahrt lernen können

„Lead like a pilot“: Die vergangenen beiden Jahre haben Führungskräfte immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt – Coronamaßnahmen, Lieferengpässe, Inflation. Dabei gilt es stetig, Entscheidungen in Ausnahme- und Stresssituationen zu treffen und zu kommunizieren. Und das mit klarem Kopf und Weitblick. Was Führungskräfte im Gesundheitswesen diesbezüglich von der Luftfahrt lernen können und, wie ein Training im Flugsimulator dabei helfen kann, lesen Sie im Folgenden.

Flugsimulator fürs Gesundheitswesen
Seminarteilnehmende im Flugsimulator trainieren Entscheidungsfindung in Stresssituationen. – © Peter Flume

„Der Tunnelblick ist oft die erste Stressreaktion“, weiß Rhetoriktrainer Peter Flume. Dadurch werden falsche Entscheidungen getroffen. „Wenn sich Führungskräfte nur auf einen Aspekt konzentrieren, können sie keine fundierten Beschlüsse unter Abwägung aller Fakten fassen“, fügt der Nürtinger hinzu. Wie Krisenmanagement funktionieren kann, zeigt die Luftfahrt: Turbulenzen, schreiende Passagiere, unbekannte Flugplätze und immer neue Anweisungen über den Funk. Wenn es in der Luft brenzlig wird, sind Piloten und Pilotinnen geschult, mit einem kühlen Kopf die Maschine sicher zu landen. „Das alles geht nur durch jahrelanges Training und Vorbereitung auf Extremsituationen“, sagt der Trainer.

„Führungskräfte sollten immer Ausnahmeszenarien und passende Lösungen parat haben“

Die Situation lasse sich auf Führungskräfte im Gesundheitswesen übertragen. Auch hier kann Vorbereitung der entscheidende Faktor zum Steuern aus der Krise sein. „Führungskräfte sollten immer mögliche Ausnahmeszenarien und passende Lösungen parat haben“, rät Flume. So komme es erst gar nicht zum Tunnelblick. In Stresssituationen können Entscheidungstragende dann lediglich die Rahmenbedingungen ihrer Krisenpläne überprüfen und Einzelheiten anpassen. Flumes Tipp: Notfallpläne und Checklisten können durch die Krise leiten, wenn der Kopf vor lauter Panik ausschaltet.  

Als Führungskraft überlegt Entscheidungen treffen

In Extremsituationen gilt es abzuwägen, welche Konsequenzen eine Entscheidung oder eben auch ein Nicht-Handeln nach sich ziehen. Als sich Flume 2019 mit einem Motorausfall seiner Propellermaschine in der Luft befindet, bleiben ihm nur wenige Optionen: Eine direkte Notlandung auf ungewissem Untergrund in Verlängerung seiner Flugbahn oder der Versuch einer sicheren Notlandung am Züricher Flughafen mit professioneller Hilfe nur wenige Minuten entfernt. Innerhalb von Sekunden entscheidet er sich für die Umkehrkurve zum Flughafen und rettet so sein Leben. Auch im Gesundheitswesen eilen Lösungen in Krisenzeiten. Führungskräfte müssen also abwägen:

  • Wer profitiert von meiner Entscheidung?
  • Wer kommt zu Schaden?
  • Welche Kosten zieht das Ganze hinter sich her und auf welche rechtlichen und journalistischen Folgen muss ich mich einstellen?

Führungskräfte und Kommunikation: Teamwork makes the dream work

Das Gute ist, dass keine Führungskraft alleine dasteht. Jeder Führungstragende verfügt über ein qualifiziertes Team. Den Motorenausfall seiner Maschine hat Flume durch sein langjähriges Training und ständige Weiterbildung souverän gemeistert. „Die kritische Phase habe ich aber nicht alleine bewältigt“, erinnert Flume. Nachdem er seine Situation an das Terminal weitergegeben hatte, musste er sich nicht weiter um Details kümmern. So wurde der Flugverkehr kurzerhand für ihn gestoppt und auf dem Landefeld wartete schon das Notfallteam. Jeder kannte seine Aufgabe und nur so hat die ganze Aktion reibungslos und ohne größere Schäden ablaufen können. „Jeder Mitarbeitende sollte nicht nur die Notfallpläne kennen, sondern auch seine Aufgabe in der Situation – ganz nach dem Motto ‚Teamwork makes the dream work‘ kann man dann gemeinsam alles meistern“, sagt Flume.

