Intelligente Supply Chain Mit Big Data gegen die Pandemie

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Digitalisierung und Einkauf

Ressourcenknappheit in Pandemiezeiten stellt Einrichtungen vor neue Herausforderungen in der ohnehin gebeutelten medizinischen Supply Chain. Erleichterung kann die Digitalisierung verschaffen – mit Hilfe von Big Data und KI.

Inventory Management kann Einrichtungen dabei helfen, die Lieferketten mit Hilfe von Daten zu optimieren. – © Joe (stock.adobe.com)

Nicht nur bei der Vergabe und Distribution der Impfstoffe gegen Corona herrscht Durcheinander auf europäischer sowie nationaler Ebene, der Terminvergabe und bei Lieferengpässen. Krankennhäuser stellen mit Schrecken fest, dass sie möglicherweise nicht genug Spritzen und Nadeln haben. Diese Knappheit bedeutet eine neue Herausforderung für die ohnehin schon gebeutelten medizinischen Supply Chains.

Die Chance liegt hier, wie so oft, in der Digitalisierung, Big Data und künstlicher Intelligenz. Sie hilft, einen Überblick über die Lieferketten zu erhalten und unterstützt bei der Planung. Dies gilt nicht nur bei der Planung von Impfkampagnen. Auch Kliniken können dank neuster Technologie prognostizieren, wieviel Verbrauchsmaterial sie wann benötigen. Gleichzeitig vereinfachen digitale Prozesse die Vernetzung sowohl zwischen Krankenhäusern als auch innerhalb einer Klinik. Wie wichtig eine Übersicht über den Bestand und der Austausch mit anderen Einrichtungen sind, hat die erste Welle der Pandemie im Frühjahr 2020 gezeigt.

Datenrelevanz in der Supply Chain

Wenn Daten und Künstliche Intelligenz Supply Chains widerstandsfähiger machen sollen, stellt sich automatisch die Frage, wie das funktionieren kann. Eine der wichtigsten Einsatzgebiete von künstlicher Intelligenz (genauer gesagt von Machine Learning), ist die Fähigkeit, große Datenmengen zu analysieren, Muster zu erkennen und verborgene Zusammenhänge aufzudecken. Eine KI nutzt diese Daten und die Analysen, um Prozesse zu verbessern und zu automatisieren. Die Maschine erledigt dies in einer Geschwindigkeit und Präzision, wie es ein Mensch nicht vermag.

So eine ausgefeilte Verbesserung von Prozessen funktioniert nur mit der richtigen Datenstruktur und dem Zugang zu qualitativ hochwertigen Daten. Nur mit hoher Datenqualität sind ein echter Nutzen und Mehrwert durch KI und Machine Learning zu erwarten. In der IT-Branche gibt es dafür ein geflügeltes Wort. Man spricht dort von GIGA (Garbage In, Garbage Out). Wer das System also mit schlechten Daten füttert, bekommt auch schlechte Ergebnisse. Daher müssen Kliniken und Gesundheitseinrichtungen zunächst sicherstellen, dass sie über genügend Daten aus verschiedenen Quellen verfügen. Diese müssen dann einschlägigen Standards, Policies und Prozessen entsprechen.

Entscheidender Faktor: Datenqualität

Am Anfang einer optimierten Supply Chain steht das Sammeln qualitativ hochwertiger Daten. Mit der fortschreitenden Automatisierung der Lieferketten und der digitalen Verfügbarkeit von Verbrauchsdaten liegt eine hohe Datenqualität vor. Damit öffnet sich die Tür zu einigen spannenden KI-basierten Anwendungen.

Eines der interessantesten Anwendungsfelder für Machine Learning ist die Analyse von klinischen und Patientendaten, gesellschaftlichen Daten sowie solchen zu menschlichem Verhalten. Auf diese Weise lassen sich Ausbrüche von Krankheiten prognostizieren, ebenso die Nachfrage nach medizinischer Versorgung an einem bestimmten Ort oder die Wahrscheinlichkeit, welche Regionen oder Altersgruppen von einer bestimmten medizinischen Situation betroffen sein werden. Auf der Ebene des einzelnen Patienten können Ärzte basierend auf der „wahrscheinlichsten“ Ursache von Symptomen Krankheiten diagnostizieren.

