Corona-Pandemie
Zum Schutz vulnerabler Personengruppen sollen in bestimmten Gesundheitseinrichtungen und Unternehmen des Gesundheitswesens tätige Personen geimpft oder genesen sein. Das sieht das neue Gesetz der Ampelkoalition vor. Was Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen darüber wissen sollten.
Das von der Ampelkoalition vorgelegte Gesetz zur Stärkung der Impfprävention vom 6. Dezember 2021 (BT-Drucks. 20/188) sieht vor, dass in bestimmten Gesundheitseinrichtungen und Unternehmen des Gesundheitsweisen tätige Personen geimpft oder genesen sein sollen. Für bestehende und bis zum 15. März 2022 einzugehende Tätigkeitsverhältnisse ist der Nachweis bis zum 15. März 2022 zu führen. Das Gesetz hat bereits am 10. Dezember 2021 den Bundesrat passiert.
Ziel des Gesetzes ist der Schutz der öffentlichen Gesundheit und vulnerabler Personengruppen vor einer Erkrankung. Eine allgemeine Impfpflicht ist in der Diskussion, wird aber mit dem vorgelegten Gesetzentwurf noch nicht geregelt.
In der Sachverständigenanhörung im Hauptausschuss des Deutschen Bundestages am 8. Dezember 2021 war die überwiegende Meinung für das Gesetz. Eine adhoc-Stellungnahme des Deutschen Ethikrates wurde bis Weihnachten in Aussicht gestellt. Den Stimmen war aber auch zu entnehmen, dass zeitnah eine allgemeine Impfpflicht für jedermann folgen müsse.
Impfnachweis knüpft an Beschäftigungsverhältnis an – wie bei Masernregelung
Regelungstechnisch knüpft die Pflicht, den Impfnachweis zu erbringen – wie schon das Masernschutzgesetz von 2019 – mittelbar an das Beschäftigungsverhältnis in einer Gesundheitseinrichtung an. Der Caritas-Verband verwies deshalb in der Anhörung schon darauf, dass wie beim Masernschutz der Kreis die Nachweispflichtigen auf Schulen und Kindertageseinrichtungen ausgeweitet werden solle.
Gegen das Masernschutzgesetz sind noch Beschwerden beim Bundesverfassungsgericht anhängig. Der Gesetzgeber dürfte sich eine handlungsleitende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gewünscht haben. Diese wurde zwar für dieses Jahr angekündigt, liegt aber nicht vor.
Die Eilanträge vorwiegend von Eltern gerichtet auf die vorrübergehende Aussetzung des Gesetzes wurden schon im März 2020 zurückgewiesen. Hier ist eine Tendenz erkennbar, den gesetzgeberischen Beurteilungsspielraum für Gemeinschaftsbelange wie den kollektiven Gesundheitsschutz höher zu gewichten als Belange der Beschwerdeführer. Zwischen den Zeilen kann man lesen, dass die Beschwerdeführer im Falle der Ablehnung einer Impfung schließlich nur auf den Kitaplatz verzichten müssten und nicht zur Impfung gezwungen würden.
Diesen Ansatz wählt nun auch das Gesetz zur Corona-Impfprävention. Hier steht nun zwischen den Zeilen, dass Betroffene nur auf die berufliche Betätigung verzichten müssten, wenn sie die Impfung ablehnten. Angesichts des Personalnotstandes in Einrichtungen wird das nicht alle Arbeitgeber überzeugen. Schon beim Masernimpfnachweis verzichteten Einrichtungen auf eine allzu strenge Handhabung. Allerdings war die Durchsetzung des Masernschutzgesetzes wegen der Pandemie auch bis zum Ende dieses Jahres ausgesetzt.
Voraussetzungen und Grenzen von Impfpflichten
Impflichten sind seit jeher und nicht nur in Deutschland umstritten. Der verfassungsrechtliche Bezug ist unverkennbar. Den juristischen Stellungnahmen in der Bundestagsanhörung war zu entnehmen, dass sowohl die einrichtungsbezogene als auch die allgemeine Impfpflicht als verfassungsrechtlich vertretbar eingeschätzt wird.
Das Ziel, das dramatische und sich auf absehbare Zeit wiederholende Infektionsgeschehen in der Bundesrepublik und die Überlastung der Gesundheitseinrichtungen einzudämmen, ist mit den Belangen des individuellen und kollektiven Gesundheitsschutzes hinreichend markiert, ohne dass hier die epidemiologischen Befunde detailliert dargestellt werden müssten.
