Digitalisierung und Telemedizin
Gerade auf dem Land kann Telemedizin die Versorgung von Menschen mit chronischen Erkrankungen gewährleisten. Ein Telemonitoring-Projekt der Sana Gesundheitszentren Berlin für Menschen mit Herzerkrankungen zeigt, wie es gehen kann und welchen Beitrag Krankenhäuser leisten können.

Technischer Fortschritt hat für die Gesundheit zwei Gesichter: Er macht das Leben bequem und fördert so die Entstehung von chronischen und nicht übertragbaren Erkrankungen. Er ermöglicht aber auch eine bessere Versorgung der vielen Chronikerinnen und Chroniker in Deutschland. Theoretisch. „Wenn die Versorgung chronisch erkrankter Menschen in Zukunft nicht fundamental verbessert wird, gerät die Leistungsfähigkeit unserer Gesundheitssysteme an ihre Grenzen – schneller als wir denken“, sagt Dr. Jasper zu Putlitz, Experte für Digital Health.
Allein in Deutschland leben 3,5 Millionen Menschen mit chronischer Herzinsuffizienz (CHF), 2,6 Millionen davon sind diagnostiziert. Der Nationalen Versorgungsleitlinie CHF von 2017 zufolge kommen jedes Jahr 275.000 dazu. CHF und Folgeerkrankungen verursachen in Deutschland direkte Kosten von mindestens fünf Milliarden Euro pro Jahr. Hinter diesen Zahlen stecken Schicksale: Menschen, die ihre Leistungsfähigkeit verlieren, ihre Berufe nicht mehr ausüben können und dramatisch an Lebensqualität verlieren. 50.000 Menschen sterben jedes Jahr an Herzschwäche.
Dabei können CHF-Patienten und -Patientinnen bei passender Therapie und gesundem Lebensstil lange Zeit ein weitgehend normales Leben führen – wenn sie richtig eingestellt und engmaschig überwacht werden. Genau das ist gerade in ländlichen Gegenden schwierig – und eine Chance für die Telemedizin. Verschiedene Studien haben bereits gezeigt, dass die Fernüberwachung durch einen Sensor in der Lungenarterie die Zahl der Krankenhauseinweisungen dramatisch reduziert. Viele Patienten und Patientinnen erholten sich und die Sterberate der fernüberwachten war mit 14 Prozent gering.
Bei einem Projekt der Charité erhielten Herzpatienten einen Fingerclip für EKG und Sättigung, ein Blutdruckmessgerät, eine Waage und ein Tablet, um die gemessenen Daten sowie eine Selbsteinschätzung an das Zentrum für kardiovaskuläre Telemedizin zu übertragen. Dazu besucht eine „Pflegefachkraft Herzinsuffizienz“ die Menschen zu Hause, macht sich ein Bild des häuslichen Umfelds und weist sie ein.
Telemonitoring aus dem stationären Umfeld aus
Die erste flächendeckende Anwendung von Telemedizin bei Herzschwäche bietet jetzt das Telemonitoringzentrum (TMZ) der Sana Gesundheitszentren Berlin-Brandenburg an. Das kardiologische Fachpersonal der Poliklinik am Berliner Tierpark sorgt für die Ausstattung der Nutzerinnen und Nutzer und nimmt die Vitalparameter auf, die diese per Tablet an eine elektronische Patientenakte des TMZ schicken. Weichen die Werte von der Norm ab, informiert das Zentrum sowohl die Betroffenen als auch die behandelnde Praxis, damit die Medikation zügig angepasst wird. Wenn nötig, übernimmt das Zentrum auch vertretungsweise die Aufgaben des behandelnden Arztes.
„Anfangs braucht so ein Projekt viel Aufklärung“, sagt Felix von Rehder, Geschäftsführer der Sana Gesundheitszentren in Berlin-Brandenburg, „Den behandelnden Hausärzten und -ärztinnen sowie den Kardiologen und Kardiologinnen muss man zeigen, dass Telemonitoring nützt und sie nicht überfordert; die Betroffenen müssen sich damit anfreunden, ihr Gewicht per Tablet zu senden oder die Daten des Herzschrittmachers mit einem Transmitter zu übertragen.“ Die schnelle und unkomplizierte Betreuung verbessert nicht nur den Therapieerfolg und spart Kosten im Gesundheitswesen ein, die Menschen fühlen sich sicherer.
Die Kassen bezahlen Telemonitoring bei Menschen mit CHF mit einem implantierten herzunterstützenden Aggregat sowie bei Personen, die in den vergangenen zwölf Monaten wegen Dekompensation in der Klinik waren, als ambulante Kassenarztleistung.
Kommentar
„Ich glaube daran, dass der Arzt in Zukunft neben dem normalen Behandlungszimmer ein digital ausgestattetes hat – wo nur ein Greenscreen und eine Videokamera verbaut sind.“ Das schreibt Prof. Dr. David Matusiewicz in seinem Kommentar in der aktuellen Ausgabe von HCM.
Zum Kommentar „Telemedizin: Liebe zur Rückständigkeit“
Mehr Teilhabe am medizinischen Fortschritt
„Durch das Projekt können mehr Patienten und Patientinnen am medizinischen Fortschritt teilhaben – auch im ländlichen Raum“, sagt Jens Schick aus dem Vorstand der Sana Kliniken. Der Bedarf für die medizinische Fernbetreuung ist gewaltig, und die Chancen sind es auch. Unzählige Menschen benötigen Hilfe, um ihre Risikofaktoren wie Übergewicht, erhöhte Cholesterinwerte und Bluthochdruck in den Griff zu bekommen. Hier könnte Telemedizin helfen, Krankheiten zu vermeiden. Chronisch Erkrankte – etwa mit CHF, COPD oder Diabetes – könnten von der kontinuierlichen Versorgung profitieren. Telemonitoring verbessert nicht nur Sicherheit und Lebensqualität der Nutzer und spart enorme Kosten ein. Die Datenmengen, die bei der telemedizinischen Versorgung erhoben werden, sind ein Schatz, der die künftige Versorgung von Chronikern und Chronikerinnen verbessern helfen und die Entwicklung neuer technologischer Hilfen erleichtern kann.
Damit Telemedizin ihren Mehrwert entfalten kann, sind drei Stoßrichtungen interessant:
- Früherkennung: Wenn das individuelle Risiko mithilfe von Sensoren und Wearables früher erkannt wird und rechtzeitig gegengesteuert wird, treten chronische Erkrankungen später oder nicht mehr auf.
- Digitale Versorgung: Telemonitoring und eingebettetes Coaching durch AI ermöglichen maßgeschneiderte Angebote und verbessern die Versorgung.
- Angepasste Versorgungs- (und Vergütungs-)Strukturen: Wenn integrierte telemedizinische Versorgung von der Ausnahme zur Regel wird und die Vergütung für Leistungserbringer attraktiv ist, kann das die flächendeckende Versorgung chronisch Erkrankter sicherstellen.
Kontakt zur Autorin
Dr. Jutta von Campenhausen, Freiberufliche Medizinjournalistin, juttavc@gmail.com