Verpflegung & Catering
Das Ernährungsverhalten in gesundheitsbezogenen Settings positiv zu beeinflussen, wird immer wichtiger. Dabei geht es nicht nur um die positive Beeinflussung der Gesundheit durch gesunde Ernährung, sondern auch um den ökologischen Fußabdruck in gesundheitsbezogenen Settings.

Zweifelsohne sollten insbesondere gesundheitsbezogene Institutionen in Sachen betrieblicher Gesundheitsförderung (inklusive Ernährung) mit einem positiven Beispiel vorangehen. Hinzu kommt, dass eine bewusste Ernährung den CO2-Fußabdruck positiv beeinflussen kann. Denn allein das Gesundheitswesen ist hierzulande für rund 5,2 Prozent der CO2-Emissionen (weltweit 4,4 Prozent) verantwortlich (ARUP 2019). Sich darüber bewusst, dass das Gesundheitswesen mehr Treibhausgase produziert als der Flugverkehr und die Schifffahrt, sind laut „Health Care Barometer zum Schwerpunkt Klimawandel“ nur 13 Prozent der rund 1.000 Befragten (PWC 2022).
Neben präventiven Vorteilen fördert eine bewusste Ernährung nicht nur die Gesundheit von Menschen in gesundheitsbezogenen Settings, sondern auch die Umwelt. Denn die globale Ernährung ist für rund ein Drittel der Treibhausemissionen verantwortlich. Allein 18 Prozent aller CO2-Emissionen gehen dabei auf das Konto tierischer Lebensmittel (Xu et al. 2021). Dabei könnte eine lacto-ovo-vegetarische Ernährung, die Fleisch, Geflügel und Fisch aus-, aber Milchprodukte und Eier einschließt, die ernährungsbezogenen CO2-Emissionen um 35 Prozent, die Landnutzung um 42 Prozent und die Süßwassernutzung um 28 Prozent reduzieren (Fresán et al. 2019). Angesichts vielfältiger Vorteile stellt sich die Frage, wie das Ernährungsverhalten im Gesundheitswesen positiv beeinflusst werden kann. Grundsätzlich bieten sich vielfältige Interventionen an, angefangen von Maßnahmen zur Steigerung der Ernährungskompetenz bis hin zu „sanften Anstupsern“ in Form von Nudges, die sich besonders leicht und schnell institutionell umsetzen lassen.
Verhaltensänderung via Nudging
Wir alle kennen sie: Warnhinweise und abschreckende Bilder auf Zigarettenschachteln, die aufgeklebten Fußabdrücke, die zur Treppe statt zum Aufzug führen, die Autobahnplakate („Runter vom Gas“) oder den Spiegel hinter bzw. über der Salattheke, der die Verfügbarkeit optisch vergrößert soll (Winkler et al. 2020). Solche Maßnahmen tragen dazu bei, Verhalten in gewünschte Richtungen zu lenken. Dabei erfolgt Nudging von außen durch Fremdeinwirkung in die Entscheidungsstruktur („choice architecture“) des Menschen ein, um so bessere Entscheidungen zu unterstützen (Thaler 2018). Nudges werden unterschieden in solche, die sich auf das Einzelwohl von Individuen („pro-self nudges“) beziehen oder dem Gemeinwohl („pro-social nudges“) dienen (Barton/Grüne-Yanoff 2015). Eine neuere Strategie stellt das selbstbestimmte Nudging („self-nudging“) dar, das von Menschen wissentlich selbst angewendet wird (Adam/Pfannes 2022). Gemäß der Zwei-Prozess-Theorie der Urteilsbildung kommen zwei unterschiedliche Prozesse der kognitiven Informationsverarbeitung zum Tragen (Kahneman 2003; Stanovich/West 2000). Die kognitive Informationsverarbeitung unterscheiden sich wie folgt (Kahneman 2003; Pfister et al. 2017):
- System 1 „Default-System“: Beim System 1 läuft die Informationsverarbeitung weitgehend automatisch, unwillkürlich und unbewusst ab. Das System 1 steuert vor allem Wahrnehmungen, Urteile, Entscheidungen oder Verhaltensweisen. Es wird Default-System (default, engl. Voreinstellung) genannt, da das System 1 von unserem Gehirn automatisch voreingestellt ist, ohne dass wir uns dessen bewusst sind.
- System 2 „Interventionsinstanz“: Beim System 2 läuft die Informationsverarbeitung bewusst, kontrolliert und damit intentional (zielgerichtet) ab. Das System 2 ist immer dann aktiv, wenn angesichts unvorhergesehener Ereignisse von Routinen Aufmerksamkeit gefordert ist, um Lösungen zu finden.
