Gehalt & Arbeitsbedingungen
Die Forderungen nach besseren Bedingungen und mehr Unterstützung in der Pflege werden auf dem Deutschen Pflegetag 2021 mit rund 1.500 Teilnehmenden in Berlin lauter. Bis 2030 fehlen eine halbe Million Pflegekräfte, so lautet der Blick in die Zukunft. Ein „weiter so“ kann es deshalb nicht mehr geben.

Bereits auf der Pressekonferenz im Vorfeld der Eröffnungsveranstaltung des diesjährigen Deutschen Pflegetages war klar, wie schwerwiegend die Probleme in der Pflege sind. Christine Vogler, Präsidentin des Deutschen Pflegrates, stellte zusammenfassend ihre Kernforderungen für die Branche vor:
- Kompetenzerweiterung, z.B. Medikamentenverschreibung durch Pflegepersonal
- Monatsgehalt von 4.000 Euro brutto in allen Pflegebereichen
- Bessere Arbeitsbedingungen, z.B. durch stabilere Schichtpläne
- Optimierte Selbstverwaltungsstrukturen
Was die Kernforderungen angehe, hätte Vogler „noch ein paar mehr“, der Fokus läge aber auf den vier genannten Punkten. Bei der Frage nach der Finanzierung des höheren Gehalts brachte die offizielle Gastgeberin des Pflegetages die Frage nach einer Veränderung des aktuellen Krankenversicherungssystems ins Spiel. Eine steuerliche Kostenübernahme in der Pflege durch eine Bürgerversicherung sei für sie eine mögliche Alternative zur Finanzierung der Mehrkosten.
Personeller Notstand: rund 200.000 Kräfte fehlen
Bereits heute fehlen circa 200.000 Pflegekräfte, bilanziert Vogler. Bis eine vakante Stelle neu besetzt werde, dauere es im Schnitt 240 Tage – das bedeute auch zusätzliche Belastung für das restliche Personal. Bis 2030 würden sogar 500.000 Pflegerinnen und Pfleger fehlen, schon jetzt liege die Abbruchquote bei Auszubildenden mit 31 Prozent im Jahr 2019 deutlich höher als bei anderen Berufen. Sollte sich jetzt nichts ändern würden laut der Pflegeratspräsidentin in zehn Jahren noch 200.000 Kräfte in der Pflegekoordination arbeiten, die ambulante Pflege gänzlich abgeschafft. Für Vogler kommt der Personalmangel als Schwerpunkt direkt nach der Klimakatastrophe und fordert daher: „Bindet uns ein und wir werden alle gewinnen.“
Spahn geht bei 4.000 Euro mit
Der noch amtierende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn stimmt den geforderten Bedingungen bei einem seiner womöglich letzten Auftritte als Minister zu: „4.000 Euro, da gehe ich mit.“ Allerdings seien Tarifverhandlungen nicht Aufgabe der Bundesregierung, sondern von Arbeitgebern und Beschäftigten. Hier gehe es um die Frage, wer die Interessen vertritt: „Mit wem soll ich als Bundesminister reden, wenn ich mit der Pflege reden will? (…) Wo ist die Institution, die die Pflege bündelt?“
Dennoch sieht Spahn auch Fortschritte in der vergangenen Legislaturperiode, u.a. eine neue Ausbildungsregelung, bereits gesetzliche geregelte Kompetenzerweiterung und Förderung von digitalen Projekten. Der Abwärtstrend sei abgewendet, allerdings sei das noch nicht das Ende des Weges von Verbesserungen in der Branche. Am Ende gab er dem Publikum ein Versprechen: „Wo immer ich politische Verantwortung trage, werde ich mithelfen, diesen Weg weiterzugehen. Damit Pflege den Stellenwert bekommt, den es braucht. Es war mir eine Ehre.“
In einer Diskussion mit Vogler im Anschluss seiner Rede bekräftigte er den gestarteten Weg: Wäre er weitere vier Jahre Bundesgesundheitsminister, würde er den bisherigen Weg weitergehen. Die Projekte Digitalisierung und Pflege wären „Jahrzehnteprojekte“, trotzdem soll es in den kommenden beiden Jahren massive Veränderungen geben, um sich aus dem Mittelfeld im internationalen Vergleich nach oben zu bewegen.
