KHZG-Fördertatbestand Potenzialträger EVS

Krankenhäuser sind verpflichtet, bis Januar 2025 ein Medikationsmanagement zu realisieren. Elektronische Versorgungsschranksysteme (EVS) können dabei wertvoll sein. Doch auf dem deutschen Markt werden ihre Potenziale bisher nur selten gesehen. Wie in HCM-Ausgabe 7/2022 zum Thema Arzneimittelsicherheit berichtet, haben Medikationsfehler in deutschen Krankenhäusern erhebliche Auswirkungen auf Therapieerfolg, Patientenbefinden, Verweildauer und Kosten. Die Vorgaben des Krankenhauszukunftsgesetzes (KHZG) für die Förderfähigkeit von Vorhaben zur Verbesserung der Medikationssicherheit umfassen im Kern drei Gestaltungselemente, die zwingend für eine Finanzierungshilfe erfüllt sein müssen: Die Prozessstruktur des Medikationsmanagements muss nach dem Prinzip Closed-Loop-Medication-Administration organisiert sein. Die Medikationslogistik ist patientenindividuell und basiert auf dem Konzept Unit Dose, das als Goldstandard für eine fehlersichere Zusammenstellung und Ausgabe der Arzneimittel an den Patienten gilt. Robotik-basierte Stellsysteme sollen den Medikationsprozess sicherer machen, indem der Mensch als mögliche Fehlerquelle in den kritischen Prozess-Phasen durch Technologie unterstützt wird. Die Krankenhäuser sind verpflichtet, bis zum Januar 2025 ein Medikationsmanagement zu realisieren, das diese drei Gestaltungselemente enthält. Für den Fall der nicht zeitgerechten Realisierung dieser Anforderungen sieht der Gesetzgeber Strafzahlungen vor, die (so die aktuelle, aber nicht abgeschlossene Diskussion) bis zu zwei Prozent der Erlöse aus medizinischen Leistungen ausmachen können. Unabhängig von dem engen Zeitrahmen, der für diese aufwändige Reorganisation noch verfügbar ist, sind die Anschaffungs- und Folgekosten einer Unit-Dose-Versorgung in Kombination mit Robotik-basierten Ausgabesystemen für viele kleine und mittlere Krankenhäuser im Verhältnis zu alternativen und ebenso sicherheitswirksamen Organisationsformen der Arzneimittelversorgung sehr hoch. Außerdem werden über Unit Dose nur orale Arzneimittel erfasst. Insbesondere in amerikanischen, englischen und niederländischen Krankenhäusern werden für die Komplettversorgung mit Arzneimitteln in allen Darreichungsformen „Elektronische Versorgungsschrank-Systeme“ (EVS) oder „Smart Cabinets“ eingesetzt, um Medikationsirrtümer zu vermeiden und die Pflegekräfte zu entlasten. EVS sind in deutschen Häusern selten anzutreffen. Eine strukturierte Befragung bei Vertreterinnen und Vertretern von 88 Krankenhausapotheken zeigte, dass EVS-Systeme den Anwendern und Anwenderinnen wenig bzw. eher oberflächlich bekannt sind: 16 Prozent der Befragten sind EVS-Systeme völlig unbekannt. 84 Prozent geben an, dass ihnen EVS „grundsätzlich bekannt sind, aber über deren Funktionalität, Kosten-Nutzen-Verhältnis und Prozess-Effektivität hätten sie keine aussagefähigen Informationen verfügbar“. Keine befragte Person gab an, EVS seien „bestens bekannt“ oder man kenne die Funktionalitätsunterschiede der auf dem Markt angebotenen EVS-Produkte von verschiedenen Herstellern. Auffallend ist, dass Entscheider und Entscheiderinnen aufgrund von Informationsdefiziten über die Funktionalität von EVS Unterschiede zwischen EVS-Systemen, Baxter-Automaten, Entblisterungsanlagen und Robotik-Systemen nicht immer erkennen. In der Konsequenz werden EVS als „Lagerungsschrank“ angesehen, der mit den traditionellen