Abrechnung & DRG
Die Unsicherheit in der Gesundheitswirtschaft wächst. Während trotz anhaltender Pandemie und geopolitischer Sonderlagen alle Kraft in die Stabilität der Versorgung gesteckt wird, stehen weiterhin drängende Fragen im Raum. Allen voran die scheinbar unwegsame Suche nach einer Gesamtstrategie für die Neuausrichtung des Gesundheitssystems.
Das DRG-Forum am 17. und 18. März wäre nach dem Krankenhausgipfel am Vortag eine weitere gute Möglichkeit für den neuen Gesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach gewesen, zu den Vertreterinnen und Vertretern der deutschen Gesundheitswirtschaft zu sprechen. Sie sind mit vielen offenen Fragen nach Berlin gekommen: Wie steht es um den Krankenhausrettungsschirm? Wer besetzt die geplante Regierungskommission? Wann nimmt sie ihre Arbeit auf? Wie steht es um das Ziel einer gesamtstrategischen Neuausrichtung der Gesundheitsversorgung? Welche Maßnahmen sind für die Pflegeentwicklung geplant? Wie wird die Krankenhausfinanzierung künftig gesichert? Die Liste war lang, aussagekräftige Antworten seitens der Politik blieben meist aus. Während Lauterbach sich um das Infektionsschutzgesetz und die Debatte um die allgemeine Impfpflicht gekümmert hat, diskutierte die Gesundheitswirtschaft im Estrel Congress Center (ECC) diese drängenden Fragen ohne den Minister.
„Ungewöhnlich dramatische Zeiten“
Dabei war deutlich spürbar, dass diese „ungewöhnlich dramatischen Zeiten“, wie es Prof. Marcel Fratzscher, Ökonom und Präsident des Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), in seiner Keynote ausdrückte, auch deutliche Auswirkungen auf die deutsche Versorgungsbranche haben. Er warnte ausdrücklich vor einem „Tunnelblick“ und führte dem Plenum unterschiedliche Risikoszenarien vor Augen. Fratzschers Fazit mit Blick aufs Gesundheitswesen: „So schlimm die gegenwärtige Situation auch ist, sie sollte ein Weckruf für das Bewusstsein sein. Wir können nicht so weitermachen wie in den letzten Jahren.“ In der Gesamtbetrachtung brauche Deutschland nicht nur eine ökonomische Transformation, sondern auch eine soziale Transformation.
Die Krankenhäuser in Deutschland spüren die Auswirkungen der gegenwärtigen Herausforderungen massiv. Nicht nur die anhaltende Pandemie, der auslaufende Rettungsschirm, dessen Weiterführung zum Zeitpunkt des DRG-Forums noch in den Sternen stand, auch die wirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Veränderungen treffen hier aufeinander. Dr. Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft e.V. (DKG), macht sich „große Sorgen, dass wir auch in dieser Legislatur nicht weiterkommen und nicht das tut, was dringend erforderlich wäre.“ Gaß sieht die Gefahr, dass sich die Länder im Krisenmodus verlieren, anstatt die Zeit zu nutzen. Krisen können seiner Meinung nach keine Entschuldigung sein, mit der Reform der Gesundheitsversorgung nicht weiterzumachen. Damit schließt er sich der Einschätzung von Ursula Nonnemacher an. Die Ministerin für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz Brandenburgs, nutzte den politischen Auftakt auch für eine Rüge der eigenen Bank hinsichtlich der noch offenen Frage hinsichtlich der abgelaufenen Corona-Rettungsschirms für Krankenhäuser.
Diskussion um Budgetverhandlungen und DRGs
Dr. Wulf-Dietrich Leber, Leiter Abteilung Krankenhäuser im GKV-Spitzenverband, kritisierte die mangelnde Geschwindigkeit der Budgetverhandlungen 2021. Es seien gerade einmal 15 Prozent der Krankenhausbudgets verhandelt. Ebenso in der Kritik: Das Timing der Pflegebudget-Verhandlungen. Nur die Hälfte sollen in 2020 verhandelt worden sein. Dabei habe der „Hauptakt zum Pflegebudget“ laut Dr. Frank Heimig, Geschäftsführer des InEK – Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus, noch gar nicht angefangen. Man verschaffe sich derzeit einen Überblick.
Fragen warfen auch die im Koalitionsvertrag genannten „Hybrid-DRGs“ auf. Obwohl man sich auf in den Expertenkreisen auf dem DRG-Forum überwiegend einig schien, dass die DRGs an sich ein gut funktionierendes und sinnvolles Abrechnungssystem geschaffen hätten, zeigten die Diskussion einen Grundsatzcharakter. So kam bei der Diskussionsrunde um die „Reformbaustelle Fallpauschale“ u.a. die Frage auf, ob die DRGs „eigentlich noch die DRGs“ wären. Nach dem „Pflexit“ stand sogar die Prophezeiung im Raum, dass die Ärzteschaft auch ausgegliedert werden möchte und die DRGs zu einem reinen Sachkosten-Abrechnungsverfahren verkommen könnten.
Rätselraten um die Kommission
Die geplante Regierungskommission wird auch hinsichtlich der offenen Fragen um die Weiterentwicklung des DRG-Systems sehnlichst erwartet. Dabei ging der anwesende Dr. Edgar Franke, Parlamentarischer Staatssekretär am BMG, den Fragen der Diskutanten und Diskutantinnen hinsichtlich der Besetzung und des Starts weitgehend unbeantwortet. Sobald diese ihre Arbeit aber aufnehme, sollen seiner Aussage zufolge die Krankenhäuser erst einmal „absolute Priorität“ haben. Denkbar sei dies angesichts der aktuellen Herausforderungen, auch durch Organisation der medizinisch notwendigen Versorgung von Menschen, die vor dem Ukraine-Krieg fliehen, ab Sommer. Noch vor der Sommerpause solle die Kommission stehen und ihre Arbeit aufnehmen.
Pflege fordert den „Gesamtdiskurs“
Im Panel zur Pflegepolitik wurde deutlich, dass bei all den Veränderungen – als Stichworte seien hier Pflegebudget, Pflegequotient, Untergrenzen und Bemessungssysteme genannt – auch der Pflege der „Gesamtdiskurs“ fehlt, wie es Arne Evers, Pflegedienstleiter am St. Josefs-Hospital in Wiesbaden erklärte. Seiner Meinung nach – und hier erhielt er durchweg Zustimmung auf dem Podium – „eine Idee davon, wo man die Pflege hin entwickeln will“. Dr. Sonja Optendrenk, BMG-Mitarbeiterin, wies darauf hin, dass die genannten Instrumente eher kleinteiliger Natur und Mittel der Symptombekämpfung sind. Sie allein könnten keine gute Pflege schaffen. „Wir müssen sie als Instrumente betrachten und stattdessen an die Ursachen ran, an die Strukturen, die Investitionskosten. Dann können wir auch die Arbeitsbedingungen für die Pflege verbessern.“ Dafür gab es Applaus aus dem Plenum.
Die Generalsanierung der Gesundheitsversorgung ist nach aktuellem Stand in dieser Legislaturperiode wohl eher nicht zu erwarten. Dennoch scheinen die Vehemenz und das Drängen der Selbstverwaltungspartner gegenüber der Politik dafür zu sorgen, dass die drängenden Fragen nicht wieder aus dem Fokus geraten. Vielleicht wird auch der immer lauter werdende Ruf nach einer Gesamtstrategie und einer Zielsetzung gehört werden. Auf dem DRG-Forum jedenfalls wurde er recht deutlich.