Krisenmanagement in Not – wie gut sind wir ausgestattet?
Judith Heepe, Pflegedirektorin der Charité Universitätsmedizin Berlin, stellte zahlreiche Forderungen an die Politik für kommende Notsituationen wie die Corona-Pandemie. Eine weitere Krise käme sicherlich irgendwann, daher sollten Digitalisierung, Datenschutzverordnung und Dokumentation schneller vorangetrieben werden. Zudem soll die zukünftige Pflege auch in einer anderen Rolle unterstützen: „Ich sehe die Zukunft von Pflege auch in der beratenden Funktion z.B. auch für pflegende Angehörige.“
Man sollte den Aspekt der personellen Besetzung nicht außer Acht lassen, sagt Generaloberin Gabriele Müller-Stutzer, Präsidentin des Verbandes der Schwesternschaften vom DRK: „Wir sind ein frauendominierter Beruf, das hat ein paar Nebenwirkungen.“ Frauen müssten sich zusätzlich zum physisch und psychisch fordernden Beruf nach Feierabend häufig noch um die Familie kümmern. Trotzdem tun sie sich laut Müller-Stutzer „schwer, für sich selber einzustehen und klare Kante zu zeigen.“ Es müssten also Anreize her, die fehlende Work-Life-Balance wieder auszugleichen.
Innovationen, Digitalisierung und Professionalisierung
Etwas Positives brachte die Corona-Pandemie immerhin auch in der Pflege: Durch den bestehenden Personalmangel und strengen Hygienevorschriften kam ein Strukturzwang in die Branche, der die Führungskräfte zum Umdenken bewegte, sagt Sabrina Roßius vom Bundesverband Pflegemanagement . Allerdings sei langsam ein Ende der Pandemie in Sicht, sie befürchtet eine wiederkehrende Verschlechterung. Pflege- und Führungskräfte könnten nun „in alte Muster“ zurückfallen. Dies gelte es nun, mit Motivation diese Strukturen beizubehalten, da sie den Beruf auch effizienter gestalten.
Eine „professionelle Schiene“ im Bereich Pflege gibt es zurzeit nicht, moniert Andreas Sund von der Charité Berlin. Daher wurden spezielle Entwicklungsprogramme, sogenannte Trainee-Programme für die Pflege entwickelt. Zudem sollen Auszubildende sowie extern Berufserfahrene und Quereinsteiger nach den Programmen eine höhere Übernahmequote bekommen.
„Walk of Care“ gewinnt Deutschen Pflegepreis 2021
Am Abend des ersten Veranstaltungstages wurden die diesjährigen Pflegepreisträger vom Deutschen Pflegerat gekürt. Nach dem Trio aus Prof. Dr. Ingrid Darmann-Finck , Prof. Gertrud Hundenborn und Prof. Dr. Barbara Knigge-Demal im vergangenen Jahr durfte sich nun die Initiative „Walk of Care“ über die Auszeichnung freuen. Walk of Care ist eine Bewegung von Pflegenden und Beschäftigten im Gesundheitswesen, die sich seit 2016 u.a. mit Demonstrationen für Veränderungen im Gesundheitswesen engagieren.
Zum ersten Mal „BGW forum Altenpflege“
Insbesondere die Altenpflege wurde in Zeiten der Corona-Pandemie in hohem Maße herausgefordert. Daher fand zum ersten Mal im Rahmen des Deutschen Pflegetages das „BGW forum Altenpflege“ der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege statt. Beim ganztägigen Livestream ging es vorrangig um die Themen Personalbindung und -gewinnung sowie Arbeitsschutz und Dienstausfälle.