Ernährungsbezogenes Nudging
Um das Ernährungsverhalten zu beeinflussen, werden dieselben Nudge-Maßnahmen angewendet wie für andere Themen, z.B. durch Erinnerungen, Vereinfachungen, Warnhinweise und Apelle (Thorun et al. 2017). So kann das Nachfrage- und Konsumverhalten von bestimmten Gerichten und Nahrungsmitteln, sei es in der Kantine oder bei der Positionierung von sonstigen Lebensmitteln (Obstkörbe etc.) an zentralen bevorzugten Stellen z.B. in den Büroräumen, bewusst und unbewusst beeinflusst werden: Erfolgt die Positionierung gesunder Gerichte und Lebensmittel als Standardeinstellung, wird die „ungesündere“ Alternative allein aus Bequemlichkeitsgründen von MitarbeiterInnen (tendenziell) gemieden. Ein Beispiel zum Self-Nudging ist eine Push-Nachricht auf das Handy mit der Erinnerung, dass heute „Veggi-Day“ ist. Der Gestaltung von Nudges sind kaum Grenzen gesetzt (siehe Abbildung S. 49). Ziel ist es, durch Nudging-Maßnahmen praxisorientiert anzuregen, um das ernährungsbezogene Gesundheitsverhalten durch „einfache“ Interventionen positiv zu beeinflussen (Pfannes et al. 2020).
Die Abbildung verdeutlicht, dass Nudge-Maßnahmen in verschiedensten Bereichen in gesundheitsbezogenen Settings angewendet werden können, um sowohl die Gesundheit zu fördern als auch den CO2-Fußabdruck zu senken. Dabei sollten insbesondere Menschen mit Vorbildcharakter (z.B. Führungskräfte und Ärzteschaft) mit gutem Beispiel für die gute Sache einstehen, um Nachahmungseffekte zu erwirken. Der Einsatz von Vorbildern bzw. Testimonials auch auf Laien-Ebene in Form von stellvertretenden Erfahrungen der anvisierten Zielgruppe (z. B. Mitarbeiter) kann die Wirksamkeit solcher Maßnahmen zudem deutlich erhöhen.
Anwendung von ernährungsbezogenen Nudges
Bezüglich der Effektivität von Nudging-Maßnahmen zeigte eine Metaanalyse mit über 100 Nudging-Studien, dass Default-Nudges die höchste und Selbstbindungs-Nudges die geringste Effektivität aufwiesen (Hummel/Maedche 2009). Bezogen auf den Ernährungsbereich wiesen Verhaltens-Nudges bei der Teller- und Portionsgrößen verändert und die Gerichte anders platziert wurden die höchste Effektstärke auf (Broers et al. 2017; Cadario/Chandon 2020). Dass Nudges insgesamt den Kauf gesundheitsfördernder Lebensmittel um mehr als 15 Prozent steigern können, ergab die Auswertung einer weiteren Metaanalyse (Arno/Thomas 2016). In der Summe zeichnet sich ab, dass die Verringerung eines nicht gesundheitsförderlichen Verhaltens einfacher umsetzbar ist als die Förderung von gesundheitsförderlichem Verhalten (Broers et al. 2017). Oft werden Nudging-Maßnahmen auch kritisch gesehen, denn hierbei wird psychologisches Wissen dazu genutzt, die die Entscheidungs- und Handlungsfreiheit von Menschen beeinflusst (Beck 2015). Aus diesem Grund sollte bei der Umsetzung von Nudging-Maßnahmen immer eine Wahlmöglichkeit bestehen, so dass die Nudges umgangen werden können, nicht manipulativ sind und die Maßnahmen ethisch und moralisch vertretbar sind bzw. dem Wohl des Individuums bzw. der Gesellschaft dienen (Sunstein 2015).
Self-Nudging als wirksames Instrument
Im Gegensatz zum klassischen fremdbestimmten Nudging setzt Self-Nudging eine Kenntnis über die Veränderungsmotivation voraus. Dennoch eignen sich beide Nudging-Maßnahmen zweifelsohne, um das Ernährungsverhalten im gesundheitsbezogenen Setting zu beeinflussen. Zudem können sie eine ausgewogenere und umweltbewusstere Ernährungsweise fördern, die weniger CO2 verursacht. Ein weiterer Vorteil des Nudgings besteht darin, dass sich die Maßnahmen öffentlichkeits- und marketingwirksam implementieren und umsetzen lassen. Werden Nudging-Maßnahmen mit Nachhaltigkeitsaspekten verknüpft, können Institutionen diese Beiträge zudem in ihre Nachhaltigkeitsberichtserstattung integrieren. Auch vor dem Hintergrund, dass sich nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische Krisen mehren, kommt Nudging als Instrumentarium eine immer verstärkte Bedeutung zu: Nudging-Maßnahmen sind kostengünstig, einfach und schnell umsetzbar. Dabei sollten immer auch Aspekte wie Zweckmäßigkeit, Transparenz und Wirksamkeit berücksichtigt werden. Im Hinblick auf die Wirksamkeit von unterschiedlichen Nudging-Methoden bedarf es weiterer Erforschung, um die Chancen und Grenzen besser eingrenzen und geeignete Maßnahmen (z.B. betrieblicher Kontext, privat) zu planen, umzusetzen und ggf. auswerten zu können. Werden Maßnahmen initiiert, sollten diese partizipativ unter Einbeziehung der betroffenen Zielgruppe entwickelt werden, um nicht nur die Wirksamkeit zu erhöhen, sondern auch ethische Aspekte unterschiedlichster Zielgruppen und deren individuellen Bedürfnisse adäquat berücksichtigen zu können. Präventive Interventionen im Bereich Ernährungs- und Bewegungsförderung werden angesichts des Klimawandels und dem gestiegenen öffentlichen Rechtfertigungsdrucks einen neuen Aufwind erfahren.
