1. BKK-Thinktank in Berlin Raus aus dem Aktionismus

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Beim „agilen Satellit des Beschaffungskongresses“ am 7. und 8. Dezember 2022 trafen sich rund 150 Teilnehmende aus Beschaffung, Einkauf und Versorgungsmanagement, um unter Chatham House Rule offen über Wege durch Krise und Transformation zu sprechen. HCM hat die Essentials eingefangen.

Beschaffung und Einkauf in Health­care-Einrichtungen geht es ähnlich wie vielen anderen Abteilungen: Der Nachwuchs fehlt, die Fachkräfte wechseln in andere Funktionen oder Branchen. Dazu kommen Herausforderungen durch die geopolitische Lage sowie tradierten Strukturen des bestehenden Systems. All das fordert v.a. die heraus, die (noch) darin arbeiten und versuchen, es am Laufen zu halten, v.a. mit dem einen primären Ziel von Healthcare-Einrichtungen: die Versorgung sicherzustellen. Dabei ist man sich bewusst, dass „die Folgen der Pandemiejahre und die Umwälzungen 2022 erst in diesem Jahr voll zu spüren sein werden – als die größten Herausforderungen, die wir je erlebt haben“, wie es Adelheid Jakobs-Schäfer, Geschäftsführerin, Sana Einkauf & Logistik, ausdrückte. Angesichts solch düsterer aber durchaus realistischer Szenarien wurde beim Thinktank nicht in Silos oder Abteilungen gedacht, dafür Wege und Lösungen auf der Metaebene von Krankenhäusern und anderen Healthcare-Unternehmen gesucht – mit dem Anspruch, „selbst die Antworten zu geben, die wir brauchen“. Denn: „Die Orientierungslosigkeit in der Politik wirkt sich auch auf die Patientinnen und Patienten aus, die sich dadurch einer schlechteren Versorgung gegenüberfinden“, wie es in Berlin zu bedenken gab. Aber wie kann es nun gelingen, das Segment der Beschaffung so zu stärken, dass es nachhaltig dazu empowert wird, seinen Beitrag für eine sichere Versorgung zu leisten? Auf folgende Erkenntnisse haben sich die Teilnehmenden des BKK-Thinktanks mit Blick auf den Fachkräftemangel geeinigt:

  • Mitarbeitende sind zu stärken: Sie können gemeinsam etwas bewegen, wenn sie dabei unterstützt werden, die Prozesse, in denen sie Expertinnen und Experten sind, zu verbessern.
  • Wer New-Work-Konzepte etablieren möchte, sollte diese an die Wünsche und Anforderungen der Mitarbeitenden, v.a. auch mit Fokus auf die Bedürfnisse jüngerer Generationen, anpassen. Eine kleinteilige Befassung mit unterschiedlichen Ansatzmöglichkeiten wie Arbeitszeit und Gehalt ist unumgänglich.
  • Mehr Wertschätzung ist nicht grundsätzlich gleichzustellen mit mehr Gehalt, aber eine als leistungsgerecht empfundene Vergütung in Verbindung mit „Fringe Benefits“, die dabei helfen, Familie und Beruf zu vereinbaren, werten Mitarbeitende als Ausdruck von Anerkennung.

Diese Erkenntnisse entstanden in Bezug auf die Rolle der Beschaffung auf Einrichtungsebene:

  • Schnelligkeit muss Priorität eingeräumt werden, um aus der Regulatorik herauszukommen.
  • Die Bereitstellung von Produkten muss bis zum Patientenbett, nicht nur bis in die Klinik, gesichert werden.
  • Value-based-Procurement ist kein Marketing-Begriff, sondern essenziell für eine nachhaltige Aufstellung von Beschaffung und Einkauf, die das Patienteninteresse in den Mittelpunkt stellen und gleichzeitig die Auswirkungen in die Gemeinde berücksichtigt.
  • Beschaffung sollte mehr Nähe zur operativen Ebene suchen und dort für mehr Interesse sowie Einbindung in Produktentscheidungsprozesse sorgen.

Auf Metaebene einigte man sich auf folgende Schlüsselerkenntnisse:

  • Entscheiderinnen und Entscheider brauchen mehr Mut, Verantwortung zu übernehmen und Veränderungsentscheidungen zu treffen und v.a. deren Konsequenzen mitzutragen.
  • Angesichts der andauernden Krisen, ist der Spagat zwischen der operativen Sicherstellung der Versorgung auch die strategische Ausrichtung zu erlernen. Das Argument „für Strategien haben wir keine Zeit“ zählt nicht mehr.

Zeit in Kombination mit Mut wird wohl darüber entscheiden, ob es gelingt, „aus dem Aktionismus rauszukommen“, wie Jakobs-Schäfer in Berlin forderte. Vorgemacht haben es die Entscheider und Entscheiderinnen im dänischen Gesundheitssystem. Einige von ihnen waren in Berlin gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern der Handelsabteilung der Dänischen Botschaft zu Gast und teilten ihre Erfahrungen aus der Transformation – der man Unrecht tut, sie allein auf die Digitalisierung zu reduzieren. Was in Dänemark stattgefunden hat – und darauf machte u.a. Susanne Hyldelund, die Botschafterin des Königreichs Dänemark in Deutschland, aufmerksam – ist ein mutiger Mindset-Wandel, der mit realistischem Blick auf die Rahmenbedingungen im Nachbarland dazu beigetragen hat, neue Strukturen zu schaffen, die deren Bedürfnissen angepasst sind. Aber nicht ohne sämtliche Maßnahmen regelmäßig neu zu hinterfragen, wissenschaftlich zu evaluieren und Korrekturen vorzunehmen.

