Die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns prognostiziert für die kommenden Jahre eine große Versorgungslücke, denn viele Mediziner werden in den kommenden Jahren in Ruhestand gehen. Im HCM-Interview erklärt die bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU), was sie gegen Ärztemangel im Freistaat unternimmt.

HCM: Frau Ministerin Huml, schon jetzt fehlen in Bayern Fachärzte, wie eine Erhebung der Bertelsmann Stiftung zeigt. Aufgrund des hohen Altersdurchschnitts wird sich der Ärztemangel in den kommenden Jahren voraussichtlich verstärken. Was unternehmen Sie gegen die drohende Versorgungslücke?
Huml: Richtig ist: Es waren noch nie so viele Ärzte in Bayern tätig wie derzeit. Alle Bürger Bayerns sind mit niedergelassenen Haus- und Fachärzten grundsätzlich sehr gut versorgt. Allerdings ist die Ärzteschaft teilweise zwischen Stadt und Land ungleich verteilt. Hinzu kommt, dass z.B. bei Hausärzten bereits heute schon jeder Dritte 60 Jahre und älter ist und deshalb aus Altersgründen in absehbarer Zeit seine Praxis aufgeben wird. Das Problem der Überalterung wird aber mit wenigen Jahren Verzögerung auch bei den verschiedenen anderen Arztgruppen auftreten. So gestaltet sich auch bei Fachärzten die Nachbesetzung von Praxen auf dem Land zunehmend schwieriger. Wir werden also in den nächsten Jahren einen erheblichen Bedarf an ärztlichem Nachwuchs haben. Hier wollen wir rechtzeitig die Weichen stellen.
Die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung in Bayern ist Aufgabe der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns. Da es aber erklärtes Ziel der bayerischen Staatsregierung ist, die qualitativ hochwertige und wohnortnahe medizinische Versorgung im Freistaat zu erhalten, hat sie bereits 2012 ein Förderprogramm zum Erhalt und zur Verbesserung der medizinischen Versorgung v.a. im ländlichen Raum aufgelegt. Damit wollen wir Mediziner für den ländlichen Raum gewinnen. Das Programm besteht aus einer Niederlassungsförderung für Hausärzte, Stipendien für Medizinstudenten, die später im ländlichen Raum tätig werden, und Zuschüssen für die Erprobung innovativer medizinischer Versorgungskonzepte.
HCM: Wie viel Geld stellen Sie für die einzelnen Förderprogramme zur Verfügung?
Huml: Unser Förderprogramm hat bisher ein Gesamtvolumen von 15,5 Millionen Euro. Im Haushaltsentwurf für 2015/2016 sind hierfür weitere elf Millionen Euro vorgesehen. Neben der Niederlassungsförderung von Hausärzten mit bis zu 60.000 Euro unterstützen wir innovative medizinische Versorgungskonzepte mit bis zu 200.000 Euro. Daneben fördern wir mit einem Stipendium in Höhe von 300 Euro monatlich Medizinstudierende, wenn sie bereit sind, ihre Facharztweiterbildung im ländlichen Raum zu absolvieren und anschließend für mindestens fünf Jahre auf dem Land tätig zu sein.
HCM: Wie tragen die bestehenden Förderprogramme dazu bei, genau dort die Niederlassung von Ärzten zu fördern, wo tatsächlich ein Mangel besteht?
Huml: Während in den größeren Städten sich die Arztpraxen meist problemlos nachbesetzen lassen, haben in kleineren Gemeinden Ärzte bereits heute häufig Schwierigkeiten, einen Nachfolger zu finden. Wir haben deshalb zwei Kriterien aufgestellt, nach denen wir Hausärzte bei einer Niederlassung unterstützen. Zum einen darf die Gemeinde, in der sich der Hausarzt niederlassen möchte, nicht mehr als 20.000 Einwohner haben. Zum anderen darf es sich nicht um eine überversorgte Region handeln. Es ist unser Ziel, in Bayern auch in Zukunft eine qualitativ hochwertige und flächendeckende medizinische Versorgung zu erhalten.
