Udo Di Fabio: Zwang zur Tarifeinheit ist verfassungswidrig

Das Bundesarbeitsministerium erarbeitet derzeit einen Gesetzentwurf, der eine Tarifeinheit in Betrieben vorsieht. Betroffen wären kleine Gewerkschaften wie etwa der Marburger Bund (MB). Der hat nun ein Rechtsgutachten vorgelegt – und das hat ein eindeutiges Ergebnis.

Gutachter Udo Di Fabio sieht derzeit keine Rechtfertigung für einen Eingriff des Gesetzgebers in die Tarifautonomie. – © pag, Thorsten Maybaum

Ein Eingriff in die Tarifautonomie ist aus Sicht des Gutachters Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio verfassungswidrig. Es gibt derzeit keine erkennbare Rechtfertigung für einen Eingriff in das Recht der Koalitionsfreiheit, so der ehemalige Bundesverfassungsrichter und heutige Direktor des Instituts für Öffentliches Recht der Universität Bonn. Die Bundesregierung laufe Gefahr, mit der angestrebten gesetzlichen Festschreibung der Tarifeinheit nach dem betriebsbezogenen Mehrheitsprinzip ein verfassungswidriges Gesetzesvorhaben zu beschließen.

„Ich halte es für unvernünftig, dass sich der Gesetzgeber überhaupt ohne Not regulativ in die Tarifautonomie hineinbegibt“, sagt Di Fabio. Wenn er jedoch die Tarifeinheit auf betrieblicher Ebene festschreiben wolle, gebe es ein Verfassungsproblem.“ Aus dieser Falle kommt man nicht heraus. Das ist für mich eindeutiger als z.B. bei der Maut und ihrer Europarechtszulässigkeit“, sagt der Ex-Bundesverfassungsrichter.

Was einen Eingriff in die Tarifautonomie rechtfertigt

Di Fabio macht klar, dass es für einen solch schwerwiegenden Eingriff in die tiefen Grundrechte und den faktischen Ausschluss einer eigenständigen Berufsgewerkschaft aus der Tarifautonomie grundsätzlich einer gesteigerten Rechtfertigung bedarf. Es müssten schwerwiegende Gefahren bestehen, die auch nachweisbar und belegbar seien, betont der Gutachter. Das könne der Fall sein, wenn Krankenhausärzte ihre Patienten in einem Ausstand nicht mehr versorgten und es zu Todesfällen käme. Dann wäre der Gesetzgeber möglicherweise zum Eingreifen in diesem speziellen Fall berechtigt.

Mögliche oder denkbare, aber letztlich nur abstrakt bleibende Disparitäten könnten den gesetzlich auferlegten Zwang zur Tarifeinheit und damit die Zerstörung der Tarifautonomie selbstständiger Berufsgewerkschaften jedoch nicht rechtfertigen. Der Staat könne „nicht auf Verdacht eingreifen“, sagt Di Fabio.

Marburger Bund fürchtet um Existenz

Die sich abzeichnende Umsetzung des Koalitionsvertrages werde daher „zu einem verfassungswidrigen, weil ungerechtfertigten Eingriff in die Koalitionsfreiheit führen“, warnt der Verfassungsrechtler. Der Vorsitzende des Marburger Bundes (MB), Rudolf Henke, sieht sich in seiner Auffassung bestätigt. Er sei zwar optimistisch, dass es ein solches Gesetz letztlich nicht durchs Parlament schaffen werde. Dennoch wertet er das Regierungsvorhaben als „Frontalangriff“ auf die gewerkschaftliche Existenz des MB. Henke kündigt für den Fall, dass ein solches Gesetz beschlossen wird, Verfassungsbeschwerde an.

Ein Interview mit Gutachter Di Fabio zum Thema Tarifeinheit finden Sie auf der Website des Marburger Bundes .