Interview mit Markus Mai Sturzrisiko einschätzen

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Markus Mai entwickelte ein Verfahren zur Einschätzung des Sturzrisikos. Hierfür verlieh ihm die pflegewissenschaftliche Fakultät der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Vallendar (PTHV), die 2006 ihren Lehrbetrieb aufnahm, nun als Erstem den Titel des Doktors der Pflegewissenschaft (Dr. rer. cur.).

Sturzrisiko einschätzen

Markus Mai entwickelte ein Verfahren zur Einschätzung des Sturzrisikos. Hierfür verlieh ihm die pflegewissenschaftliche Fakultät der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar, die 2006 ihren Lehrbetrieb aufnahm, nun als Erstem den Titel des Doktors der Pflegewissenschaft.

HCM: Was waren Ihre Gründe, ein Erhebungsinstrument zur Einschätzung des Sturzrisikos zu entwickeln?

Mai: Stürze können erhebliche körperliche und seeliche Folgen bei den Betroffenen haben. In meiner Masterarbeit befasste ich mich mit den vorhandenen Assessmentinstrumenten zur Einschätzung des Sturzrisikos im Krankenhaus. Dabei stellte ich fest, dass meist summenorientierte Instrumente eingesetzt werden, bei denen die Konstruktvalidität fragwürdig ist. Ich orientierte mich bei der Entwicklung der Instrumente sehr an gestürzten Personen in der Entwicklungspopulation. Die eingesetzten Gütekriterien zeigten je nach untersuchter Population eine stark unterschiedliche Instrumentenqualität an. Daneben befasste ich mich mit den Modellen der probabilistischen Testtheorie, sodass eine Kombination der Fragestellung, Instrumentenentwicklung und des Sturzrisikos nahe lag. Insofern nutzte ich das Sturzrisikokonstrukt nur exemplarisch und war bezüglich des Ergebnisses offen.

HCM: Was sind die Ziele Ihres Forschungsvorhabens?

Mai: Ich prüfte, inwieweit sich Modelle der probabilistischen Testtheorie für die Entwicklung von konstruktvaliden Assessmentinstrumenten zur Sturzrisikoeinschätzung nutzen lassen. Dies konnte ich bejahen, da es mir gelungen ist, mit den Modellen ein Assessmentinstrument zur Sturzrisikoeinschätzung zu entwickeln. Daneben fragte ich mich, ob eine Summierung von Risikofaktoren bei Sturzrisikoinstrumenten zulässig ist. Dies konnte ich wiederlegen, da die Risikofaktoren nicht aufsummierbar sind. Vielmehr kann das Sturzrisiko durch die Interpretation der Beantwortungsmuster einzelner Items, die jeweils mit Ja oder Nein zu beantworten sind, eingeschätzt werden.

HCM: Für welches Setting eignet sich Ihr Instrument?

Mai: Es wurde an einer Krankenhauspopulation getestet und eignet sich für volljährige Patienten im Krankenhaus, die nicht in Intensivstationen, neurologischen oder psychiatrischen Abteilungen betreut werden. Für andere Populationen müssten mit derselben Vorgehensweise jeweils eigene Instrumente entwickelt werden.

HCM: Mit welchen Faktoren wird das Sturzrisiko ermittelt?

Mai: Die Patienten können in zwei Gruppen, in die mit normalem und die mit erhöhtem Sturzrisiko, eingeteilt werden. Dabei sind folgende Faktoren entscheidend: Mobilitätseinschränkungen, Einschränkungen im Verstehen/Behalten, Harnableitungssystem und Sensibilitätsstörungen. Null bis ein positiv ausgeprägter Faktor zeigt ein normales Sturzrisiko an. Bei zwei positiv ausgeprägten Faktoren ist das Risiko normal, wenn nicht der Faktor Mobilitätseinschränkungen positiv bewertet wurde. Handelt es sich bei einem von zwei Faktoren um den Faktor Mobilitätseinschränkungen, so ist das Risiko erhöht. Drei und mehr positiv beantwortete Faktoren zeigen ein erhöhtes Sturzrisiko an.

HCM: Können Sie eine Aussage zu den Gütekriterien machen?

Mai: Im Hinblick auf die Konstrukt- und Inhaltsvalidität ist das Instrument als valide zu bezeichnen. Alle Signifikanztests, die üblicherweise im Bereich der probabilistischen Testtheorie eingesetzt werden, zeigen eine hohe Passung zwischen dem Modell und den zugrunde liegenden Daten. Was die Güte der Kriteriumsvalidität angeht, gehe ich in Anlehnung an das von mir entwickelte Modell (siehe Abbildung Seite 50) davon aus, dass ein stattgefundenes Sturzereignis kein valides Außenkriterium ist, mit dem man die Qualität des Instruments messen kann. Hier unterscheidet sich meine Ansicht vom gängigen Mainstream. Dort wird oft sehr unkritisch die Kriteriumsvariable, die zu vermeiden ist, eingesetzt. Denn Sturzrisiko ist nicht mit Sturz gleichzusetzen. Vielmehr muss das eigentliche Risiko als Kriteriumsvariable genutzt werden. Da dieses jedoch latent ist, also verborgen bleibt, gibt es kein zuverlässiges Außenkriterium. Somit kann die Kriteriumsvalidität nicht bestimmt werden.

HCM: Wie kann Ihr Instrument weiterentwickelt werden?

Mai: Für das Instrument müssen zunächst Erfahrungen im Praxisfeld gesammelt werden. Wichtig ist, inwieweit das Instrument Patienten, Angehörige und Pflegekräfte auf das Sturzrisiko sensibilisieren kann. Zudem sollte in weiteren Arbeiten untersucht werden, ob es zu den herkömmlichen Formen der Kriteriumsvaliditätstestung alternative Verfahren gibt, mit denen man die hohe Komplexität zwischen Risikokonstrukt und Auftreten des Ereignisses besser abbilden kann als mit Sensitivitäts- und Spezifitätsanalysen.

Das Interview führte Ivonne Rammoser.

Markus Mai

Markus Mai ist Krankenpfleger und arbeitet als stellvertretender Pflegedirektor am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Trier. Kontakt: M.Mai@bk-trier.de

Er studierte Pflegemanagement, Organisationswissenschaften und Pflegewissenschaft in Mainz, Hildesheim und Vallendar und promovierte im Jahr 2010 zum Dr. rer. cur.