Interview mit Dr. Markus Mai „Pionierarbeit“ für den künftigen Status einer Profession

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Der Präsident der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz hat mit HCM über das Sozialprestige der Pflege gesprochen. Mai ist examinierter Gesundheits- und Krankenpfleger und erklärt, warum ein Beruf, dem die Gesellschaft in erster Linie Empathie zuschreibt, es in Sachen Status oft nicht einfach hat.

Dr. Markus Mai, Praesident (© Lisa Treusch)
Dr. Markus Mai, Präsident der Pflegekammer Rheinland-Pfalz. – © Lisa Treusch

Herr Dr. Mai, wie beschreiben Sie den Status quo des Sozialprestiges der Pflege in Deutschland?

Mai: Meiner Wahrnehmung nach wird die Pflege in der Gesellschaft im Vergleich zu anderen Berufsgruppen, einschließlich angrenzender Bereiche wie der Ärzteschaft, hauptsächlich aus einer emotionalen Perspektive betrachtet und bewertet. Im Gegensatz zur Ärzteschaft, die zweifelsohne ein hohes Sozialprestige genießt, fehlt es der Pflege aufgrund ihrer historischen Entwicklung an einer festen akademischen Verankerung. Als Pflegekammer arbeiten wir in Zusammenarbeit mit anderen berufspolitischen Verbänden daran, diesen Umstand zu ändern, doch die Einflüsse der Vergangenheit sind noch spürbar. In der Pflege entsteht häufig der Eindruck des Bedauerns, was beispielsweise während der Corona-Pandemie in Form von Applaus sichtbar wurde. Dieses Phänomen wird von anderen Berufsgruppen, die vergleichbaren Einsatz gezeigt haben, nicht in gleichem Maße erlebt. Meiner Interpretation nach erwartet die Gesellschaft von Berufsgruppen, die vermutlich höhere Einkommen erzielen, auch eine entsprechende Gegenleistung.

Also wird das Sozialprestige der Pflege Ihrer Einschätzung nach stark beeinflusst durch den Ausbildungshintergrund, einer vergleichsweise schlechten Bezahlung und Mitleid? Gibt es noch weitere Faktoren?

Mai: Auch die zugrundeliegende Handlungslogik eines Berufs beeinflusst die Wahrnehmung maßgeblich. Hierbei ziehe ich erneut den Vergleich zur Ärzteschaft heran: Mediziner und Medizinerinnen folgen einer standardisierten Handlungslogik, die teilweise auch in der Gesellschaft verankert ist. Pflege hingegen wird oft eine stärker emotionale Handlungslogik zugeschrieben. Obwohl Ärzte und Ärztinnen ebenfalls eine solche Komponente in Anspruch nehmen, wird sie in der breiten Wahrnehmung der Pflege überbetont. Dies könnte unter anderem daran liegen, dass die Pflege oft direkter und länger mit den Patienten in Kontakt ist. Meiner Auffassung nach könnte übermäßige Emotionalität, insbesondere, wenn sie in Mitleid umschlägt, das soziale Ansehen beeinträchtigen. Diese Hypothese müsste jedoch noch wissenschaftlich untersucht werden.

Wenn man nun zynisch wäre, könnte man sagen, dann lassen wir in der Pflege einfach die Empathie weg, und erreichen das Sozialprestige der Ärzteschaft.

Mai: Wahrscheinlich wäre das sogar langfristig so. Die Frage ist aber, ob es nur dieser Faktor ist.

Kaum. In den bisherigen Interviews nannten die Expertinnen und Experten u.a. auch den Zugang zur Profession als entscheidenden Faktor.

Mai: Korrekt. Pflege hat wie viele andere Berufe, die ein geringes Einstiegsniveau haben, ein höheres Risiko für ein im Vergleich schlechteres Sozialprestige.

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Oft muss sich die Pflege dem Vorwurf stellen, dass dieser Umstand selbst verschuldet ist. Wie sehen Sie das?