Schrankangeboten als funktional gleichwertig und vergleichsweise kostenintensiv eingeschätzt wird. Die funktionalen Vorteile von EVS-Systemen (z.B. niedrigere Umläufe, Wirtschaftlichkeitseffekte, Personalentlastung) werden nicht realisiert und die Bedeutung von EVS als Rückgrat einer digitalisierten Arzneimittel-Logistik nicht erkannt. Bekannt sind dagegen Robotik-Systeme zur Lagerhaltung in der Zentral-Apotheke sowie Automaten zur Entblisterung als Vorstufe zur Befüllung von Unit-Dose-Automaten. Auch Herstellerfirmen bzw. Anbieter von EVS-Systemen sind den Befragten weitgehend unbekannt: 86 Prozent der Befragten kennen von sich aus keinen Hersteller oder Vertriebspartner von EVS-Systemen. 14 Prozent kennen die EVS-Marken Pyxis MedStation und Omnicell, wobei Omnicell aktuell den größeren Bekanntheitsgrad aufweist. Einschätzung von Funktionalität und Nutzen von EVS-Systemen Einerseits wird von einem Teil der Anwender vermutet, dass EVS die Arbeit für das Personal erleichtern (45 Prozent). Nicht überzeugt sind dagegen die Befragten von der Wirtschaftlichkeit (4,5 Prozent) sowie den Effekten bezüglich Patientensicherheit (21 Prozent). Auch waren die Befragten von der Versorgungssicherheit nicht überzeugt (0 Prozent) und (neun Prozent) waren der Meinung, EVS-Systeme würden überhaupt keinen Beitrag zu Personalentlastung, Wirtschaftlichkeit und Prozess-Effizienz leisten. 56 Prozent der Befragten sind aktuell nicht bereit, sich mit EVS-Systemen als neue Form der Arzneimittellogistik zu beschäftigen, weil sie mit der gegenwärtigen Organisationsform des Arzneimittel-Managements zufrieden sind. Festzustellen ist, dass die interne Arzneimittellogistik in 81 Prozent der befragten Krankenhäuser auf folgende Art organisiert ist: Die Apotheke liefert die von der Station angeforderten Medikamente in Form von Packungen in ein Stationslager, aus dem dann die Pflegekraft die Medikamente entnimmt und für den einzelnen Patienten den Tagesbedarf an Medikamenten in einer Dosette (= patientenindividueller Tablettenbehälter) kommissioniert (meistens vorbereitet durch die Nachtschwester). Aus der Dosette wird die Medikation über den Tag verteilt von anderen Pflegekräften am Bett gestellt. Der Organisationsablauf in der „klassischen“ Arzneimittel-Logistik trennt zwischen dem Organisationsbereich der Bereitstellung des Stationssortiments im Stationslager (Zuständigkeit Apotheke) und dem Bereich des Anordnens und Stellens der Medikation (Zuständigkeit Arzt und Pflege). Diese Art der Organisation ist im Hinblick auf Fehleranfälligkeit, Entlastung der Pflege und Wirtschaftlichkeit objektiv verbesserungsfähig. EVS-Systeme könnten hier Beiträge zur Erhöhung von Patientensicherheit, Mitarbeiterentlastung sowie Wirtschaftlichkeit leisten. Das betrifft insbesondere auch die Organisation des Abgleichs (Matching) zwischen Patient und Medikation. Dieses Matching bei Stellung bzw. Applikation erfolgt in 57 Prozent der befragten Krankenhäuser via Sichtkontrolle durch die Pflegkraft. Vom Stand der Medikationssicherheit Der Eindruck, dass die Organisation der Arzneimittellogistik in den Krankenhäusern verbesserungsfähig ist, wird durch das Befragungsergebnis im Hinblick auf die Organisation der „letzten Meile“ in der Arzneimittelversorgung (Stellen der Medikamente) bestätigt. So ist der Einsatz von Medikationssoftware zwecks Vermeidung von Medikationsfehlern in deutschen Krankenhäusern noch ausbaufähig, da