HCM: Wie viele Stellen haben Sie mit Hilfe des Förderprogramms bisher auf dem Land geschaffen?
Huml: Unser Förderprogramm stößt auf großes Interesse. Bis jetzt haben bereits über 200 Allgemeinmediziner unsere Niederlassungsförderung beantragt. 95 Hausärzte konnten wir durch unsere Förderung zu einer Niederlassung auf dem Land veranlassen. Das ist ein erfreulicher Beleg für den Erfolg des Förderprogramms.
HCM: Seit 2012 gibt es in Bayern auch ein Förderprogramm, mit dem Medizinstudierende für eine Tätigkeit im ländlichen Raum gewonnen werden sollen. Wie wird das Förderprogramm bisher angenommen?
Huml: Auch unser Stipendienprogramm für Medizinstudierende hat eine gute Resonanz: Derzeit erhalten 60 Medizinstudenten aus ganz Bayern ein Stipendium in Höhe von monatlich 300 Euro. Sobald unsere Stipendiaten ihr Medizinstudium abgeschlossen haben, werden sie zur medizinischen Versorgung des ländlichen Raums beitragen.
HCM: Reichen die Förderprogramme des bayerischen Gesundheitsministeriums aus, um die Qualität der Versorgung im Gesundheitswesen zu sichern?
Huml: Um die Versorgung auch in Zukunft auf hohem Niveau zu sichern, müssen alle Akteure des Gesundheitswesens zusammenwirken. Primär ist natürlich die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns in der Verantwortung, deren gesetzliche Aufgabe ja die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung im Freistaat ist. Aber auch die medizinischen Fakultäten müssen ihren Beitrag leisten. Hier sehe ich v.a. die Notwendigkeit, an allen medizinischen Fakultäten einen Lehrstuhl für Allgemeinmedizin einzurichten. Die Kommunen können ihre Attraktivität für Ärzte erhöhen. Und auch Ärzteverbände und Krankenkassen sollten im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben die Rahmenbedingungen für die medizinische Tätigkeit optimal gestalten.
Wenn wir junge Mediziner für den Hausarztberuf gewinnen wollen, ist es besonders wichtig, wieder ein positives Berufsbild zu zeichnen. Denn gerade als Ärztin bin ich zutiefst überzeugt: Jungen Frauen und Männern, die sich für den Arztberuf entscheiden, geht es nicht in erster Linie um Prestige oder Geld. Die meisten wollen mit Menschen arbeiten, etwas für andere Menschen tun. Die Arztpraxis bietet dazu eine exzellente Möglichkeit. Das muss man wieder deutlicher kommunizieren.
HCM: Welchen Beitrag kann etwa die Telemedizin leisten, um die Versorgung mit Gesundheitsleistungen langfristig sicherzustellen?
Huml: Die Telemedizin ist eine sinnvolle Ergänzung zu den bestehenden Versorgungsstrukturen in Bayern. Dank moderner Informations- und Kommunikationstechnologien wird medizinisches Spezialwissen flächendeckend verfügbar. Durch Videokonferenzen und Telemonitoring etwa können den Bürgern in vielen Fällen lange Anfahrtswege zum nächsten Spezialisten oder häufige Kontrollbesuche beim Arzt erspart werden. Davon profitieren insbesondere die Patienten im ländlichen Raum, ohne dass die Telemedizin das vertrauensvolle Arzt-Patienten-Verhältnis beeinträchtigt. Denn der Arzt bleibt stets erster Ansprechpartner für seine Patienten. Wir haben bisher bereits zwölf Millionen Euro für Projekte in der Telemedizin zur Verfügung gestellt.
Daneben wurde auch eine Vielzahl von innovativen Ideen außerhalb der staatlichen Förderung verwirklicht. Diese Initiativen haben maßgeblich dazu beigetragen, dass in Bayern die Telemedizin heute schon so erfolgreich praktiziert wird.
Das Interview führte Anna-Maja Leupold.