Der gesetzgeberische Ermessensspielraum dürfte bei Corona-Impflicht auch nochmals weiter reichen als dies schon bei den Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Bundesnotbremse akzeptiert wurde. Denn Ziel einer allgemeinen Impfpflicht ist die perspektivische Öffnung aller gesellschaftlichen Bereiche. Insoweit ist verfassungsrechtlich auch nicht zu verlangen, dass der Gesetzgeber alle Möglichkeiten der freiwilligen Impfkommunikation ausschöpfen muss, bevor er eine allgemeine Impfpflicht regeln und durchsetzen darf.
An Hand des Vergleichs zwischen Masern und Corona kann gezeigt werden, wie dem Gesetzgeber eine Abwägung der entgegenstehenden Belange mit folgender Abwägungsformel gelingen kann: Je größer das zu erwartende Infektionsgeschehen und je schwerwiegender die Folgen von Erkrankungen und intensiv-medizinischer Behandlung, umso eher ist das Instrument einer allgemeinen Impflicht geeignet, erforderlich und angemessen, das Infektionsgeschehen unter Kontrolle zu bringen. Umgekehrt können umso mehr Säumige hingenommen werden, je geringer das Infektionsgeschehen ausfällt, je weniger schwer sich Krankheitsverläufe darstellen und je höher die Impfrate ist.
Zwar sind Masern ansteckender als Corona. Im Jahr 2018 zählte man aber “ nur“ 500 Fälle. Dagegen hat die Corona-Pandemie einen gravierenden Umfang angenommen. Bei den Masern verfügen 95 Prozent der Schulanfänger über eine Erstimpfung und 93 Prozent die lebenszeitimmunisierende Zweitimpfung. Dagegen ist die Corona-Impfrate weit von einer Grundimmunisierung der Bevölkerung entfernt.
Konnte die Masernimpflicht mit dem Argument kritisiert werden, die Infektionstreiber sind die ab 1970 geborenen Erwachsenen und nicht die impfverpflichteten Kinder, kann eine mögliche Zielgruppe primär Impfverpflichteter bei Corona nicht ausgemacht werden.
So steht es um das Argument Grundrechtseingriff
Bei dem in Rede stehenden Grundrechtseingriff seitens der Impfverpflichteten wird schnell auf das mit Art. 2 Abs. 2 GG geschützte Recht auf körperliche Unversehrtheit abgestellt. Tatsächlich handelt es sich bei einrichtungsbezogenen Impfpflicht primär um eine tätigkeitsbezogene Regelung mit berufsregelnder Tendenz. Trotzdem ist der mittelbare Eingriff in die körperliche Unversehrtheit – wie bei der Masernimpfpflicht – nicht von der Hand zu weisen, wenn der Einzelnen die ebenso einschneidende Einschränkung der beruflichen Betätigung hinnehmen muss. Kindertagesstätten, auf die impfskeptische Eltern ausweichen könnten, gibt es gleichfalls nicht. Insoweit wurde schon beim Masernschutzgesetz kritisiert, dass es sich um eine Impfpflicht durch die Hintertür handele.
Allerdings können Einstich und das Einbringen eines pharmakologisch unbedenklichen Wirkstoffs auch als wenig eingriffsintensiv gewertet werden. Die Impfung ist regelmäßig nicht mit Schmerzen verbunden. Die Impfreaktionen werden als belastend, aber nicht als gravierend eingeschätzt. Von der Sicherheit und des Überwiegens eines individuellen Nutzens kann der Gesetzgeber in der Regel mit der Zulassung eines Impfstoffes ausgehen. Hier hatte auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Entscheidung vom April 2021 keine Bedenken, als er Pflichtimpfungen in Tschechien bestätigte.
Gesetzliche Pflichten verbunden mit körperlichen Eingriffen sind dem Recht auch nicht fremd, denkt man an Blutalkoholtest oder Gentests zur Feststellung der biologischen Vaterschaft. Ebenso sind Zwangsmaßnahmen möglich, auch nur um selbstschädigende Entwicklungen abgewendet werden soll. So können Schulverweigerer können auch polizeilich vorgeführt werden.
Insoweit wird deutlich, dass die Durchsetzung einer Impfpflicht das Recht auf körperliche Unversehrtheit zwar tangiert und auf der individuellen Ebene mit einem Gesundheitsschutz kompensiert. Dieser Schutz erscheint Impfunwilligen aber aufgedrängt; das Körperliche scheint Symbol der Entscheidungsfreiheit.