nur 33 Prozent angeben, eine solche Entscheidungshilfe zu nutzen. Damit weiterhin setzen etwa 50 Prozent der Krankenhäuser derzeit keine klinischen Pharmazeuten auf Station ein, um den Medikationsprozess sicherer, wirtschaftlicher und therapeutisch effektiver zu gestalten. Begrenzte Erfahrungen mit EVS in deutschen Krankenhäusern Es überrascht nicht, dass praktische Erfahrungen mit EVS-Systemen in deutschen Krankenhäusern sehr begrenzt sind. Lediglich drei Befragte (von 88) berichteten über konkrete Erfahrungen mit dem Einsatz von EVS im Bereich der Versorgung mit Betäubungsmitteln. Praktische Erfahrungen im Einsatz von EVS im Bereich der Arzneimittelversorgung im Krankenhaus sind bisher nur auf wenige pilothafte Anwendungen beschränkt und Ergebnisse sind derzeit nicht kommuniziert. Dennoch ist festzustellen, dass eine zeitliche Entlastung des Pflegepersonals sowie eine erhöhte Prozess-Sicherheit bei Verwendung von EVS im Anwendungsbereich BTM zu erkennen sind. Informationsbedarf und Informationswünsche Da es sich bei EVS um ein erklärungsbedürftiges Produkt handelt, dessen Einführung mit erheblichen Reorganisationsmaßnahmen verbunden ist (Change Management), sind 63 Prozent der Befragten daran interessiert, andere Krankenhäuser zu besuchen, um sich direkt vor Ort mit den Anwendern über den Nutzwert von EVS auszutauschen. Etwa 25 Prozent der Befragten sind auch an einem Erfahrungsaustausch mit ausländischen Krankenhäusern interessiert und zirka 38 Prozent wünschen den Informationsaustausch ausschließlich mit deutschen Krankenhäusern. Weitere 37 Prozent halten den Informationsaustausch mit anderen Krankenhäusern für nicht zielführend. Gründe für das aktuelle Entscheidungsverhalten Die Gründe, die letztlich dazu führen, dass Entscheider derzeit eine EVS-Investition nicht durchführen, sind durch ein Bündel aus mehreren Aspekten charakterisiert (s. Abbildung 1). An erster Stelle der Begründungen rangieren „unzureichende Informationen“ über Funktionalität und Prozess-Effizienz sowie digitales Potenzial von EVS. EVS repräsentieren ein „erklärungsbedürftiges Produkt“, d.h. anbieterseitig sind fachliche Informationen bereitzustellen und nachfrageseitig muss die Bereitschaft zur Informationsaufnahme bestehen. Diese Begründung passt zu dem drittwichtigsten Entscheidungsaspekt, wonach „die Wirtschaftlichkeit noch nicht überzeugend nachgewiesen“ wurde, z.B. nachlesbar wäre in Best-Practice-Berichten bzw. White Papers, vorzugsweise aus deutschen Krankenhäusern. Eine wichtige Rolle spielen die finanziellen Restriktionen, denen die deutschen Krankenhäuser schon seit Jahren unterworfen sind (Stichwort: Investitionslücke), wobei diese Restriktion durch die Corona-Pandemie offenbar verstärkt wurde. Auch hat die bezüglich Dauer, Verlauf und Intensität nicht vorhersehbare weitere Entwicklung der Corona-Krise die Entscheider verunsichert, so dass diese mit langfristigen Investitionsvorhaben eher vorsichtig umgehen. Das Argument „keine erfolgreiche Anwendung bekannt“ weist hin auf eine ausgeprägte Unsicherheit über den Erfolg einer EVS-Installation. Auch wenn EVS derzeit bei zahlreichen Krankenhäusern nicht auf der Liste der Investitionsvorhaben stehen, sind immerhin 41 Prozent der Krankenhäuser bereit, sich in den nächsten sechs bis zwölf Monaten mit diesem Thema zu beschäftigen. Schließt man die Befragten mit der Antwort „keine Angaben“ als Entscheider ein, die einen