Ein weiterer wertvoller Input kam zum Umgang der Krankenhäuser mit der angespannten finanziellen Lange und dringender Investitionen in die Zukunft ebenfalls aus einem deutschen Nachbarland: Kristian Schneider, CEO am Spitalzentrum Biel, berichtete von seinen Erfahrungen aus der Schweiz. Hier stehen in den kommenden zehn Jahren zehn Milliarden Euro an Investitionen (Immobilien ohne Digitalisierung) an. Diese stammen prinzipiell aus der Investitionspauschale, die dort in den DRGs integriert ist. Schneiders Fazit: „Wir kommen um Investitionen nicht herum.“

Anmerkung der Redaktion: Die zitierten/genannten Personen haben der Veröffentlichung ihrer Namen in diesem Beitrag zugestimmt.

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    Rund 150 Teilnehmende sind Anfang Dezember 2022 nach Berlin gekommen, um dort beim 1. BKK-Thinktank über Lösungen für die Herausforderungen in Beschaffung und Einkauf zu diskutieren. Mit dabei: Eine Delegation aus Dänemark.
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    Prof. Dr. Dr. Wilfried von Eiff moderierte den 1. BKK-Thinktank und leitete die Teilnehmenden zum regen und offenen Austausch an.
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    Der Austausch in kleinen, fachlichen Runden ermöglichte es, verschiedenen Perspektiven Raum zu geben.
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    Kristian Schneider, CEO Spitalzentrum Biel AG, berichtet aus der Schweiz.

Vier große Linien der digitalen Transformation

  • Prävention und Prädiktion werden gestärkt, das wirkt sich auch auf die Anforderungen an Produkte aus.
  • Das geforderte Set an Kompetenzen in Gesundheitsberufen verändert sich. (Digitale) Kommunikation rückt in den Vordergrund, die wiederum Moderatorinnen und Moderatoren nötig macht.
  • Große, international agierende Playern lassen die Gefahr auf ein Gesundheitsdatenmonopol steigen. Begünstigt wird dieses Risiko durch das Aufbrechen der Sektoren und die damit einhergehende Bedingung der zentralen Datenverarbeitung.
  • Das Messbarmachen von Behandlungseffekten wird durch die Digitalisierung begünstigt.

Quelle: 1. BKK Thinktank, Dezember 2022, Berlin

11-Punkte-Plan für ein zukunftsorientiertes Beschaffungsmanagement

Prof. Dr. Dr. Wilfried von Eiff, Leiter des Centrums für Krankenhaus-Management, Universität Münster, stellte als Resüme des 1. BKK-Thinktanks einen Leitfaden mit Handlungsempfehlung für Beschaffung und Einkauf in Krankenhäusern für 2023 vor:

1 Verbindliche Kooperationen und strategische Partnerschaften erhöhen die Versorgungssicherheit.

2 Neuorientierung des Beschaffungsmanagementes durch verstärkte Berücksichtigung von Entscheidungskriterien des Konzeptes „Value-based Healthcare“ mit Fokus auf Patienten-Outcome, Prozesseffizienz und Prozesseffektivität sowie Effekte in der Gemeinde.

3 Erwartungen an die Medizinproduktehersteller, verstärkt VBHC-orientierte Angebote zu machen.

4 Ausrichten des Beschaffungsmanagements auch auf Beiträge zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen der am am Bett tätigen Berufsgruppen.

5 Verankerung eines Risikomanagements in Form eines Rating- und Monitoring-Systems in Einkauf und Logistik zur Bewertung von Risiken entlang von Lieferketten.

6 Flexibilisierung des Bezugsquellenmanagements durch alternative Bezugsmärkte, neue Lieferanten und Ersatztechnologien.

7 Schrittweise Umsetzung eines nachhaltigen Beschaffungsmanagements auf Basis von Zielen, Aktionsschwerpunkten, Mess-Indikatoren und Nachhaltigkeitskriterien.

8 Forderung an die Medizintechnikindustrie, nachhaltige, langlebige Produkte und LPU-Produkte verstärkt anzubinden.

9 Einkaufsgemeinschaften sind als Projekt- und Change-Manager sowie als Berater bei Digitalisierung, Nachhaltigkeitsmanagement und Health Technology Assessment gefordert.

10 Beschaffungsmanager und -managerinnen sollen sich verstärkt auf den Gebieten VBHC-Controlling, Digitalisierung sowie Nachhaltigkeitsmanagement professionalisieren.

11 Die Politik ist aufgerufen, für stabilisierende Rahmenbedingungen zu sorgen, das System von vermeidbaren bürokratischen Auflagen zu entlasten und durch klare staatliche Industriepolitik die einseitigen Abhängigkeiten von globalen Monopol-Bezugsquellen zur vermeiden.

Kontakt zur Autorin:

Bianca Flachenecker, bianca.flachenecker@holzmann-medien.de