Interview mit Dr. Patricia Ex Patientenlotsen: Wie geht es weiter?

Das Gesundheitssystem wird immer komplexer, v.a. aus Patientensicht. Besonders chronisch Erkrankte wünschen sich mehr Unterstützung. Spezielle Lotsen könnten ihnen den Übergang zwischen Sektoren erleichtern, doch noch ist das Konzept in der Projektphase. Und danach?Dr. Patricia Ex ist seit 2017 Geschäftsführerin des Bundesverbands Managed Care.Lange diskutiert, doch nicht in der Regelversorgung angekommen: Patientenlotsen. Gerade bei der intersektoralen Versorgung könnten sie eine Schlüsselrolle spielen. Denn ihr Nutzen ist angesichts der alternden Gesellschaft, steigender chronischer Erkrankungen und oft multimorbiden Patienten naheliegend. Aktuell werden durch den „Innovationsfonds“ Modellprojekte gefördert, doch die Finanzspritze läuft für viele nächstes Jahr aus. Was dann? Werden die Helfer über Krankenkassen abgerechnet? Sollen sie als Selbstständige tätig sein oder als Angestellte angedockt werden? Der Bundesverband Managed Care setzt sich bereits jetzt für mehr Klarheit unter den Beteiligten ein. HCM sprach mit Geschäftsführerin Dr. Patricia Ex. Wo liegen die Schwierigkeiten bei der intersektoralen Patientenversorgung? Ex: Die Sektoren sind komplett abgeschirmt. Sie folgen alle ihrer eigenen Logik durch unterschiedliche Rahmenbedingungen zu Vergütung, Kapazitäts- und Bedarfsplanung, Qualitätssicherung usw. Die Gefahr im aktuellen System ist nicht nur, dass es unübersichtlich und kompliziert ist; vor allem finden notwendige Behandlungen nicht statt, an anderer Stelle werden Patienten unnötigen Leistungen unterzogen. Diese Erkenntnis ist fast 20 Jahre alt – im Jahr 2001 gab der Sachverständigenrat das wegweisende Gutachten heraus. Doch die Akteure haben erst einmal kein eigenes Interesse sich umzustellen. Und warum besteht kein eigenes Interesse? Ex: Die Vernetzung ist nicht intuitiv. Für Leistungserbringer muss es nicht bösartig gemeint sein, gegen Patientenbedürfnisse zu agieren. Sie machen ihren Job. Der einzige Weg ist meines Erachtens, Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass eine sektorenübergreifende Versorgung naheliegend ist, damit Einrichtungen leichter die Extrameile laufen wollen und können. Sie sprechen sich deswegen für mehr Anreize aus? Ex: Ja, aber hier diskutieren wir zu viel über finanzielle Anreize. Das funktioniert vielleicht kurzfristig, führt aber zu neuen Fehlanreizen. Wichtig ist, eine Kultur der Zusammenarbeit zu etablieren. Im deutschen Gesundheitswesen ist es üblich, dass Entscheidungen allein getroffen werden. Die Ausbildung der Gesundheitsprofessionen erfolgt größtenteils abgeschottet voneinander, obwohl Teile des Studiums sehr wohl einheitlich sind. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern stecken wir da noch in den Kinderschuhen. Was heißt das konkret? Ex: Das heißt: Wie können wir Berufsgruppen wie nicht-ärztliche Gesundheitsberufe, Apotheker, Sozialarbeiter etc. mehr in die Patientenversorgung einbeziehen? Wie können wir mit digitalen Tools dafür sorgen, dass Patienten gar nicht merken, dass sie von einem in den anderen Sektor übergeleitet werden? Voraussetzung ist ein Netzwerk, in dem es selbstverständlich und für Beteiligte sinnvoll ist, dass stationäre Behandlung, medikamentöse Therapie und kurative oder rehabilitative ambulante Nachsorge Hand in Hand arbeiten. Dafür ist es essentiell, dass nicht-ärztliche Gesundheitsberufe einen höheren Stellenwert in der Versorgung erhalten. Gibt es Best-Practice-Beispiele aus anderen Ländern? Ex: Viele Länder machen damit beste Erfahrungen, wie die Schweiz, Dänemark, Kanada, die USA und Spanien. In Kanada und Spanien haben sogenannte Physician Assistants eine wichtige Rolle in ambulanten Zentren, indem sie z.B. chronische Patienten eigenständig betreuen, bestimmte Medikamente verordnen. Andere Länder arbeiten mit Registered Nurses, die die Arbeit