EVS-Einsatz im eigenen Haus ablehnen, so liegt die Ablehnungsquote bei etwa 60 Prozent. Wirtschaftliche Kalkulationen zum EVS-Einsatz fehlen Die Anwender sind unzureichend informiert über die Funktionalität und die Nutzeneffekte von EVS-Systemen im Anwendungsbereich Arzneimittel-Logistik. Zahlreiche Entscheider betrachten EVS-Systeme als „Regalsystem zur Lagerhaltung“ und setzen daher ein digitales EVS-System von der Begrifflichkeit her und bezüglich der Funktionalität gleich mit analogen Regalsystemen. Die digitale Hebelwirkung von EVS wird von den Entscheidern unterschätzt bzw. nicht wahrgenommen. Aufgrund des nach wie vor hohen Kostendrucks im Gesundheitssystem sind die Krankenhäuser nicht in der Lage, Investitionen ohne fundierten Wirtschaftlichkeitsnachweis zu realisieren. Aber es fehlen derzeit solide kalkulierte Wirtschaftlichkeitsnachweise aus deutschen Krankenhäusern für den Einsatz von EVS in der Krankenhauslogistik. Investitionen, die mit einem vermuteten hohen „Change-Management-Aufwand“ verbunden sind, werden ebenso eher gemieden, um sich nicht dem Risiko des Scheiterns aufgrund mangelnder Mitarbeiterakzeptanz auszusetzen. Zieht man Informationen aus anderen Befragungen und Studien des Centrums für Krankenhaus-Management heran, so zeigt sich, dass Pflegekräfte über die entlastende Wirkung von EVS nicht informiert sind. Auch die Einkaufsgemeinschaften sind mit EVS-Technologien nur begrenzt vertraut und unterschätzen daher EVS als Instrument zur Marktentwicklung, wenn es z.B. darum geht, LDL-Funktionen zu übernehmen oder Konsignations-Ware zu steuern. Empfehlung: EVS für Schwerpunkt- und Maximalversorger „Smart Cabinets“ ermöglichen eine Komplettversorgung mit Arzneimitteln in allen Darreichungsformen. Patienten werden umfassend und zeitnah versorgt, Medikationsirrtümer werden vermieden und damit insbesondere die Pflegekräfte auf Station entlastet. Für Krankenhäuser der Schwerpunkt- und Maximalversorgung, die eine eigene Apotheke betreiben, ist eine Kombination von Robotik-unterstützter Unit-Dose-Organisation in der Apotheke in Verbindung mit „Smart Cabinets“ auf Station zur Herrichtung einer patientenindividuellen „therapeutischen Unit Dose“, bestehend aus oralen und nicht oralen Arzneimitteln, zu empfehlen. Die Sicherheit des Medikationsprozesses wird zusätzlich erhöht, wenn das „Matching“ zwischen Patient und Medikation durch Einsatz von Barcode- oder RFID-Komponenten digital abgesichert wird. Für kleinere Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung, die über eine Lieferapotheke versorgt werden und für die eine Kombinationslösung aus Robotik-Systemen zur Herstellung von „Unit Doses“ in der Apotheke und „Elektronischen Versorgungsschränken“ auf Station zu kostenintensiv wäre, lässt sich mit „Smart Cabinets“ eine Prozess-Organisation nach dem Prinzip „Closed Loop Administration“ zu überschaubaren Kosten sicherstellen. Die Abbildung 2 zeigt das Zusammenspiel von Robotik-Organisation in der Apotheke und „Smart Cabinets“ auf Station und verdeutlicht, dass die „Smart Cabinets“ das Rückgrat einer digital gestützten Medikationsversorgung darstellen. Kontakt zum Autor Univ.-Prof. Dr. Dr.Wilfried von Eiff, Centrum für Krankenhaus-Management, Universität Münster, von.eiff@uni-muenster.de

KHZG-Fördertatbestand Potenzialträger EVS

Reimbursement im Überblick

Digitale Gesundheit von A bis Z

Themenwelt Pflege: Alles im Blick

Kostenloser Newsletter