Mai: Es stimmt, dass wir als Profession sicherlich eine gewisse Mitverantwortung tragen. Jedoch liegt die Schuld nicht allein bei uns. Bereits in den 80er Jahren des vorletzten Jahrhunderts erfuhr die Pflege in Deutschland im Vergleich zur Pflege im Ausland eine erhebliche Entwicklungsbremse. Zu dieser Zeit begann die Ärzteschaft, die Richtung des Pflegeberufs mitzubestimmen. Dadurch gerieten wir im Vergleich zu anderen Ländern ins Hintertreffen. Hinzu kommt, dass der Pflegeberuf von jeher stark von Frauen geprägt war und somit den Einflüssen überholter Frauenbilder ausgesetzt war. Glücklicherweise erleben wir seit geraumer Zeit einen signifikanten Wandel, der Veränderungen mit sich bringt. Jedoch besteht auch hinsichtlich Bildung und akademischem Hintergrund noch erheblicher Nachholbedarf in der Pflege. Die Einführung der Generalistik könnte bereits einen ersten Schritt in die richtige Richtung darstellen. Eine verstärkte Akademisierung würde nicht nur qualitative Verbesserungen mit sich bringen, sondern auch das Sozialprestige steigern.

Wie fällt Ihre Prognose für die Zukunft des Sozialprestiges der Pflege aus?

Mai: Ich bin fest davon überzeugt, dass sich das Sozialprestige der Pflege verändern wird. Wenn wir in die Vergangenheit zurückblicken, erkennen wir bereits eine gewisse Dynamik. Nun gilt es, diese Dynamik in die richtigen Bahnen zu lenken. Unsere Pionierarbeit zur Steigerung des Sozialprestiges in der Pflege bildet die Grundlage für das zukünftige Ansehen der Profession sowohl in der Gesellschaft als auch im Gesundheitswesen.

Die Frage nach Sozialprestige in der Pflege

Dieses Kommentar findet Anlehnung an das Interview mit Prof. Heinz Lohmann zur Frage nach Sozialprestige in der Pflege mit HCM-Chefredakteurin Bianca Flachenecker.

Zum Interview mit Prof. Heinz Lohmann

Kommentar eines Klinikmanagers

Dr. Markus Horneber, Vorstandsvorsitzender der Agaplesion gAG, bezieht in einem Kommentar auf www.hcm-magazin.de ebenfalls Stellung zum Thema: VUCA-BANI-Welt und Prestige

Andrea Schmidt-Rumposch, Pflegedirektorin, Vorstand an der Universitätsmedizin Essen, erklärt ihre Sicht auf das Thema: „Pflege ist ja so ein wichtiger Beruf – aber ich könnte das nicht“ – Health&Care Management (hcm-magazin.de)

Robert Möller, CEO Helios Kliniken, erläutert in einem persönlichen Kommentar seine Sicht auf „die Frage nach Sozialprestige in der Pflege“: „Jeder ist an seinem Platz unverzichtbar“ – Health&Care Management (hcm-magazin.de)

Vera Lux, Geschäftsführung Pflege an der Medizinischen Hochschule Hannover, im Interview mit HCM mit Einblicken zu Maßnahmen für mehr Sozialprestige in der Pflege, der Rolle der Arbeitgeber und der Rolle der Pflegefachpersonen selbst: „Auch die Pflege selbst hat Fehler gemacht“ – Health&Care Management (hcm-magazin.de).

Robert Jeske, Pflegedirektor am Universitätsklinikum Ulm, gibt im Gespräch mit HCM zur Frage nach Sozialprestige in der Pflege Einblicke in die Maßnahmen seines Hauses, um der Pflege strukturell attraktive Arbeitsbedingungen zu bieten: „Abschied vom Konkurrenzdenken schafft Augenhöhe“ – Health&Care Management (hcm-magazin.de)

Peter Bechtel, Geschäftsführer Theresienklinik Bad Krozingen und Vorsitzender des Vorstandes des Gründungsausschusses der Pflegekammer Baden-Württemberg, über die Rolle der Selbst-Wertschätzung: https://www.hcm-magazin.de/sich-als-profession-selbst-staerker-wertschaetzen-355294/