IGES-Gutachten nach § 115b Abs. 1a SGB V Pandemie beschleunigt Trend zur Ambulantisierung

Bestehende ambulante Behandlungsmöglichkeiten sollen in den Krankenhäusern besser genutzt und ausgebaut werden. Die Verlagerung stationärer Behandlungen in ambulante Leistungen ist erklärtes Ziel der Gesundheitspolitik. Die Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV), die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) verfolgen unterschiedliche Interessen. Während die GKV eine wirtschaftlichere Leistungserbringung anstrebt, steht für die DKG der drohende Verlust stationärer Budgetanteile im Vordergrund. Die entstehenden nicht unerheblichen Deckungslücken würden der Kompensation bedürfen, die in Teilen durch eine verstärkte ambulante Behandlung bisher stationärer Patientinnen und Patienten mit Ausweitung des ambulanten Versorgungsauftrages und entsprechenden Budgets geschehen könnte. Die KBV wiederum hat als Vertretung der Vertragsärztinnen und -ärzte kein Interesse an einer Ausweitung der ambulanten Versorgung durch Krankenhäuser, die sich dann gegebenenfalls nicht nur auf die ehemals stationär versorgten Menschen beschränken würde. Auch wird für die Übernahme zusätzlicher ehemals stationärer zukünftig ambulanter Leistungen eine Aufstockung des Budgets erwartet. Gleichzeitig deuten die allseits bekannten Wartezeiten insbesondere für komplexe und akute fachärztliche Versorgungen im vertragsärztlichen Bereich darauf hin, dass zusätzliche Kapazitäten für aktuell stationär behandelte Patientinnen und Patienten nicht erwartet werden dürfen. Verschiedene Versuche des Gesetzgebers, das sogenannte ambulante Potenzial zu heben, haben keine durchschlagende Wirkung gezeigt. Dies gilt sowohl für restriktive Maßnahmen wie die zunehmend intensive Prüfung der ambulant-sensitiven Fälle durch den Medizinischen Dienst (MD) der Krankenkassen als auch für Anreize, wie sie z.B. durch die ambulante spezialfachärztliche Versorgung (ASV) oder die Einführung von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) an Krankenhäusern ab 2006 geschaffen wurden. Entsprechend dem Monitor Versorgungsforschung 6/2020 variiert die Häufigkeit ambulant sensitiver Fälle bezogen auf 100 Einwohner regional stark zwischen 15 Fällen in Regionen mit eher geringer und 34 Fällen in Regionen mit eher höherer Bevölkerungsdichte. Insgesamt ist der Anteil der ambulant-sensitiven Fälle an allen vollstationären Fällen seit 15 Jahren weitgehend konstant und liegt zwischen 6,2 Prozent und 6,5 Prozent, was circa 1,2 Millionen Fällen entspricht. Eine gemeinsame Analyse des RWI und der Technischen Universität Berlin (TUB) zur Veränderung des Leistungsgeschehens der Krankenhäuser in der Corona-Krise ergab insgesamt einen Fallzahlrückgang für 2020 gegenüber 2019 von rund minus 13 Prozent. Bei den ambulantsensitiven Fällen war der Abfall mit rund minus 18 Prozent deutlich höher. Dies konnte die Solidaris Unternehmensberatung auch im Rahmen eigener Analysen an Daten ihrer Mandantschaft nachvollziehen. Die Analyse der §-21-Daten des Jahres 2021 entsprechend der Methodik des IGES-Gutachtens (Gutachten nach § 115b Abs. 1a SGB V; IGES 2022) ergab zudem Hinweise darauf, dass dieser Trend bei insgesamt stagnierenden Fallzahlen sogar noch weiter zunehmen könnte. Während die entsprechend der Systematik des Gutachtens unzweifelhaft stationären Fälle 2021 mit zwei Prozent gegenüber 2020 geringfügig zunahmen, fielen die ambulant-sensitiven Fälle mit minus sieben Prozent in 2021 gegenüber 2020 erneut deutlich ab. Datenanalyse wichtige Grundlage Eine tiefergehende differenzierte Datenanalyse der Fallzahlveränderungen ist daher jedem Krankenhausträger als Grundlage für die mittelfristige postpandemische Unternehmensplanung dringend zu empfehlen. Mit dem Gutachten des IGES liegt hierfür erstmals eine komplett veröffentlichte hervorragende Systematik zur Differenzierung stationärer und ambulanter Behandlungsbedürftigkeit vor, die neben einer Einweiser- und Wettbewerbsanalyse ein wesentlicher Baustein einer solchen Analyse sein sollte. Es lohnt sich dabei, das Portfolio mehrerer präpandemischer und pandemischer Jahre differenziert nach den verschiedenen fallbezogenen Ein- und Ausschlusskriterien, der Herkunft der Patientinnen und Patienten und ihrer Behandlungsverläufe bis zur stationären Aufnahme zu betrachten. Kontakt zum Autor: Dr. Rolf Syben, MBE, Leiter Geschäftsfeld Strategie und Geschäftsfeldentwicklung, Kontakt: r.syben@solidaris.de