Scharfe Kritik Notfallversorgung: Gesetzentwurf schafft neue Probleme

Grotesk, unverantwortlich, ein absolutes No-Go – so bezeichnet der Verband der leitenden Krankenhausärzte die geplante Reform der Notfallversorgung. Demnach soll es nur noch halb so viele Notfallstandorte geben. Doch das sei nur die Spitze des Eisbergs.

Notfallversorgung Reform
Ein neues Notfallleitsystem soll Patienten künftig an die richtige Stelle verweisen: Rettungsdienst, Arzt oder an eines der neuen integrierten Notfallzentren. – © www.bundesgesundheitsministerium.de

Der am 9. Januar eingebrachte Gesetzesentwurf zur Reform der Notfallversorgung durch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) erntet scharfe Kritik durch Verbände wie den Verband der Leitenden Krankenhausärzte Deutschlands (VLK) und den Marburger Bund. „Die Reform der Notfallversorgung soll Probleme lösen und nicht neue schaffen“, kommentierte Dr. Susanne Johna , 1. Vorsitzende des Marburger Bundes, den Referentenentwurf.

Die Kritikpunkte im Überblick:

  • Reduktion der Notfallstandorte auf 50 Prozent der derzeitigen Kapazitäten
  • Leitung der neuen integrierten Notfallzentren in den Kliniken durch Kassenärztliche Vereinigung
  • Mehraufwand für Krankenhausärzte ohne Mitgestaltungsrecht
  • Strafe für ambulant erbrachte Notfall-Leistungen mit 50-prozentigen Vergütungsabschlag
  • Mehraufwand für Rettungsdienste durch Patiententransporte
  • Weniger Angebot, längere Wartezeiten und weitere Wege für Patienten im Notfall

Integrierte Notfallzentren an ausgewählten Standorten

Das BMG plant demnach den Aufbau von Integrierten Notfallzentren (INZ). Diese sollen künftig entscheiden, ob Patienten stationär in der Klinik oder ambulant versorgt werden und die ambulante notdienstliche Versorgung leisten. Doch diese Notfallzentren sollen nur an ausgewählten Krankenhäusern eingerichtet werden und die fachliche Leitung bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) liegen – nicht bei den Kliniken selbst.

„Ein absolutes No-Go für Krankenhausärzte“

Der VLK kritisiert dieses Vorhaben scharf: „Der Referentenentwurf plant eine Reduktion der Notfallstandorte auf ca. 50 Prozent der derzeitigen Kapazitäten durch Beschränkung der Behandlung auf Kliniken mit angegliedertem INZ. Der VLK ist entsetzt über diesen Vorschlag, der unter dem Deckmantel der Verbesserung der Notfallversorgung vor allem das Ziel eines Ausschlusses möglichst vieler Kliniken aus der Notfallversorgung im Auge hat. Diese Kliniken bilden aber das Rückgrat der Notfallbehandlung. Der KV die fachliche Leitung der INZ übertragen zu wollen, ist grotesk“, so der Verband in einer Pressemitteilung. Für die Krankenhausärzte sei dieser Entwurf daher „ein absolutes No Go“, so der Präsident des VLK, PD. Dr. Michael A. Weber .

Auch der Marburger Bund spricht sich für eine Überarbeitung aus: „Integrierte Notfallzentren seien dann sinnvoll, wenn dadurch keine neuen Schnittstellen zu bestehenden Versorgungsbereichen geschaffen würden. An Sektorengrenzen mangele es im Gesundheitswesen nicht“, so Johna.

Zusätzliche Aufgaben für Rettungsdienste

Das Ziel der Reform, die Notfallversorgung zu verbessern, ist damit laut VLK nicht erreicht. Auch die Rettungsdienste würden nicht entlastet. Im Gegenteil: Diese haben laut VLK zukünftig weitere Wege und einen Patiententourismus zwischen Kliniken mit und ohne INZ – oft auch hin und zurück – zu schultern. Für Patienten sei es eine Angebotsverknappung mit noch weiteren Wegen und längeren Wartezeiten. „Das nennen wir Strukturbereinigung mit der Brechstange“, so der Verband.

Mehr Arbeit für Krankenhausärzte, aber keine Mitsprache

Auch der Marburger Bund sieht in dem Gesetzesentwurf „Konstruktionsmängel“. Johna erklärt: „Anstatt die regionalen Kooperationen zwischen Krankenhäusern und Kassenärztlichen Vereinigungen gesetzlich zu flankieren, sollen nun wirtschaftlich und organisatorisch abgetrennte Einrichtungen an den Kliniken entstehen, ohne dass die Krankenhausärztinnen und -ärzte an der Ausgestaltung beteiligt werden. Somit sind die Krankenhausärzte gleich doppelt gekniffen. Denn es steht zu befürchten, dass sie einen erheblichen Anteil der Arbeitsbelastung in den INZ schultern müssen, obwohl die fachliche Leitung bei den KVen liegt.“

Vergütungsabschläge für ambulante Notfall-Leistungen

Außerdem sieht der Marburger Bund die Gefahr, dass Krankenhäuser in Zukunft für Leistungen in ihren Notfallambulanzen bestraft werden, wenn sie kein INZ-Standort sind. „Kein Krankenhaus kann einen Patienten abweisen, der als Notfall in die Notaufnahme kommt. Nicht immer kann man vor einer Untersuchung und Behandlung entscheiden, ob der Patient danach ambulant verbleiben kann. Deshalb ist es völlig inakzeptabel, Krankenhäuser ohne reguläres INZ mit einem 50-prozentigen Vergütungsabschlag für ambulant erbrachte Notfall-Leistungen zu bestrafen“, kritisiert Johna.

Gemeinsames Notfallleitsystem

Positiv wertet der Marburger Bund, dass mit dem Gemeinsamen Notfallleitsystem die Zusammenarbeit von Rettungsleitstellen und Kassenärztlichen Vereinigungen einen verbindlichen Charakter bekomme. Das System könne aber nur dann funktionieren, wenn die medizinische Ersteinschätzung überall nach den gleichen Kriterien erfolge und auch die Rufnummer 116117 des kassenärztlichen Notdienstes annähernd die gleiche Bekanntheit habe wie die Rufnummer 112 der Rettungsdienste.

Der VLK appelliert daher an den Gesetzgeber, an der ursprünglichen Zielsetzung der geplanten Reform, die ambulante Notfallversorgung durch Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte gemeinsam und besser abgestimmt am Standort der Kliniken zu gestalten, festzuhalten.