Diskussion Trend mit Sprengkraft: Ambulantisierungsoffensive

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Die fortschreitende Ambulantisierung bestimmt – neben den krankenhausplanerischen Konzepten einer Strukturreform der stationären Versorgungslandschaft – die aktuelle gesundheitspolitische Debatte. HCM-Autor Michael Reiter diskutiert die Offensive mit Arzt und Mitgründer des Dermatologie-App-Anbieters Dermanostic, Patrick Lang, und dem Mitbegründer des Software- und Beratungsunternehmens BinDoc, Dr. Manuel Heurich.

Dermanostic
Digital vor ambulant vor stationär – so könnte Versorgung künftig organisiert werden. – © Have a nice day (stock.adobe.com)

Für Aufbruchstimmung sorgt in der Ambulantisierungsoffensive nach Einschätzung von BinDoc-Gründer Dr. Manuel Heurich nicht etwa der Ampelkoalitionsvertrag, indem er an verschiedenen Stellen das Thema Ambulantisierung aufgreift – mit Hybrid-DRGs, Notfallversorgung, Gesundheitsregionen. Aufmerksamkeit gelte vielmehr dem Projekt der Selbstverwaltung zur Neufassung des AOP-Katalogs (zu ambulant durchführbaren Operationen). Mit dem Auftrag an GKV-Spitzenverband, Deutsche Krankenhausgesellschaft und Kassenärztliche Bundesvereinigung, das Verzeichnis für „ambulantes Operieren“ zu überarbeiten, sind die Erwartungen des Gesetzgebers hoch. Heurich zählt Kernaspekte auf:

  1. Identifizierung des Ambulantisierungspotenzials,
  2. Reduzierung des Prüfaufwandes für die Abrechnung von Gesundheitsdienstleistungen,
  3. Schaffung eines einheitlichen Vergütungsrahmens,
  4. Transformation stationärer Strukturen hin zu neuen klinisch-ambulanten Versorgungs- bzw. Nachnutzungskonzepten.

Die Ergebnisse des Gutachtens haben Sprengkraft, konstatiert Heurich: „Das IGES-Institut geht davon aus, dass 2.476 OPS-Kodes in einen neuen AOP-Katalog integrierbar wären. Das entspricht einem Zuwachs im Vergleich zum Status Quo von 86 Prozent“. Je nach Ausgestaltung könnten die Auswirkungen für die Krankenhäuser drastisch ausfallen, so der BinDoc-Gründer weiter: „Während aktuell circa fünf Prozent der stationären Leistungen und Erlöse dem ambulanten Bereich zugeordnet werden könnten, werden es nach der neuen Definition bis zu 35 Prozent sein“.

Gelebte Ambulantisierung in der Dermatologie

Ein Fachgebiet, in dem die Ambulantisierung weiter forciert wird, ist die Dermatologie. Ähnlich wie in der Radiologie, erläutert Dermanostic-Mitbegründer Patrick Lang, benötigt die Ärzteschaft hier „nur“ Bilder in hoher Qualität und eine Anamnese als Diagnosegrundlage. „Die Dermanostic-App bietet seit einigen Jahren den Service, dass Patientinnen und Patienten Bilder zur Diagnose an die Fachärzte schicken können, die bei dem Anbieter unter Vertrag stehen.“

An die Zielgruppe der Kliniker wendet sich nun die Dermanostic-Konsildienst-App; sie ist an den Workflow der Ärztinnen und Ärzte angepasst. Der Unternehmensmitgründer erklärt: „Sie bringt Digitalisierung in die Krankenhäuser, ohne größere Strukturveränderungen zu erfordern. Nur rund fünf Prozent der Häuser führen eine dermatologische Abteilung; die Versorgung von Begleiterkrankungen der Haut war somit bislang herausfordernd“. Mit der App auf dem Smartphone schicken sie Bilder an das Dermanostic-Team; Anfrage und Konsilbefund mit Behandlungsalgorithmus werden ins KIS übernommen.

Auch schneidende Fächer und Apotheken lassen sich in diesen bequemen Ablauf einbinden. Abgerechnet wird über GOÄ – plus Technikpauschale, die Schulungen und mehr abdeckt. Mitunter sind hier DRG-Steigerungen möglich, ergänzt Lang – und unterstreicht die Vorteile der qualitativen raschen Behandlung für Patientinnen und Patienten. In manchen Fällen kann so auch eine Behandlung durchgeführt werden, die ohne diesen Service nicht stattfinden würde. Heurich beschreibt das Szenario eines Nagelpilzes, der bei Patientinnen und Patienten in der Orthopädie nicht behandelt würde. Ferner führt der Anbieter Patient-Reported Outcomes, mit denen die Einbindung der Behandelten in die fortlaufende Behandlung über die App möglich wird.

Patrick Lang
Patrick Lang, Co-Founder und Leitung Kooperationen bei Dermanostic. – © Dermanostic

„Digital vor ambulant vor stationär – so sieht die tragfähige Skalierung der neuen Versorgung aus.“

Patrick Lang

App-Modell für die Ambulantisierung weiterer Fachgebiete denkbar

Der Druck auf die Kliniken, Veränderungen in ihren Strukturen herbeizuführen, ist enorm, betont Heurich. Ein Wegfall der Vergütung für stationäre Behandlungen steht – neben der Dermatologie – insbesondere im Raum bei Innerer Medizin und Gastro, HNO, Kardiologie und Gynäkologie/Geburtshilfe. Lassen sich Ansätze wie von Dermanostic für eine Ambulantisierung nutzen? Lang kann sich dies gut vorstellen. Und: „Es muss jedenfalls zusätzlich zu den Krankenhausstrukturen – mit neuen Workflow-Rhythmen – auch Veränderungen bei Niedergelassenen geben“, lautet sein Urteil. Die Weiterversorgung ambulant Behandelter müsse gewährleistet werden. Sein Beispiel: Nach dem Eingriff eines Kreuzbandrisses ist Unterstützung im Alltag nötig.

Die Vorteile der App haben die User laut Lang überzeugt. So wird die Facharztunterstützung ebenso als willkommener Beitrag gesehen wird ihr Beitrag zum effizienten Einsatz bestehender ärztlicher Ressourcen in den Krankenhäusern. Damit „Technologie die Ambulantisierung wertvoll unterstützen kann, muss allerdings die Telematikinfraustruktur mit Informationsfluss etwa dank ePA und eRezept stehen.“

Der politisch initiierte Druck in Richtung Ambulantisierung fördert die Entwicklung und Durchsetzung neuer Lösungen für mehr Effizienz und höhere Qualität, fasst Heurich zusammen.

Dr. Manuel Heurich
Dr. Manuel Heurich, CEO BinDoc. – © BinDoc

„Die Ambulantisierungsoffensive treibt viele notwendigen Strukturveränderungen an, die durch innovative Unternehmen digitalisiert werden.“

Dr. Manuel Heurich