Quantencomputer in der Medizin Mit Quanten rechnen

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Die Gesundheitswirtschaft steht vor einer ungeheuren Datenflut, die von den klassischen Computern bald nicht mehr bewältigt werden kann. Die Zukunft liegt im Quantencomputer.

Im Jahr 2019 wurden 225 Millionen Wearables verkauft. 40 Milliarden Terabytes an Gesundheitsdaten und die Ergebnisse von über 2.000 Gentests sollen medizinrelevante Muster von Millionen Patienten schnell identifizieren und zur Verbesserung von Prävention, Diagnose und Therapie beitragen. Big-Data-Analysen, maschinelles Lernen und leistungsfähige Algorithmen für künstliche Intelligenz (KI) sind in vielen Anwendungen längst etabliert, stoßen aber zunehmend an technische Grenzen.

Nach dem Moore’schen Gesetz verdoppelt sich die Leistungsfähigkeit der Mikroprozessoren alle zwei Jahre, jedoch ist die Chip-Technologie mittlerweile bei Strukturgrößen von fünf Nanometern am atomaren Limit angelangt. Kein Wunder – besaß der erste Chip Intel 4004 von 1971 noch 2.300 Transistoren von zehn Mikrometer Ausdehnung, konnte man im Jahr 2000 schon 42 Millionen Transistoren auf den Pentium 4 packen. Heutzutage speichert der Samsung Chip eUFS acht Terabyte Daten auf zwei Billionen Transistoren. Eine weitere Steigerung scheint kaum noch möglich. (Ganz aktuell: US-Forscher speicherten 215.000 Terabyte kodiert auf einem Gramm DNA.)

Die Entwickler von IBM, Intel, Microsoft, Google und NSA, von China und der EU arbeiten mit Hochdruck an Quantencomputern, die künftig durch eine völlig andere Technologie unglaubliche Fortschritte in Medizin und Technik versprechen. Statt mit Transistoren arbeiten sie auf atomarer Ebene mit Quantenbits (Qubits), die durch Quanteneffekte mehrere Zustände gleichzeitig verarbeiten und durch Kopplung eine exponentielle Rechnerleistung ermöglichen. Vier Qubits entsprechen 16 Bits, 40 Qubits bereits knapp 110 Milliarden Bits.

Einen Eindruck erhielt die Öffentlichkeit durch die Schlagzeilen im Oktober 2019, als das Google Quantum AI Lab mit Sycamore die Quantenüberlegenheit (Quantum Supremacy) verkündete: Er löste in 200 Sekunden Rechenzeit anstatt 10.000 Jahre ein spezielles Mathematikproblem. Seit 2017 bietet IBM Q Experience 160.000 interessierten Benutzern den Zugriff auf ein cloudbasiertes Quantencomputing an und stellte ebenfalls im Oktober 2019 sein neues System mit 53 Qubits vor. Die Europäer planen bis Ende 2021 am Forschungszentrum Jülich den Bau des 100-Qubit-Computers OpenSuperQ. Im Februar 2020 hat Intel einen standardisierten Steuerungschip Horse Ridge für 128 Qubits vorgestellt.

Dabei sind quantenmechanische Effekte nicht neu in der Medizin: MRT-Bildgebung, Laserchirurgie, die Elektronik und vermutlich auch die Biologie nutzen Quanteneffekte. Mit den Quantenbits können kleinste Vorgänge auf Molekül- oder Atomebene simuliert werden. Fundamentale Probleme in den Bereichen Medizin, Datenbanken, KI oder Cybersicherheit wären auf einen Schlag gelöst.

Die Entdeckung von neuen Wirkstoffen für Medikamente durch die Modellierung molekularer Wechselwirkungen von im Genom kodierten Proteinen würde die personalisierte Medizin in Verbindung mit einer superschnellen DNA-Sequenzierung entscheidend voranbringen.

In digitalen Patienten (digital twins) kann man individuell Krankheitszustände und -anfälligkeiten sowie Einflussfaktoren wie Alter, Lebensstil und genetischer Hintergrund abbilden. In Verbindung mit menschlichen Organen auf einem Chip (Lab-on-a-chip, Organ-on-a-chip, Patient-on-a-chip) lassen sich langwierige und kostspielige klinische Studien vermeiden.

Die komplexen Wechselwirkungen von Medikament zu Medikament, zu Lebensmitteln, zu Nährstoffen und ihre Auswirkungen auf die Absorption vermögen Standardcomputer nicht vorherzusagen. Medizinische Bildgebung und Pathologie nutzen mehr Klassifikatoren zur Identifikation von Krankheiten, die Präzisionsmedizin erkennt Anomalien in CT-Scans schneller. In der Strahlentherapie kann der Quantencomputer Simulationen des optimalen Bestrahlungsplans ermöglichen, um Schäden an umgebenden Geweben zu minimieren.

Die Verwendung von Quantenunsicherheit erlaubt eine Verschlüsselung der sensiblen medizinischen Informationen: Elektronische Gesundheitsakten, genetische und genomische Daten oder andere private Informationen, die das Gesundheitssystem über unseren Körper generiert. Andererseits müssen dann alle heutigen Systeme der Verschlüsselung umgestellt werden. Ein Quantencomputer knackt einen 300-stelligen Schlüssel in wenigen Sekunden.

Manfred Kindler, KKC-Vorsitzender, Kontakt: m.kindler@kkc.info