Kontakt zu den Autorinnen:
Prof. Dr. VivianeScherenberg, Dekanin Fachbereich Public Health und Umweltgesundheit, Apollon Hochschule, viviane.scherenberg@
apollon-hochschule.de
Prof. Dr. Nadine Berling, Professorin Ernährungsberatung & Public Nutrition, Apollon Hochschule, nadine.bering@apollon-hochschule.de
Literatur
- Adam S., Pfannes U. (2022). Self-Nudging und Ernährungsverhalten. (Neue) Perspektiven für Gesundheit und Nachhaltigkeit. Ernährungs Umschau 69(4):M216-M221.
- Arno A., Thomas S. (2016). The efficacy of nudge theory strategies in influencing adult dietary behaviour: a systematic review and meta-analysis. BMC Public Health 16. doi: 10.1186/s12889-016-3272-x.
- ARUP (2019). Health care‘s climate footprint: How the health sector contributes to the global climate crisis and opportunities for action, https://noharm-global.org/sites/default/files/documents-files/5961/HealthCaresClimateFootprint_092319.pdf (18.06.2022).
- Barton A,; Grüne-Yanoff T. (2015). From libertarian paternalism to nudging and beyond. Review of Philosophy and Psychology, 6(3):341-359.
- Beck B. (2015). Kunden, die dieses neuronale Aktivitätsmuster zeigen, kauften auch … Nudge durch Neuroökonomie, In: Ach, J. S.; Lüttenberg, B.; Nossek, A. (Hrsg.): Neuroimaging und Neuroökonomie – Grundlagen, ethische Fragestellungen, soziale und rechtliche Relevanz. Berlin: Lit Verlag, S. 79-102.
- Broers V.J.V., De Breucker C., Van den Broucke S., Luminet O. (2017). A systematic review and meta-analysis of the effectiveness of nudging to increase fruit and vegetable choice. Eur J Public Health. 27(5):912-920. doi: 10.1093/eurpub/ckx085.
- Cadario R., Chandon P. (2020). Which Healthy Eating Nudges Work Best? A Meta-Analysis of Field Experiments. Marketing Science 39(3):465-486. https://doi.org/10.1287/mksc.2018.1128.
- Fresán U., Sabaté J. (2019). Vegetarische Ernährung: Planetarische Gesundheit und ihre Ausrichtung auf die menschliche Gesundheit. Adv. Nutr. ; 10:S380–S388, doi: 10.1093/advances/nmz019.
- Kahneman, D. (2003). Maps of bounded rationality: Psychology for behavioral economics. American Economic Review, 93(5):1449-1475.
- Pfannes U., Adam S., Rossi C. D. (2020). Ein Blick in den Alltag in Deutschland: Nudging – ein Präventionsansatz auch bei Corona. Ernährungs Umschau online plus Nudging – ein Präventionsansatz auch bei Corona (ernaehrungs-umschau.de) (18.06.2022).
- Pfister H.-R., Jungermann H., Fischer K. (2017). Die Psychologie der Entscheidung. Eine Einführung. 4. Auflage, Heidelberg et al.: Springer Verlag.
- PWC (2022). Healthcare-Barometer 2022 zum Schwerpunkt Klimawandel, https://www.pwc.de/ de/gesundheitswesen-und-pharma/healthcare-barometer-2022-zum-schwerpunkt-klimawandel.html (18.06.2022).
- Stanovich K. E., West R. F. (2000). Individual differences in reasoning: implications for the rationality debate? The Behavioral and brain sciences, 23(5):645-726.
- Sunstein C. R. (2014). The Ethics of Nudging, http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.2526341.
- Thaler R. H. (2018). Nudge, not sludge. Science, 361(6401):431.
- Thaler R. H., Sunstein C. R. (2009). Nudge: Improving Decisions About Health, Wealth, and Happiness. New York: Penguin Books.
- Thorun C., Diels J., Vetter M., Reisch L. et al. (2017). Nudge-Ansätze beim nachhaltigen Konsum: Ermittlung und Entwicklung von Maßnahmen zum „Anstoßen“ nachhaltiger Konsummuster – Abschlussbericht. Umwelt Bundesamt. Nudge-Ansätze beim nachhaltigen Konsum: Ermittlung und Entwicklung von Maßnahmen zum „Anstoßen“ nachhaltiger Konsummuster (umweltbundesamt.de).
- Weitere Literatur bei den Autorinnen.
- Xu X., Sharma P. et al. (2021): Global greenhouse gas emissions from animal-based foods are twice those of plant-based foods. Nature Food 2(9):724–732. doi:10.1038/s43016-021-00358-x.