Digitalisierung
Im neuen OP-Zentrum der HNO- und Augenheilkunde an der Universitätsmedizin Essen wird seit dem Neubau auf vollständig digitale Prozesse gesetzt, inklusive dreidimensionaler Darstellung der zu operierenden krankhaften Strukturen. Ein Einblick.
In einem fortwährenden Prozess entwickelt sich die Universitätsmedizin Essen im achten Jahr zum Smart Hospital, stellt damit den Menschen verstärkt in den Mittelpunkt des Handelns. So soll durch die Digitalisierung von Prozessen und den Einsatz von Künstlicher Intelligenz ein zentrales Ziel erreicht werden: die Verbesserung der medizinischen Versorgung. Das heißt: Pflegepersonal soll entlastet werden, um wieder mehr Zeit für die Arbeit am Patienten zu haben. Medizinisches Personal soll bei der Diagnostik und Therapieentscheidung Unterstützung durch digitale Systeme und KI erfahren. Davon profitieren sollen am Ende die Patientinnen und Patienten.
Was das in der Praxis bedeutet, lässt sich im komplett digital ausgestatten OP-Zentrum beobachten, das gemeinsam von den Kliniken für Hals-Nasen-Ohren- und Augenheilkunde genutzt wird. In dem dreigeschossigen Bau mit einer Gesamtfläche von 7.000 Quadratmetern konnten alle technischen und architektonischen Voraussetzungen für eine komplette Digitalisierung geschaffen werden. Ziel des Neubaus war es, alle Phasen einer Operation digital miteinander zu vernetzen und, wann immer sinnvoll, zu automatisieren – von der Planung über die Vorbereitung bis zur Durchführung.
So unterstützt die Technik Operateure dabei, im Vorfeld so genau wie möglich festzulegen, wie die einzelnen OP-Schritte im späteren chirurgischen Eingriff erfolgen sollen. Dies optimiert die Durchführung der Operation und kann dazu beitragen, das Operationsrisiko zu minimieren. Das gilt für jeden Eingriff, aber ganz besonders bei komplexen Tumoren der Schädelbasis, seltenen Tumoren des Nasenrachenraums oder Gefäßfehlbildungen, bei denen die individuelle Operationsplanung einen besonders hohen Stellenwert hat. So funktioniert die Technik: Ursprünglich zweidimensionale Schnittbilder (CT oder MRT) der krankhaften Struktur werden in dreidimensionale Sequenzen transformiert und dreidimensional visualisiert. Mithilfe einer Mixed-Reality-Brille lassen sich dann die Befunde und deren Lagebeziehung zu vitalen anatomischen Strukturen betrachten und sogar drehen. Damit kann der Operateur vorab eine Evaluierung von allen Seiten vornehmen und die Operation besonders nah an der späteren Realität planen.
Einschätzungen der leitenden Oberärztin PD Dr. Kerstin Stähr
Kerstin Stähr ist die Leitende Oberärztin der Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde.
Was ist aus medizinischer Sicht der größte Vorteil der Digitalisierung?
Stähr: Wir haben auch während der Operation permanent Zugriff auf alle relevanten Patienten-Informationen. Das heißt, ich als Operateurin kann mir jederzeit alle Bilder – sei es nun eine aktuelle CT-Aufnahme oder ein Foto aus der Ambulanz – aufrufen, aber auch Bemerkungen von Kollegen zum jeweiligen Fall. Das sorgt im Zweifel dafür, dass man viel schneller und präziser eine Entscheidung treffen kann.
Wann ist das besonders hilfreich?
Stähr: Insbesondere bei endoskopischen Eingriffen und der Tumorentfernung ist die vernetzte Darstellung der Bildgebung, bei der verschiedene Aufnahmen zeitgleich dargestellt werden, sehr hilfreich. Sie dient mir als Navigationssystem, so dass ich kritische Strukturen, die möglichst unverletzt bleiben sollten, viel besser bei der Schnittführung berücksichtigen kann. Hinzu kommt, dass durch das im OP verfügbare Blaulicht Kontraste deutlich besser sichtbar sind. In der Tat sorgt das für entspanntes Sehen, so dass wir länger ermüdungsfrei arbeiten können. Hier wirkt sich sicherlich auch das Tageslicht positiv aus, über das wir dank der Gebäudearchitektur im OP verfügen.
