Interview mit Marcus Wächter-Raquet Über Rassismus sprechen

Auch in Healthcare-Einrichtungen können Menschen diskriminiert werden. Eine Untersuchung von Wächter-Raquet zeigt, dass z.B. Menschen mit Migrationserfahrung Unleichbehandlung erleben. Im Gespräch mit HCM gibt er Denkanstöße, die helfen, Rassismus-bedingte Diskriminierung zu verhindern. Marcus Wächter-Raquet ist Fachreferent bei der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e.V. Als Referent der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin in Niedersachen ist der Diplom-Pflegewirt und examinierte Gesundheits- und Krankenpfleger Marcus Wächter-Raquet auch im Einsatz, wenn es um Diskriminerung von Personen im Kontext des Gesundheitswesens geht. Dr. Jutta von Campenhausen hat das Gespräch mit ihm gesucht. Wächter-Raquet berichtet darin von seinen Erfahrungen, nennt Beispiele, die sensibilisieren sollen, und erklärt, wie Healthcare-Einrichtungen einen Beitrag gegen Rassismus gegenüber Mitarbeitenden, aber auch gegenüber Patientinnen und Patienten leisten können. Herr Wächter-Raquet, Sie beschäftigen sich als Fachreferent der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin in Niedersachen mit Migration, Flucht und Rassismus. Inwiefern sind Rassismus und Diskriminierung Ihrer Erfahrung nach im Gesundheitswesen ein Problem? Wächter-Raquet: Diskriminierung ist überall ein Problem: Im Kollegenkreis im medizinischen Team und gegenüber Patienten – es ist ein gesellschaftliches Problem. Das spiegelt sich in vielen Bereichen wider, nicht nur im Gesundheitsbereich. Über das Problem im Gesundheitswesen gibt es erste Studien – in anderen Bereichen liegen bereits mehr Erkenntnisse vor. Unser Gesundheitssystem ist ein sensibler, ein überlebenswichtiger Bereich. Wenn Rassismus und Diskriminierung die kritische Infrastruktur betreffen, muss man besonders kritisch draufgucken. Der erste Schritt dem entgegenzutreten ist, dass man anfängt darüber zu sprechen. Es scheint, als ob eher die Wissenschaft darüber spricht als die Betroffenen … Wächter-Raquet: Die Hürde, über Diskriminierung durch Kollegen oder Kolleginnen zu reden, ist hoch. Betroffene lassen sich eher versetzen oder kündigen ihren Job, als dass sie die Situation offen ansprechen. Und sie sprechen es nicht an, weil sie nicht gehört werden. Das entspricht doppelter Diskriminierung: Wenn jemand einen Vorfall publik macht und dann noch gesagt bekommt, es sei doch nicht so schlimm gewesen. Wie sehen solche Vorfälle konkret aus? Wächter-Raquet: Ein Beispiel: Eine Ärztin mit dunkler Hautfarbe kommt ins Patientenzimmer und die Patientin sagt nach dem Gespräch: „Sie sprechen aber gut deutsch.“ Solche subtilen Unterstellungen nennt man auch Mikroagressionen. Sie sind klein, ereignen sich aber täglich. Variiert die Behandlung von Menschen mit ihrer Hautfarbe? Wächter-Raquet: Der Klassiker sind Schmerzen. Dunkelhäutigen Personen werden Schmerzen oft abgesprochen, sie können angeblich mehr Schmerzen aushalten und bekommen dadurch beispielsweise Schmerzmittel erst zu einem späteren Zeitpunkt als hellhäutige Menschen. Was können Einrichtungen gegen solche Behandlungsdefizite unternehmen? Wächter-Raquet: Man muss auf zwei Ebenen denken: auf struktureller und individueller bzw. interpersoneller Ebene. Durch Schulungen und Aufklärung bereits in der Ausbildung kann hier angesetzt werden. Rassismus wird bisher im Medizinstudium nicht thematisiert. Dabei wäre das essenziell, nur so können vorgefertigte Meinungen überkommen werden. Auf struktureller Ebene braucht es Maßnahmen, die Rassismus innerhalb von Organisationen aufhalten. Oft wird da auf Unternehmensebene mit sogenannten Antidiskriminierungsbeauftragten gearbeitet. Doch die Tätigkeiten, die damit einhergehen, dürfen nicht nebenher gemacht werden. Besteht ein Unterschied zwischen Rassismus im Gesundheitssystem