Die Freiheit, medizinische Maßnahmen anzunehmen oder abzulehnen ist ebenso grundrechtlich geschützt. Allerdings findet dieses Recht seine Grenze in den Rechten anderer Grundrechtsträger, welche in der Bilanz eines akuten und wiederholenden Infektionsgeschehens ebenfalls schwer betroffen sind. Hierbei geht es nicht um die Mehrheit der Geimpften gegen die Minderheit der Ungeimpften, sondern um die Frage der Zumutbarkeit einer invasiven Präventionsmaßnahme in einem bestimmten Infektionsgeschehen.
Konnte man die bußgeldbewerte Masernimpfpflicht für Kinder mit Blick auf ein geringes Infektionsgeschehen, die hohe Impfquote und das Recht der Eltern auf individuelle Gesundheitssorge als unverhältnismäßig kritisieren, erscheint die Grundimmunisierung gegen das Corona-Virus wirksam und zumindest jedem Erwachsenen zumutbar. Indes stellt die allein einrichtungsbezogene Impfpflicht sich unter Gleichheitsgesichtspunkten als problematisch dar. Denn das Infektionsgeschehen macht weder vor der Schultür, noch vor einer Krankenhauspforte halt. Dagegen mutet die allgemeine Impfpflicht allen das Gleiche zu. Dies korrespondiert im Übrigen mit dem Anspruch auf Krankenbehandlung, der allen Grundrechtsträger gleichermaßen zusteht.
Welche Ausnahmen möglich sind
Schließlich mag es auch individuelle Gründe geben, die eine tatsächliche Inpflichtnahme auf der Ebene des Einzelfalls als ungeeignet erscheinen lassen. Neben medizinischen Gründen könnten dies auch weniger medizinisch belastbare Gründe sein. Es können Umstände sein, die zu psychischen Belastungen von Impfverpflichteten führen können, wie eine „Spritzenphobie“ oder eine familiär-gesundheitliche Vorbelastung, die eine subjektive Skepsis gegenüber Impfungen im Verwaltungsverfahren nachvollziehbar erscheinen lassen. Diese Gründe können behördliches Ermessen eröffnen. Die Gerichte werden ihrerseits einen Umgang mit den Einzelfällen finden, solange das Gesetz in seiner Zielrichtung klar ist.
Diese Ausnahmen müssen der Impfstrategie auch nicht abträglich sein. Pflichten werden in der Regel befolgt, ohne dass zuvor der Bußgeldkatalog befragt wird, was ein Pflichtenverstoß kosten kann.
Eine Vielzahl gesetzlicher Pflichten begnügt sich mit einer halbherzigen Vollstreckbarkeit. Die gesetzliche Pflicht von Eltern, Umgang mit ihren Kindern zu pflegen wird nicht zwangsweise durchgesetzt. Die Wehrpflicht konnte mit einer gut begründeten Gewissensentscheidung abgewehrt werden. Insoweit könnte auch die Impfverweigerung aus Gewissensgründen in Einzelfällen hingenommen werden. Die Pflicht würde dennoch einen großen Teil der Impfverunsicherten erreichen.
Dennoch haben die Beschwerdeführer im Masernverfahren Argumente vorgebracht, die ernst genommen werden sollten. Zu kritisieren ist, dass Schulen und Kitas Belange des Gesundheitsschutzes übernehmen müssen. Ebenso ist zuzugestehen, dass der dynamische Verweis auf eine Empfehlung der Ständigen Impfkommission für ein grundrechtseingreifendes Gesetz zu unbestimmt ist. Hier fehlt auch die demokratische Legitimation.
Eine Frage der Mitverantwortung
Die Regelung einer allgemeinen Impfpflicht hat weitere Vorteile gegenüber einem Impfappell. Bei nachweisbaren Impfangebot könnten Ungeimpfte – wie bei der Verletzung im Zusammenhang mit Risikosportarten – auch an den Kosten ihrer Krankenbehandlung beteiligt werden. Dies wird immer lauter mit der verständlichen Auffassung diskutiert, dass privates Risikoverhalten nicht zulasten der Solidargemeinschaft gehen soll.
Beim Motorradfahren gilt seit langem, dass es sich anspruchsmindernd im Rahmen eines Mitverschuldens auswirken kann, wenn sich eine Kopfverletzung durch das Tragen eines Schutzhelms hätte verhindern lassen können.
Kontakt zur Autorin: |
Dr. Susann Bräcklein , Master of Medicine, Ethics and Law und Rechtsanwältin in der Kanzlei Jorzig Rechtsanwälte, viele Jahre Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bundesverfassungsgericht, Kontakt: susann.braecklein@jorzig.de |