Mögliche Ansprüche gegen Kreditinstitute „Nicht leichtfertig auf Zinsansprüche verzichten“

Kaum eine Geschäftsleitung einer Klinik weiß, dass Negativzinsen im Umkehrschluss auch Ansprüche gegen die Banken bedeuten können. Nämlich dann, wenn Kredite im Spiel sind. Beides, Liquiditätsbestände und Darlehen, gehören auf den Prüfstand.Es gehört üblicherweise nicht zum Alltagsgeschäft einer Klinikleitung, sich mit exotischen Finanzprodukten wie Swaps zu beschäftigen oder die Auswirkungen der Referenzzinssätze EONIA oder EURIBOR durchzurechnen. Die finanziellen Alltagssorgen eines Krankenhausbetriebes sind ganz anderer Natur: Wie finanziere ich den neuen Kreißsaal oder wie stelle ich sicher, dass immer genügend Liquidität vorhanden ist, um laufende Forderungen begleichen zu können. Gerade Letzteres ist aber zu einem Vabanquespiel geworden. Denn: Spätestens seit der letzten Zinssenkung der Europäischen Zentralbank drohen allen Bankkunden Strafzinsen, wenn sie zu viel liquide Mittel auf ihren Bankkonten vorhalten. „Aus unseren Gesprächen mit Klinikbetreibern und medizinischen Versorgungszentren wissen wir, dass sich für diese Problematik zwar ein stärkeres Bewusstsein herausbildet“, sagt Horst Peter Schmitz, Vorstandsvorsitzender der Heilwesennetzwerk RM eG (HWNW) aus Meerbusch, „aber wie diese schwierige Situation zu managen ist, weiß kaum jemand. Und fast noch entscheidender: Kaum jemand hat auch die Auswirkungen der EZB-Zinsentscheidungen auf die Darlehensseite im Blick.“ Cashbestände können gerade zum Monatsende erhebliche Ausmaße annehmen. Jan Hartlieb, Geschäftsführer der auf öffentliche und institutionelle Kunden spezialisierten SAM Sachsen Asset Management GmbH aus Leipzig, sagt: „Die negativen Einlagensätze, die Banken bei der EZB zu zahlen haben, geben immer mehr Banken dann in Form von Verwahrentgelten an die Kunden weiter. Zugleich senken sie die Freibeträge Stück für Stück ab.“ Verlangt eine Bank beispielsweise 0,5 Prozent Verwahrentgelt im Jahr (also in gleicher Höhe wie der EZB-Einlagenzins), belaufen sich die jährlichen Zusatzkosten eines Krankenhauses, das 30 Millionen Euro liquides Guthaben vorhält, auf immerhin 150.000 Euro pro Jahr. Vor dem gleichen Problem stehen auch deren MVZ. Um solchen Strafzinsen zu entgehen, kann die Klinik oder das angeschlossene MVZ Liquiditätspolster auf das Nötigste abschmelzen oder alternative Anlagen anstelle von Kontoguthaben nutzen. Damit steigt aber die Gefahr plötzlicher Illiquidität bei unerwarteten Geldabflüssen oder ausbleibenden Einzahlungen. „Als Lösung bieten sich Cashpools an, wenn sich das Krankenhaus in einem Unternehmensverbund befindet“, weiß HWNW-Vorstand Schmitz. Ebenso können ungewöhnliche Maßnahmen wie das bewusste Vorziehen von Auszahlungen helfen. Sollten alternative Anlageformen in Erwägung gezogen werden, sind diese kritisch vorab auf andere Nachteile hin zu untersuchen. Hartlieb: „Lösungen zur Vermeidung von Strafzinsen existieren. Aber nicht jede auf den ersten Blick attraktive Lösung ist wirklich geeignet.“ Doch auch auf bestehende Bankdarlehen haben Negativzinsen überraschende Auswirkungen. Zum Hintergrund: Seit 2015 sind wichtige Referenzzinssätze wie EONIA und EURIBOR negativ. Von diesen Referenzzinssätzen hängen viele Kredite und Anleihen mit variabler Verzinsung oder Swaps ab. Der Umgang mit Negativzinsen ist nicht immer klar geregelt. Rein mathematisch würde sich die Zahlungsverpflichtung bei negativen Zinsen umkehren, sodass der Kreditnehmer einen Anspruch auf Zinsen in ebendieser Höhe hätte. Bei einigen Finanzprodukten lässt sich dieser Anspruch aber bereits technisch gar nicht umsetzen. So kennt beispielsweise der Emittent einer Anleihe die Gläubiger nicht. Im Ergebnis führt dies dazu, dass Banken je nach Produktkategorie unterschiedlich mit negativen Referenzzinssätzen umgehen. „Bei variabel verzinsten Krediten, die bei der Finanzierung auch im Krankenhausbereich regelmäßig genutzt werden, finden negative Zinsen oft keinen Niederschlag“, so die Erfahrung von Hartlieb. Banken zahlen also keine Zinsen an den Kreditnehmer. Bei Derivaten wie Swaps werden hingegen negative Referenzzinssätze meist berücksichtigt. Probleme können sich hieraus insbesondere für synthetische Festzinskredite ergeben. Solche Kreditkonstruktionen, die aus einem variabel verzinsten Kredit und einem passenden Zinsswap bestehen, bieten Banken oft anstelle klassischer, längerfristiger Festzinskredite an. Bei Darlehen ungeahnte RisikenNegative Referenzzinssätze können auf derlei Finanzprodukte durchaus überraschende Auswirkungen haben. Diese Konstruktion, die normalerweise einem Festzinskredit gleicht, verursacht zusätzliche variable Zinszahlungen, wenn im Falle von Negativzinsen im variabel verzinsten Finanzierungsteil für den Kreditgeber keine Umkehrung der Zahlungspflicht ausgelöst wird, wohl aber für den Kreditnehmer im Zinsswap. Durch negative Referenzzinssätze zeigen sich plötzlich ungeahnte Risiken. Die Risiken träten nicht auf, wenn auch im variablen Kredit ein Anspruch auf negative Kreditzinszahlungen durchgesetzt werden könnte. Rechtsanwalt Lutz Tiedemann, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht bei Groenewold Tiedemann und Griffel, Rechtsanwälte in Hamburg, meint: „Ist dies im Kreditvertrag nicht eindeutig ausgeschlossen, sollte der Kreditnehmer darauf auch nicht leichtfertig verzichten.“ Zudem lässt sich jedem Zahlungsanspruch ein monetärer Gegenwert, sprich ein Marktwert, zumessen. Ansprüche aus negativen Zinsen aufzugeben bedeutet somit einen bezifferbaren Verlust. Entsprechend können auch die Kosten, um Belastungen aus negativen Zinsen abzusichern, genau bestimmt werden. Tiedemann: „Banken lassen es hierbei häufig nicht auf ein gerichtliches Verfahren ankommen. Hier können Kreditnehmer schwerwiegende Argumente gegen die Banken anführen, von mangelhafter Beratung bis zum bewussten Umgehen gesetzlicher Schutz-, nämlich Kündigungsrechte des Kunden.“ Selbst wenn der Verlust aus Negativzinsen überschaubar wirkt: Dieser fällt so lange an, so lange die Zinsen negativ bleiben. „Und das dürfte bei den aktuellen Markterwartungen noch etliche Jahre anhalten“, so SAM-Geschäftsführer Jan Hartlieb. Zudem kann aktuell niemand ausschließen, dass die Zinsen nicht noch weiter ins Minus rutschen, was zu einem weiteren Anstieg der Belastungen führen würde.

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