von Ärzten unterstützen. In der Schweiz haben Walk-in Clinics an zentralen Orten täglich von 7 bis 22 Uhr geöffnet. Dort arbeiten Registered Nurses, also akademisch ausgebildete Pflegekräfte, nehmen Blut ab, führen Gespräche und können die Patienten per Telemedizin mit Ärzten verbinden. Sind Patientenlotsen hierzulande das Pendant? Ex: Patientenlotsen sind auch eine Form nicht-ärztlicher Gesundheitsberufe und gewinnen gerade zunehmend an Bedeutung. Wie geht es mit dem Lotsen- Konzept weiter? Ex: Das Konzept ist alles andere als neu, aber insbesondere der Innovationsfonds hat großen Schwung in die Praxis gebracht. Knapp 30 Projekte der 150 geförderten neuen Versorgungsformen beinhalten Lotsen oder Coaches, die Patienten koordinieren. Durch den Innovationsfonds liegt der Fokus nicht mehr auf der Frage: Macht es Sinn, diese Berufsgruppe einzusetzen? Das kann man mit einigem Nachdruck beantworten; Patientenlotsen machen Sinn. Es geht jetzt darum, konkrete Fragen für die Praxis zu beantworten: Wie weitreichend sind ihre Kompetenzen? Wo sollten sie arbeitsrechtlich angedockt sein? Sind sie selbstständig? Wie werden sie vergütet? Diese Umsetzungsfragen werden mit den Projekten im Innovationsfonds genauer beleuchtet. Gibt es erste Erkenntnisse? Ex: Ich erwarte, dass die Arbeit von Patientenlotsen durch digitale Tools gestärkt wird. Wenn beispielsweise die beteiligten Leistungserbringer eine gemeinsame digitale Akte mit den Befunden des Patienten haben, ist eine Koordination und Betreuung viel zielgerichteter möglich. Es gibt da noch viele Möglichkeiten. Die sind aber noch nicht abschließend geklärt. Bis wann sollen diese Fragen geklärt sein? Ex: Es gibt keinen „Tag X“, allerdings beinhaltet der Innovationsfonds eine verpflichtende Evaluation. Das heißt auslaufende Projekte steigen mit einer Zusammenfassung ihrer Erkenntnisse aus der Förderung aus. Im Laufe des nächsten Jahres wird das für die ersten Projekte der Fall sein. Das ist nicht mehr lange. Ex: Deswegen treten wir als Verband aktuell mit der Politik und verschiedenen Playern in Kontakt, um zu klären: Was können wir für die verschiedenen Indikationen lernen und welche grundsätzlichen Parameter für Patientenlotsen formulieren, damit sie in der Regelversorgung ankommen. Dem Schlaganfallpatienten in Baden-Württemberg ist es egal, dass es ein tolles Konzept in Hamburg gibt. Erfolgreich ist das Modell erst dann, wenn es dem Großteil der Versicherten zur Verfügung steht. Was passiert mit Projekten, deren Förderung durch den Innovationsfonds endet? Ex: Die Überführung der Projekte ist eine weitere zentrale Frage. Denn Einrichtungen haben Personen angestellt, Netzwerke aufgebaut und Strukturen etabliert. Wenn die Finanzierung ohne Zukunftsaussichten endet, werden natürlich Mitarbeiter freigestellt und die aufgebauten Strukturen schlafen ein. Wie soll es mit der Finanzierung weitergehen? Ex: Wir merken, dass die Politik auf der einen Seite sehr interessiert daran ist, wie die verschiedenen Ansätze in die Fläche skaliert werden können. Auf der anderen Seite wird Projekten nahegelegt, sie könnten individuell nach Projektende weitermachen. Verschiedene Krankenkassen wurden bereits angesprochen, ob sie das Lotsenmodell weiter fördern können. Aber in der Versorgungspraxis funktionieren die meisten neuen Modelle erst, wenn sie über die verschiedenen Kassenarten abrechenbar sind. Und was sagen die Krankenkassen dazu? Ex: Es ist wirklich bemerkenswert, wie viele Krankenkassen gemeinsam mit anderen Akteuren das Thema vorantreiben. Aber auch die Krankenkassen fühlen sich alleine gelassen, wenn man ihnen die Projektfinanzierung zuschiebt, sobald das Innovationsfondsprojekt abgeschlossen ist. Denn eigentlich ging es darum, Evidenz für die gesamte Versorgung zu erhalten und nicht nur für eine Einzelkasse. Das Gespräch führte Sabrina Demmeler.

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