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Die Resilienz ist eine besondere Kraft der Psyche, Belastungen auszuhalten. Diese innere Widerstandskraft ist sehr unterschiedlich ausgeprägt.
Unser pathogenetisch orientiertes Gesundheitssystem ist eigentlich ein Krankheitssystem. Die klassische Medizin konzentriert sich in erster Linie auf die Entdeckung und Behandlung von Krankheiten und Behinderungen. Sie tut sich aber schwer mit der Beantwortung der Fragen, weshalb starke Raucher wie Winston Churchill und Helmut Schmidt ihre Lungenschädigung sehr lange überlebten. Warum fallen Nebenwirkungen von Covid-19-Impfungen so unterschiedlich stark aus? Was beeinflusst positiv die Überlebensrate von invasiven Beatmungen?
Gesundheit als Prozess verstehen
Kurzum: Wieso überstehen manche Menschen hochtraumatische Erlebnisse besser als andere, ohne krank zu werden? Diese Frage stellte sich vor 50 Jahren der israelisch-amerikanische Soziologe Aaron Antonovsky, als er in einer Studie den Krankheitsstatus von Frauen untersuchte, die unglaubliche Torturen in Konzentrationslagern überlebt hatten und trotzdem psychisch gesund blieben. Dabei entdeckte er die Kraft der Resilienz und die Rolle von Selbstheilungskräften. Somit legte er den Grundstein für die Salutogenese als Ergänzung zur klassischen Pathogenese.
Bei der tagtäglichen Auseinandersetzung der Menschen mit Stressfaktoren wie z.B. bei Krankheitskeimen kann das Immunsystem positiv im Sinne einer Immunstärkung und der Bildung eines Immungedächtnisses reagieren, aber bei aggressiven oder hochkonzentrierten Viren auch überfordert sein. Schon 1878 stellte Louis Pasteur fest, dass Hühner unter Stressbelastung eine höhere Infektionsanfälligkeit aufweisen.
Im Rahmen der Psychosomatik entwickelte sich das Forschungsgebiet der Psychoneuroimmunologie, welches die neurologische Steuerung des Immunsystems aufklärte und deren negative wie positive Einflussfaktoren der Psyche identifizierte. Neben chemischen Giftstoffen und biologischen Erregern haben auch psychosoziale Einflüsse wie Stress, Depression und Angst krankmachende Auswirkungen auf das Immunsystem.
Antonovsky beschreibt die noch vorherrschende Denkweise im Gesundheitswesen mit einer Metapher: Die Mediziner wollen Menschen mit hohem Aufwand aus einem reißenden Fluss retten, ohne sich darüber Gedanken zu machen, wie sie da hineingeraten sind und warum sie nicht besser schwimmen können. Die entscheidende Strategie für die Bekämpfung der Corona-Pandemie ist daher die Stärkung der positiven psychischen Einflüsse für die Immunabwehr. Woher kommt die Widerstandskraft? Vereinfacht dargestellt korrelieren mit einer verbesserten Immunabwehr Persönlichkeitseigenschaften, die ein angenehmes Lebensgefühl verbreiten. Optimisten gehen davon aus, dass alles gut wird. Ein starkes Selbstwertgefühl kann nachweislich die Anzahl der Antikörper bei Röteln erhöhen. Im Bereich der HIV-Forschung verringerte der Glauben an die eigene Fähigkeit, Probleme zu bewältigen (Selbstwirksamkeit) die Sterblichkeitsrate. Soziale Bindungen an Familie und Freunde mit intensiven Gefühlen stärken das Gleichgewicht der am Immunsystem beteiligten Zellen.
Das Projekt MARP
Das Mainzer Resilienz-Projekt MARP (https://lir-mainz.de/) untersucht die Mechanismen, die eine Krankheitsentwicklung trotz genetischer Risiken und schwerer Belastungen verhindern und es einer Person erlauben, ihre mentale Gesundheit dabei aufrechtzuerhalten oder wiederzuerlangen.
Buchtipp
BZgA Forschung und Praxis der Gesundheitsförderung, Band 6: Was erhält Menschen gesund – Antonovskys Modell der Salutogenese – Diskussionsstand und Stellenwert;
Raffael Kalisch: Der resiliente Mensch. Wie wir Krisen erleben und bewältigen;
Christina Berndt: Resilienz. Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft.
Kontakt zum Autor:
Manfred Kindler, KKC-Vorsitzender; Kontakt: m.kindler@kkc-info