Berlin +++aktualisiert+++ Neue Leitstellen und Notfallzentren für Patientinnen und Patienten in Not geplant

Überlastete Notaufnahmen und Rettungsdienste im Dauereinsatz: Im Notfall geraten Patientinnen und Patienten oft an gestresstes medizinisches Personal. Nun will der Gesundheitsminister die Strukturen umkrempeln.

Neue Leitstellen und Notfallzentren für Patienten in Not geplan
Tom Bschor, Leiter und Koordinator einer Regierungskommission, stellt auf einer Pressekonferenz Empfehlungen für eine Reform von Notaufnahmen und Rettungsdiensten in Deutschland vor. – © Philipp Znidar/dpa

Patientinnen und Patienten in Deutschland sollen im Notfall künftig durch neue Leitstellen und Notfallzentren versorgt werden. Eine Expertenkommission der Bundesregierung übergab entsprechende Reformvorschläge am Montag in Berlin an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Das Ziel ist eine Entlastung von Notaufnahmen und Rettungsdiensten, die oft unter einem Mangel an Personal und übermäßiger Beanspruchung leiden.

„Heute ist es so, dass bis zur Hälfte derjenigen, die die Notaufnahme aufsuchen, selber angeben, dass sie kein richtiger Notfall sind“, sagte Lauterbach. Viele Patientinnen und Patienten könnten etwa durch die Bereitschaftsdienste der niedergelassenen Ärzteschaft versorgt werden.

Neue Leitstellen sollen Hilfesuchende nach der Dringlichkeit sortieren  

Ein Kern der Vorschläge ist der Aufbau neuer integrierter Leitstellen in ganz Deutschland. Hilfesuchende, die sich im Notfall an den Rettungsdienst unter der Notrufnummer 112 oder an den kassenärztlichen Notdienst unter der 116117 wenden, sollen durch so eine Leitstelle eine erste telefonische oder telemedizinische Einschätzung bekommen. Auf deren Basis sollen sie einer passenden Notfallbehandlung zugewiesen werden. Das Personal könne dann etwa einen Rettungswagen rufen oder aber auch einen Termin in einer regulären Arztpraxis, einer Notdienst-Praxis oder einer Notaufnahme für Patientinnen und Patienten buchen.

„Das Ziel ist es, Notfälle, die einen unmittelbaren, sofortigen
Handlungsbedarf haben, zu identifizieren und zugleich die
Notfallstrukturen von den weniger dringlichen Fällen zu entlasten»
sagte der Vorsitzende der Kommission, Tom Bschor. Nicht vorstellbar
sei dabei aber ein Verbot für das Aufsuchen einer Notaufnahme ohne
vorherigen Kontakt mit der Leitstelle.

Schaffung von integrierten Notfallzentren

Neu geschaffen werden sollen nach den Vorstellungen der Expertinnen und Experten zudem sogenannte integrierte Notfallzentren. Sie sollen aus einer Notaufnahme eines Krankenhauses sowie einer Notfallpraxis niedergelassener Ärztinnen und Ärzte bestehen. Die Zentren sollen an den rund 420 deutschen Kliniken mit umfassender Notfallversorgung angesiedelt werden.

Lauterbach kündigte an, Strukturen sollten aufgebrochen werden. Versorgung solle dort stattfinden, wo sie medizinisch sinnvoll sei. „Das Krankenhaus muss im Notfall nicht immer die erste Adresse sein.“ Aber es müsse schnelle Hilfe anbieten können.