Weil die beste Technik bekanntlich wenig nützt, wenn sie nicht ebenso bedienerfreundlich ist, werden die vielen heterogenen Systeme, die im OP im Einsatz sind, über eine intuitive und intelligente Bedienoberfläche gesteuert. Denn das war in der Tat eine der Herausforderungen – die unterschiedlichen Bedienkonzepte der Einzellösungen zu bündeln. Egal, ob nun medizinisch oder nicht medizinisch: Alle zu steuernden Systeme werden als einzelne „App-Buttons“ abgebildet und lassen sich wie mit einem Smartphone schnell und sicher bedienen. Über einen zentralen Touchscreen steuert das sterile Team also sowohl medizinische Geräte wie Video-Prozessoren, Lichtquellen, Ultraschall-/HF-Systeme und Monitore sowie Systeme wie OP-Tische und OP-Leuchten als auch nicht medizinische Peripheriesysteme wie Dokumentation, Videorouting, Videostreaming, Raumkamera, Raumlicht und Audio. Die Geräteparameter können anwender- oder anwendungsspezifisch sekundenschnell eingerichtet und gespeichert werden. Das verkürzt die erforderlichen Rüst- beziehungsweise Wechselzeiten ebenso wie die Arbeitsunterbrechungen für das sterile Team. Denn durch die Steuerung der medizinischen Geräte und nicht medizinischen Systeme über einen gemeinsamen Touchscreen aus dem sterilen Bereich ist das sterile OP-Team gegenüber dem Springer wesentlich unabhängiger.
Mit Blick auf den Wechsel von einer minimalinvasiven zu einer offenen OP werden die Vorteile deutlich: Ein einziger Tastendruck reicht zum Ausschalten des endoskopischen Lichts und Einschalten der OP-Leuchte sowie des Raumlichts. Zeitgleich lässt sich das Bild der endoskopischen Kamera auf den Untersuchungsmonitoren gegen das Bild der Leuchtenkamera ersetzen und für die Dokumentation bereitstellen. Die Abläufe lassen sich so optimieren. Das spart Zeit und hilft bei der Einhaltung von Qualitätsstandards, was am Ende der Patientensicherheit zugutekommt. Apropos Patient: Über Bildschirme, die im OP-Vorraum sowie auch im Aufwachraum angebracht sind, lassen sich beruhigende Bilder und Musik einspielen.
Einschätzung des OP-Leiters Mario Amodio
Mario Amodio leitet den OP in der Klinik für Hals-Nasen-Ohren- und Augenheilkunde an der Universitätsmedizin Essen.
Wie macht sich die digitale Technik in Ihrem Arbeitsalltag bemerkbar?
Amodio: Wir arbeiten mit einer digitalen Ablaufsteuerung und können die OP-Säle sehr flexibel planen. Im Zusammenspiel mit den Daten aus unserer elektronischen Patientenakte haben wir maximale Transparenz und sparen viel Zeit – Zeit, die wir schon mal für die Suche und den Transport von Papierakten benötigen würden. Wir schaffen es in der Regel, dass alle Operationen auch pünktlich stattfinden können. Auch die digitale Saal-Steuerung mit Standard-Einstellungen für verschiedene Eingriffe spart Zeit. Mit nur einem Kopfdruck werden alle relevanten Geräte eingeschaltet, das Licht hat die richtige Farbe und Dimmstärke, die Jalousien die richtige Position. Ich bin froh, dass wir das alles nicht mehr einzeln von Hand machen müssen.
Was davon kommt bei den Patientinnen und Patienten an?
Amodio: Am Ende profitieren sie davon, dass alles automatisch ineinandergreift, so dass Operationen sicherer und präziser durchgeführt werden, auch wenn das nicht direkt spürbar ist. Spürbar ist aber, dass sich die Bilder und Musik, die wir in unserer Holding und im OP über Monitore einspielen, beruhigend auf Patientinnen und Patienten auswirken. Wir erhalten häufig das Feedback, dass sich Patienten bei uns sicher und gut aufgehoben gefühlt haben.
Beleuchtung passend zum menschlichen Biorhythmus
Tageslicht hat bekanntlich einen positiven Einfluss auf chronobiologische Prozesse im Körper, Stimmung und Wahrnehmung sowie kritische chemische Reaktionen des Körpers. Vor diesem Hintergrund wurde dem Beleuchtungskonzept des OP-Zentrums besonders viel Aufmerksamkeit geschenkt. Das moderne Gebäude verfügt über eine vollverglaste Außenhaut mit verstellbaren Außenlamellen als Licht- und Sichtschutz. Das lässt Tageslicht in die OP-Säle, ohne dass Blendungen entstehen. Daneben lässt sich die LED-Beleuchtung in den OP-Sälen über das gesamte Farbspektrum variieren und der jeweiligen Operation anpassen. Zehn programmierte Licht-Szenarien sind per Touchscreen abrufbar. So zum Beispiel blaues Hintergrundlicht für endoskopische Eingriffe. Es kontrastiert die roten Blutgefäße für das menschliche Auge intensiver. Das wirkt der Ermüdung der Operierenden entgegen und hilft anatomische Landmarken besser zu erkennen. Die künstliche Beleuchtung in der HNO-Ambulanz folgt gemäß des Konzeptes des Human Centric Lightning dem menschlichen Biorhythmus, hat also am Morgen einen höheren Blauanteil als am Abend. Denn das steigert nachweislich das Wohlbefinden, die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden.
Kontakt zum Autor:
Prof. Dr. Stephan Lang, Direktor der Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie, an der Universitätsmedizin Essen, stephan.lang@uk-essen.de