Klinikmarkt
Eine passende Medizinstrategie kann eine entscheidende Rolle dabei spielen, den weiteren Rückgang stationärer Fälle durch Kompensationsmöglichkeiten aufzufangen. Ein Blick auf die Ambulantisierungseffekte liefert dafür wertvolle Erkenntnisse.

Brancheneinschätzungen zu Folge war man sicher, dass die sinkenden Fallzahlen im stationären Sektor während der Pandemiezeit dem personifizierten Ambulantisierungspotenzial entsprechen und ausbleibende Behandlungsfälle damit zu begründen sind. Entgegen den Erwartungen und nach einer einschneidenden Zeit für Kliniken, die überwiegend von der Pandemiebewältigung geprägt war, scheinen Patientinnen und Patienten jedoch wieder den Weg zurück in die Krankenhäuser zu finden. Zwar befindet sich das Leistungsniveau in 2021 für die überwiegende Mehrheit der Krankenhäuser noch unter dem Niveau aus 2019, dennoch zeigen sich gewisse Erholungseffekte im Vergleich zu 2020.
Förderung der Ambulantisierung wird Patientenströme nachhaltig verändern
Problematisch aus Sicht der Kliniken ist, dass diese Erholungseffekte voraussichtlich nur von kurzer Dauer sein werden. Spätestens nach Inkrafttreten der neuen Rahmenbedingungen zur Förderung sektorenübergreifender Versorgungsmodelle und der Ambulantisierung werden Patientinnen und Patienten, die schon einmal aufgrund pandemischer Beweggründe in den Krankenhäusern vermisst wurden, zumindest dem stationären Sektor zukünftig systembedingt für immer „fehlen“.
Vor diesem Hintergrund wird es relevant werden, klinikindividuelle Kompensationsmöglichkeiten durch eine Medizinstrategie auszuloten, die eine zukünftig niedrigere Inanspruchnahme von stationären Gesundheitsdienstleistungen mit der vorhanden Infrastruktur und den bislang vorgehaltenen Kapazitäten in Einklang bringen kann. Folgende Optionen können hierfür u.a. in Frage kommen:
- Kompensation durch Abbau und/oder Schließung von Betten
- Kompensation durch Umwandlung freiwerdender Kapazitäten hin zu ambulanten oder hybriden Versorgungsformen
- Kompensation durch steigende Inanspruchnahme aufgrund von Marktbereinigung
- Kompensation durch steigende Inanspruchnahme aufgrund von Spezialisierung
Während Option 1 zwar kurzfristig umsetzbar ist, jedoch langfristig lediglich einer Kosteneinsparungsmaßnahme und weniger einer Kompensation entspricht, werden Option 2 und 4 zwar langfristige Effekte auslösen, aber kurzfristig mit Investitionskosten verbunden sein. Option 3 kann durch Strukturbereinigung zu Kompensationseffekten führen, wird aber nur bedingt planbar sein und ist nicht unmittelbar für Entscheidungsträger im Klinikmanagement beeinflussbar. Generell ist davon auszugehen, dass die Kombination aus allen Optionen zur passenden Strategie führen wird. Ein Orientierungswert der zur Bewertung aller Kompensationsoptionen notwendig sein wird, ist die absolute und relative Verteilung ambulant-sensitiver Krankheitsbilder gemäß der zukünftigen Beurteilungslogik im Rahmen des Gutachten nach § 115b Abs. 1a SGB V.
Was bleibt für Krankenhäuser?
Neben dem Orientierungswert für das eigene Krankenhaus ( siehe Fit für die Ambulantisierung? Ein Leitfaden für Krankenhäuser) kommt es bei der zukünftigen Strategieauswahl primär auf die Effekte der gesamtes Versorgungslandschaft an. Hierfür exemplarisch stehen Krankheiten des Verdauungssystems die auf Basis der aktuellen Überlegungen zur Erweiterung des Kataloges für ambulantes Operieren zukünftig am Beispiel des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern zu knapp einem Drittel als ambulant-sensitiv gelten können (siehe Abbildung unten). Für Neubildungen liegt der Ambulantisierungsfaktor bei etwa einem Viertel.

Insbesondere zur Bewertung von Kompensationseffekten durch eine Marktbereinigung oder Spezialisierungstendenzen sind leistungsortbezogene Orientierungswerte hilfreich. Für die stationären Leistungserbringer werden Ambulantisierungseffekte im Status-Quo in Abhängigkeit zu den bisherigen Leistungsschwerpunkte analog zu Abbildung 1 entweder stark oder schwach ausgeprägt sein. Für Krankenhäuser in Mecklenburg-Vorpommern verhält es sich exemplarisch für den Bereich der Neubildungen (siehe nachfolgende Abbildung).

Spezialisierung hat Grenzen
Die Darstellung zu den stationären Leistungserbringern in Mecklenburg-Vorpommern unterstreicht die Limitation einer reinen Kompensationsstrategie durch Marktbereinigung. Aufgrund dessen, dass sich die Mehrheit der Behandlungsfälle am Beispiel der Neubildungen ohnehin auf wenige Krankenhäuser verteilt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der übrige Anteil an zukünftig rein stationärem Versorgungsbedarf durch Marktbereinigung ausreichend sein wird, um den Ambulantisierungsanteil der verbleibenden Krankenhäuser zu kompensieren.
Selbiges gilt für eine Kompensationsstrategie die auf hochspeziellen bzw. komplexen Eingriffen basiert, weil ein potenzielles Versorgungsangebot an die Regelungen zur Qualitätssicherung entlang der Mindestmengen geknüpft ist. Für Leistungserbringer in Bundesländern mit einer überschaubaren Anzahl an Maximal- oder universitären Versorgern machen prospektiv ausgelegte Kooperationen zum Versorgungsangebot durchaus Sinn, um sich in den einzelnen Mindestmengenkategorien nicht gegenseitig zu „disqualifizieren“. Exemplarisch hierfür steht die Stadt Rostock mit zwei Leistungserbringern auf ähnlichem Versorgungsniveau (siehe Abbildung Karte oben).
Um dem stationären Leistungsrückgang durch Ambulantisierung entgegenzuwirken und durch Kompensationsstrategien dem Stuck-in-the-Middle-Dilemma zu entgehen wird die Beantwortung folgender Fragen relevant werden:
- Wie viele und welche bislang stationären Krankheitsbilder werden durch ambulante Behandlungsformen substituiert?
- Wie stark oder wenig ausgeprägt sind Ambulantisierungseffekte für Leistungserberinger einer ausgewählten Versorgungsregion?
- Wie verteilen sich stationären und ambulant-sensitive Krankheitsbilder auf diese Leistungserbringer?
- Wie werden sich die zukünftigen Behandlungsfälle nach Marktbereinigung verteilen?
- Wie hoch ist der potenzielle Versorgungsbedarf der durch Spezialisierung abgedeckt werden kann?
Kontakt zum Autor
Maximilian Schmid, COO – Geschäftsführung, BinDoc GmbH, Kontakt: maximilian.schmid@bindoc.de