Was schon möglich ist und was noch kommen könnte Schöne neue Schnipselwelt

Transhumanismus – abgeleitet aus dem Lateinischen von „jenseits, über, hinaus“ und „menschlich“ – will die Grenzen menschlicher Möglichkeiten durch den Einsatz technologischer Verfahren erweitern. Ob es sich dabei, frei nach dem Roman von Aldous Huxley, medizinisch um eine „Schöne neue Welt“ handelt, darf zuweilen bezweifelt werden.Höher, schneller, weiter – das Credo vieler Sportler, überhaupt vieler Erfolgshungriger findet längst sein Pendant in der transhumanen Medizin. Eher, besser, länger – so ließe sich als Intention zusammenfassen, was Forscher anvisieren, nämlich schon präventiv Seuchen und Volkskrankheiten zu verhindern, weitere Erkrankungen einzudämmen bzw. zu heilen, um letztlich jedes Leben jederzeit verlängern zu können. Das Spektrum dafür ist riesig: Von nach Wunsch veränderten Genen über „echt“ gezüchtete Herzen bis hin zu Organen aus dem 3-D-Drucker oder künstlicher Intelligenz scheint längst alles möglich. Spannend! Aber – darf man alles, was geht? Denn: Geht es tatsächlich nur um Gesundheit und Patienten oder manchmal auch um Eitelkeit …? „Tabus von heute werden morgen zur Normalität“, sagt der US-Zukunftstechnologe Dr. Dr. Jamie Metzl im HCM-Interview auf den vorherigen Seiten. Was man sich zu oben genannten Beispielen derzeit vielleicht noch nicht wirklich als Realität vorstellen kann, hat jedoch bekannte Vorläufer, die inzwischen fast als alte Eisen gelten. Wir erinnern uns: Als mit Louise Joy Brown im Juli 1978 der erste in vitro gezeugte Mensch geboren wurde, gab es geteilte Reaktionen – was den einen Sensation war, erschien den anderen als Skandal. Ähnlich Jubel und Schock, als genau 18 Jahre später mit dem Schaf Dolly das erste aus einer ausdifferenzierten somatischen Zelle geklonte Säugetier das Licht der Welt erblickte. Ob Retortenbaby oder Klone, zumindest im Sprachgebrauch sind beide Phänomene (fast) schon Alltag. Zumal sowohl Louise als auch Dolly zwei bzw. mehrere Nachfahren haben, die jeweils problemlos auf natürlichem Wege geboren wurden. Zwei Geschöpfe also, die sich völlig „normal“ in die Evolution ihrer Spezies einreihten. Oder gibt es doch noch Gesprächsbedarf? Gleich zwei Kinofilme knüpften jüngst genau an diese Techniken an – und stellten unbequeme Fragen. In „My Zoe“ kann sich eine Mutter nicht mit dem plötzlichen Tod ihrer kleinen Tochter abfinden, entnimmt dem leblosen Körper Gewebeproben und reist nach Moskau, zu einem Fachmann für künstliche Befruchtung. Das Science-Fiction-Melodram spielt zwar im Jahr 2024, doch was in vier Jahren sein könnte, wäre eigentlich eh schon möglich. Nur – darf man sowas tun? Während in „Little Joe“ eine Botanikerin eine purpurrote Blume erschaffen hat, die bei idealer Raumtemperatur und ausreichender Zuwendung mit ihrem Duft die Menschen glücklich macht. Benannt nach ihrem 13-jährigen Sohn, der mit der Pflanze fortan zu Hause wohnt, entwickelt sich die genmanipulierte Schöpfung langfristig jedoch nicht nach Plan, ist weder harmlos noch glückverheißend. Haben Wissenschaftler wirklich die Kontrolle über solche (gut gemeinten) Eingriffe? Da werden knapp 90 Jahre nach Erscheinen des dystopischen Romans „Schöne neue Welt“ von Aldous Huxley furchterregende Erinnerungen wach. Auch hier spielt die Geschichte zwar in der Zukunft, im Jahr 2540 – aber die Manipulationen von Embryonen und Föten (mit anschließend mentaler Indoktrinierung) lassen eben eine gezielte „Verwendung“ der Kleinkinder zu, hier für gesellschaftliche Kasten, denen sie angehören sollen. So eine Schnittmenge aus der Pflanze „Little Joe“ und gezielter Reproduktion à la „My Zoe“. Ein Chinese, der die Erde schockteTatsächlich kommen die Filme passend zu einer Zeit, in der zuletzt ein Chinese die Erde schockte. Im November 2018 gab He Jiankui kund, dass soeben die weltweit ersten genmanipulierten Zwillinge geboren seien. Dazu hatte der Biophysiker nach eigenen Angaben das Erbgut von durch künstliche