Zustimmung der gesetzlichen Krankenkassen

Von großen Krankenkassen kam Zustimmung zu den Plänen. „Die Patientinnen und Patienten brauchen endlich eine zentrale Anlaufstelle und eine Notfallversorgung aus einer Hand“, sagte die Vorsitzende des AOK-Bundesverbands, Carola Reimann. TK-Chef Jens Baas meinte: „Durch solche zentralen Anlaufstellen wissen die Patientinnen und Patienten künftig sofort, wo sie hinmüssen.“

Sicherstellung von Finanzierung und Erreichbarkeit der Notfallzentren

Die Vizepräsidentin des Sozialverbands Deutschland, Ursula Engelen-Kefer, mahnte von Bund und Ländern zugleich eine „angemessene Finanzierung“ für eine „hochwertige und ortsnahe Notfall- und Akutversorgung“ an. Stefanie Stoff-Ahnis, Vorstand im Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen, forderte zudem, dass die Notfallzentren bundesweit gut erreichbar sein müssten.

Lauterbach kündigte an, die Reform gemeinsam mit den Ländern zu besprechen. Das für das Projekt nötige Gesetz solle auf jeden Fall „in dieser Legislaturperiode wirken“. Einen genauen Zeitpunkt nannte der Minister nicht.

Die Regierungskommission hatte im vergangenen Jahr Vorschläge für eine Reform der Kliniklandschaft insgesamt vorgestellt. Zugleich hatten insbesondere viele Notaufnahmen und Rettungsdienste über Überlastung geklagt. So hatte das Bündnis pro Rettungsdienst im Dezember gewarnt: „Wir laufen Gefahr, dass das System der Notfallrettung in Deutschland zusammenbricht.“ Immer wieder wurde festgestellt, dass Versicherte vor allem am Wochenende mit allerlei Beschwerden in eine Notaufnahme gehen.

DKG begrüßt die Pläne zur Neuordnung der Notfallversorgung

Das Konzept benenne deutlich die Herausforderungen. Es zeige, dass Probleme der Notaufnahmen nicht hausgemacht, wie von manchen Akteuren behauptet, sondern das Resultat jahrzehntelanger Fehlsteuerung von Patientinnen und Patienten sind. Die Überlegungen hätten das Potenzial, die Notfallversorgung der Patientinnen und Patienten deutlich zu verbessern. Integrierte Leitstellen (ILS) und Integrierte Notfallzentren (INZ) zu etablieren, seien Schritte in die richtige Richtung. Besonders positiv hervorzuheben das Ziel der Kommission, durch gestufte Angebote der ILS,

  • von der telemedizinischen Beratung,
  • über die direkte Vermittlung von Arztterminen
  • bis hin zum Hausbesuch durch den KV-Bereitschaftsdienst

den hilfesuchenden Patientinnen und Patienten adäquate Angebote zu machen. Dies dürfte wesentlich dazu beitragen, die Notaufnahmen der Krankenhäuser und die dort angesiedelten INZ zu entlasten, betonte DKG-Vorstandsvorsitzender, Dr. Gerald Gaß.

Dr. Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG).
Dr. Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). – © DKG/Lopata

„Wir brauchen die von der Kommission beschriebenen gestuften Angebote, sodass am Ende nur die Patientinnen und Patienten im INZ ankommen, die ansonsten nicht adäquat versorgt werden können.“

Dr. Gerald Gaß

BÄK zu den Empfehlungen der Krankenhauskommission für eine Reform der Notfallversorgung

Dr. Klaus Reinhardt, Präsident derBundesärztekammer (BÄK) erklärt: „Wir sprechen seit mehr als zehn Jahren über eine Reform der Notfallversorgung in Deutschland. Geschehen ist bisher nichts. Deshalb ist die wichtigste Nachricht des Tages, dass mit den Empfehlungen der Regierungskommission für eine Neuordnung der Akut- und Notfallversorgung endlich Bewegung in den festgefahrenen Reformprozess kommt.“

Diese Reform werde nur gelingen, wenn die Kompetenzen derjenigen einbezogen werden, die über ärztliche Erfahrung in der Notfallversorgung verfügen. Zudem müsse die sektorenübergreifende Expertise der Ärztekammern unbedingt in den Gesetzgebungsprozess einbezogen werden.

Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt. – © Die Hoffotografen