Viele weitere Szenarien sind möglich: Zum Beispiel lassen sich Wahrscheinlichkeiten berechnen, welche Regionen besonders von Corona betroffen sein werden. Als Basis für derartige Prognosen dienen Echtzeitdaten sowie bestehende Daten über die Bevölkerungszusammensetzung. Hat die Bevölkerung in einem bestimmten Gebiet einen besonders hohen Altersdurchschnitt? Eine KI kann solche Fragen berücksichtigen, wenn es darum geht, zu entscheiden, wie viele medizinische Ressourcen in einem bestimmten Gebiet vorrätig sein müssen. Sie prognostiziert die zu erwartende Zahl an Erkrankten und steuert damit die Bedarfsplanung in der Supply Chain, von den Distributoren bis zu den Herstellern. Bei der regionalen Verteilung von Impfstoffen könnten solche Prognosen sehr hilfreich sein.

Automatisierung in der medizinischen Versorgungskette

Ein System, das mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhersagen kann, wo die Fallzahlen steigen werden, ist zunächst sehr nützlich. Was den Wert einer datengetriebenen Healthcare-Supply-Chain im Kampf gegen Corona besonders steigert, ist die Prozessautomatisierung. Diese ermöglicht es Kliniken und Lieferanten, sich basierend auf Daten auf Situationen vorzubereiten. Daten auf Artikelebene in einer Einrichtung wie einem Krankenhaus oder Pflegeheim zu erfassen, verschafft Transparenz darüber, wann neue Geräte oder Materialien bestellt werden müssen.

Gerade in Pandemiezeiten, wenn Krankenhäuser und Intensivstationen am Limit arbeiten, kann Automatisierung für echte Entlastung sorgen. Die Mitarbeiter auf den Intensivstationen haben keine Zeit, ihr Inventar fortlaufend zu beobachten und zu schauen, wie viel noch da ist. Indem automatisch erfasst wird, welche Geräte oder Materialien gerade im Einsatz sind, sei es Schutzkleidung oder ein Beatmungsgerät, lassen sich die Bestände in Echtzeit überwachen. Dann lassen sich automatisiert Bestellungen auslösen, wenn der Bestand einen definierten Wert unterschreitet. Dies ermöglicht ein optimiertes Bestands- und Einkaufs-Management. Das klinische Personal, das am Patienten dringend benötigt wird, muss für solche lästigen Verwaltungsaufgaben keine Zeit mehr aufwenden.

Großbritannien macht es vor

Ähnlich wie bei den Impfungen von Risikogruppen, ist auch hier Großbritannien ein Stück weiter. Vor einigen Jahren hat der NHS in Schottland sein Inventar-Management und Bestellsystem digitalisiert. Das Ergebnis war beeindruckend: Mitarbeiter im Gesundheitswesen konnten wöchentlich acht bis 13 Stunden Arbeitszeit einsparen, weil sie keine händischen Bestellungen mehr bearbeiten mussten. Stattdessen konnten sie sich verstärkt um die Patientenversorgung kümmern. Daten zur Häufigkeit von Bestellungen lassen sich auch nutzen, um den künftigen Bedarf an Material zu prognostizieren. Hersteller können die Produktion entsprechend anpassen.

In Echtzeit einen Einblick in Bestand und Verbrauch zu haben, die Wahrscheinlichkeit steigenden Materialbedarfs voraussagen zu können, rechtzeitig genügend zu bestellen und das in Zeiten einer Pandemie – dies ist Gold wert, denn es entlastet das Pflegepersonal, das auf den Stationen so dringend benötigt wird. Unser Erfolg im Kampf gegen Corona hängt, von der Klinikseite betrachtet, davon ab, wie wir eine Verknappung von medizinischer Ausrüstung vermeiden und Personalmangel auf den Stationen entgegenwirken. Eine optimierte Supply Chain, die durch hochwertige Daten gesteuert wird, kann dem Gesundheitssektor helfen, diese Herausforderungen zu meistern.

Mehr zum Thema Inventory Management finden Sie in der aktuellen Ausgabe von HCM, die am 10. März erscheint, auf den Seiten 38 und 39.

Kontakt zum Autor:
Dr. Christoph Luz, Geschäftsführer GHX Deutschland, Kontakt: Christoph.Luz@ghxeurope.com