Befruchtung gezeugten Zwillingsschwestern mit der CRISPR-Methode verändert, um die Mädchen gegen HIV immun zu machen, weil der Vater entsprechend infiziert war. Ein Sturm der Entrüstung wehte über den Planeten, die Mehrheit der Kritiker verurteilte den Eingriff aus ethischen Gründen. Jetzt im Dezember wurde der 34-Jährige zu einer Haftstrafe von drei Jahren verurteilt. (Mehr zur „Genschere“ CRISPR auf der nächsten Doppelseite.) Nun mag dieses Beispiel eines der neuesten und extremsten sein. Andere Techniken sind allerdings ebenfalls schon auf dem Weg. So ist es seit August japanischen Forschern erlaubt, künftig menschliche Organe in Tieren zu züchten. Sie dürfen also Mischwesen schaffen, indem menschliche Stammzellen in Tierembryos eingepflanzt werden, damit während der Tragezeit entsprechende Organgewebe heranwachsen – was wiederum international laut diskutiert wird. Für die Medizinethikerin Christiane Woopen von der Uniklinik Köln kein Problem: Es komme darauf an, dass man keine Artüberschreitung mache und die spezifischen Charakteristika sich verunklarten, sagte sie im Deutschlandfunk. Derweil gedeihen in bayerischen Schweinen inzwischen menschliche Herzen: Genforscher Prof. Eckart Wolf und sein Team haben die Tiere geklont und ihr Erbgut manipuliert, damit die DNA zu menschlichen Körpern passt. In rund drei Jahren könnte das erste Herz aus dieser Versuchsreihe bei einem Menschen eingesetzt werden. Angesichts des Mangels an Organspenden stehen Transplantationen eben hoch im Kurs. So stellt sich die Frage, ob das Rennen um ein alternatives Herz vielleicht im Nahen Osten gemacht wird: Israelische Forscher haben im Frühjahr 2019 ein Herz aus menschlichen Zellen hergestellt – aus dem 3-D-Drucker. Der Prototyp ist etwa so groß wie eine Kirsche, im Format eines Hasenherzes oder dem eines Fötus‘. Und er schlägt noch nicht, weil sich die Zellen noch nicht synchron zusammenziehen können. Gleichwohl, das ausgedruckte Exemplar besteht aus Gewebe, Blutgefäßen und verfügt über Kammern. Vorteil auch: 3-D-Produkte“ können irgendwann perfekt an Größe und Alter des Patienten angepasst werden, und der Empfänger würde nicht mit Abwehrreaktionen kämpfen, bräuchte keine Medikamente dagegen einzunehmen. Ganz neu sind solche Visionen nicht: Im Sommer 2016 präsentierte der US-Gewebezüchter Prof. Dr. Anthony Atala beim Hauptstadtkongress in Berlin seine damals neuen Forschungsergebnisse für das sogenannte Bioprinting, darunter ein kleines Ohr aus lebendem Gewebe. Schließlich gibt es z.B. bei schweren Verletzungen im Gesicht Dank digitaler Diagnostik schon entsprechend aufbereitete und individuell gefertigte Implantate. Die Weiterentwicklung von MaschinenRichtig futuristisch hingegen wird es, wenn es um die Weiterentwicklung von Maschinen geht. Forschern in den USA ist es vor ein paar Wochen zum ersten Mal gelungen, mithilfe von Zellen eines afrikanischen Krallenfroschs einen Roboter zu bauen, der sich aus eigener Kraft fortbewegen kann. Von wegen Angst vor Mischwesen … „Das sind völlig neue Lebensformen. Sie haben noch nie auf der Erde existiert“, erklärte dazu Michael Levin, Direktor des Allen Discovery Center in Massachusetts. Auch dieser Winzling hat einen Vorteil: Er kann seine Wunden selbst heilen. Levin sagte, es gehe auch um das Verständnis von biologischen Strukturen. Dabei sei u.a. die Berücksichtigung von Geburtsfehlern, Krebserkrankungen oder altersbedingten Krankheiten wichtig: „Das Ziel ist es, die Software des Lebens zu verstehen.“ Eine Software, die zudem eine maschinelle Konkurrenz hat, nämlich die von künstlicher Intelligenz aus dem Computer. Prof. Dr. Axel Ekkernkamp hat ab Seite 32 wichtige Entwicklungen dazu zusammengestellt, nicht zuletzt solche, die die stete Verlängerung des Lebens hinterfragen. Und auch für die Genschere CRISPR, die wir auf den nächsten Seiten vorstellen, gilt: Was draus wird, liegt immer noch in unserer Hand. Carolina Heske

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