Dafür ist jedoch Kommunikation ausschlaggebend. Führungskräfte müssen laut des Experten alle Ressourcen wahrnehmen, hören und miteinbeziehen können, um fundierte Entscheidungen zu treffen. „Auch heißt es: Ego aus und Reflektion an“, weiß Flume. Ein zwingender Punkt sei es, bei der Entscheidung immer Freiraum zum Revidieren zu lassen. „Bei der Hudson-Landung konnte der Pilot schließlich auch nur die richtige Entscheidung treffen, da er flexibel auf die neuen Herausforderungen reagiert und seine Pläne angepasst hat.“ Intensive Kommunikation in kurzen Intervallen und Offenheit für andere Lösungsansätze haben im Hudson-Fall alle unbeschadet aus der Krise kommen lassen – so kann das auch im Alltag von Führungskräften aussehen.

Zum Weiterlesen

Lernen von der Luftfahrt für Herausforderungen im Gesundheitswesen: Ein Thema das HCM schon lange begleitet und immer wieder neu mit Experteninterviews und Recherchen begleitet. Nützliche ergänzende Informationen mit Take-aways für den eigenen Berufsalltag in Krankenhaus oder Pflegeeinrichtung geben folgende Beiträge:

  • Das Antibiotikum für die Medizin: Human Factors
    Dieser Beitrag berichtet über die BG Kliniken (Klinikverbund der gesetzlichen Unfallversicherung gGmbH), der seit 2017 mit Lufthansa Aviation Training kooperiert.
  • Vom „Fehler Eins“ zur psychologischen Sicherheit
    In diesem Beitrag hat HCM-Chefredakteurin Bianca Flachenecker mit Eckhard Jann, Flugkapitän, leitender Sicherheitsmanager in der Luftfahrtbranche gesprochen. Er erklärt wie der „Fehler Eins“ mit dem richtigen Fehlermanagement in Healthcare-Einrichtungen gefunden werden kann.

Entscheidungen richtig kommunizieren

Als Flume Kontakt mit dem Tower aufgenommen hatte, war v.a. die saubere Kommunikation der entscheidende Faktor für seine sichere Landung. „Meine klare Ansage an den Controller, wie die Notlandung abzulaufen hat, half dabei, das Flugzeug sicher und unbeschädigt im Gleitflug zu landen“, sagt der Nürtinger rückblickend. Auch im Gesundheitswesen können schnelle Entscheidungen über Leben oder Tod entscheiden. Deutliche Ansagen und direkte Aufgabenverteilungen sind also der Schlüssel zum erfolgreichen Meistern. Das bedeutet: Bestimmende Aussagen, keine Floskeln und immer eine Rückmeldung beim Team einholen, ob jeder die Vorgehensweise verstanden hat.

„Auf die dabei möglicherweise entstehenden Befindlichkeiten und Wünsche der Mitarbeiter sollten Führungskräfte ebenfalls reagieren.“ So hat Flume nach seinem persönlichen Hudson-Moment den Kontakt mit der Fluglotsin gesucht, um sich für die perfekte Zusammenarbeit zu bedanken. „Denn ohne das Team ist selbst die qualifizierteste Führungskraft hilflos bei Krisen“, sagt Flume.  

Persönliche Resilienz als Führungskraft trainieren

„Krisenpläne helfen natürlich, einen kühlen Kopf zu bewahren. Aber auch eine persönliche Stressresistenz der Führungskraft ist gefragt“, weiß Flume. Und diese Resilienz kann trainiert werden. So zeigt der Rhetoriktrainer beispielsweise Führungskräften in seinen Seminaren, was die eigenen Stressmuster sind und, wo sie an sich selbst arbeiten können – und das alles in einem Flugsimulator. „Dabei werfe ich Teilnehmende ins kalte Wasser und lasse sie wichtige Entscheidungen im Cockpit treffen“, sagt Flume. Anschließend geht der Seminargeber gemeinsam in die Entscheidungsanalyse mit den Teilnehmenden, findet individuelle Lösungen für Stressreaktionen und bereitet somit auf Extremsituationen im beruflichen Alltag vor.

Was Flume seinen Teilnehmern zusätzlich an Wissen mitgibt: Führungskräfte sollten sich so organisieren, dass sie für Extremfälle noch genug Energie haben und leistungsfähig sind. Regelmäßige Pausen, Routineaufgaben zu delegieren und Unwichtiges fernzuhalten, können die Kräfte der Führungsperson schonen. „Nur, wer mit dem Kopf und der Kraft hundertprozentig da ist, kann gemeinsam mit dem Team ein „happy landing“ hinlegen“, schließt der Pilot aus Leidenschaft ab.  

Kontakt zur Autorin

Nele Ruppmann, Freie Journalistin, nele.ruppmann@web.de