und in Alltagssituationen? Wächter-Raquet: Von einem Unterschied möchte ich gar nicht sprechen. Alltagsrassismus findet auch im Gesundheitswesen statt. Der tatsächliche Unterschied ist der Kontext, in dem Rassismus hier stattfindet. Wer eine Gesundheitsleistung beispielsweise in einem Krankenhaus oder auch in einer Pflegeeinrichtung in Anspruch nehmen muss, hat meist keine Wahl und ist dem jeweiligen Setting unter Umständen sogar ausgeliefert. Das macht eine erhöhte Sensibilität gegenüber diskriminierenden Situationen enorm wichtig. Wie unterscheiden Sie Rassismus, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit? Wächter-Raquet: Rassismus stellt ein gesellschaftliches Wertesystem dar, das Menschen anhand unveränderlicher äußerer Merkmale wie der Hautfarbe einteilt. Daraus erwächst Diskriminierung. Jemand wird diskriminiert, weil sich jemand rassistisch verhalten hat. Wobei rassistisches Verhalten nicht bedeutet, dass eine Person rechtsradikal eingestellt ist. Fremdenfeindlichkeit als Begriff wird nicht mehr verwendet, denn er impliziert die Ursache für ein Verhalten beim Opfer, der „fremden“ Person. Indem wir dagegen von Rassismus sprechen, rücken wir die Person, die diskriminiert, in den Mittelpunkt. Hat sich nicht schon einiges gebessert? Wächter-Raquet: Ja, aber wir haben erst angefangen, Rassismus im Gesundheitswesen zum Thema zu machen. Die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland fordert z.B. in einer Presseerklärung, dass im Ausbildungskatalog dahingehend nachgebessert wird. Auch der Zusammenschluss „Kritische Mediziner:innen“ hat neben Sexismus auch Rassismus als Thema, das Netzwerk „Black in Medicine“ gibt von Rassismus betroffenen Personen aus der Ärzteschaft eine Stimme. Ebenso steigt die Zahl der Antirassismus-Beauftragten auf Einrichtungsebene wie innerhalb der Selbstverwaltungsorgane. Haben Sie für Menschen, die von Rassismus im Gesundheitswesen betroffen sind, einen Ratschlag? Wächter-Raquet: Grundsätzlich sollte jede Form von Diskriminierung angesprochen werden. Doch das fällt gerade jungen Kollegen und Kolleginnen oft schwer. Hierarchische Strukturen verhindern hier oft eine offene und vertrauliche Aussprache. Das generiert eine Zwickmühle. Hier gilt es seitens des Managements eine vertrauensvolle Zusammenarbeit herzustellen. Doch auch Patientinnen und Patienten und ihre Erlebnisse mit Rassismus in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen müssen gehört werden. Hier gilt es v.a. das Personal entsprechend zu sensibiliseren, z.B. in Form von interkulturellen Schulungen. Hier lernen sie solchen Themen im Patientenumgang den nötigen Raum zu geben, ohne dabei zu verletzen. "Wir haben gerade erst angefangen, Rassismus im Gesundheitswesen zum Thema zu machen."Marcus Wächter-Raquet Quellen • Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit: Gesundheitsförderung mit Geflüchteten. Lücken schließen – Angebote ergänzen.https://www.gesundheitliche-chancengleichheit.de/fileadmin/user_upload/pdf/Handreichungen/21-02_Handreichung_Gesundheitsfoerderung_mit_Gefluechteten.pdf• Nguyen T., Wächter-Raquet M.: Gesundheitliche Chancengleichheit inder Corona-Pandemie. Nutzung von digitalen Medien zur niedrigschwelligen Ansprache von Zugewanderten und Geflüchteten: https://www.gesundheit-nds.de/images/pdfs/Themenhefte_KGC_Nutzung-von-digitalen-Medien_2021-05-10.pdf• Sabin J. A.: How we fail black patients pain. https://www.aamc.org/news-insights/how-we-fail-black-patients-pain [17.01.2023]• Spiegel Wissenschaft: Schmerzmittel-Gabe hängt von Hautfarbeab. https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/us-krankenhaeuser-schmerzmittel-gabe-haengt-von-hautfarbe-ab-a-526144.htm Kontakt zur Autorin: Dr. Jutta von Campenhausen, Freiberufliche Medizinjournalistin, juttavc@gmail.com

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