Geschlechterrollen im Wandel Männersache Female Empowerment

Gleichberechtigung ist keine Entweder-oder-Frage zwischen Geschlechtern. Es geht darum Hürden abzubauen, damit alle Menschen die gleiche Chance auf Teilhabe erhalten. Immer mehr Männer machen sich daher auch für Frauenrechte stark, denn auch sie profitieren von der neuen Freiheit.Frauen haben sich im letzten Jahrhundert viele Rechte erkämpft. Seit 1919 dürfen sie wählen, seit 1958 ein eigenes Konto eröffnen sowie über ihr eigenes Geld entscheiden und seit 1977 brauchen Ehefrauen nicht mehr die Einwilligung ihres Mannes, um arbeiten zu dürfen. Auch heute ist der Prozess der Gleichberechtigung noch in vollem Gange. Aber mittlerweile sind es neben Frauen immer mehr Männer, die sich für gleichberechtigte Teilhabe einsetzen. Denn am Ende profitieren auch sie von chancengerechten Systemen, erklärt Robert Franken, der Unternehmen in Organisationskultur, Diversity und Gender Equality berät. „Dazu müssen Männer verstehen, dass es viel Wissen und Reflexion über Sollen und Sozialisierungen benötigt, damit sie ein Teil der Lösung werden können. Männer erweitern ihr Repertoire an Möglichkeiten, männliche Identität zu denken und zu leben. Und davon profitieren alle“, sagt Franken. So auch Benjamin Jäger, der zu 50 Prozent als Gesundheits- und Krankenpfleger tätig ist, um sich in der restlichen Zeit als Vorstandsvorsitzender für die Pflegegewerkschaft BochumerBund einzusetzen. Das macht seine Frau zur Hauptverdienerin in der Familie. Für viele ein Bruch mit den Erwartungen an „echte Männer“, für Jäger kein Thema: „In meiner Generation ist Female Empowerment selbstverständlich. Außerdem ist es für mich Alltag, dass Gruppen, wie sie auch immer definiert sind, für ihre Interessen und Rechte eintreten.“ Denn strukturelle Benachteiligungen bestehen seiner Ansicht auch heute noch. Sollten also Männer Frauen auf ihrem Weg zur Gleichberechtigung unterstützen? „Ich glaube viel wichtiger ist es, dass sie ihnen nicht im Weg stehen. Es gibt genug starke Frauen, lasst sie einfach machen“, erklärt Jäger. #HeForShe – Nicht gegen, sondern mit MännernEinen Schritt weiter geht die Bewegung #HeForShe, für die sich Diversity-Berater Franken als Botschafter einsetzt. UN Women startete die Kampagne am Weltfrauentag 2018 und laut Website basiert die Solidaritätsbewegung auf zwei Gedanken: Es ist nur fair, dass alle Menschen die gleichen Verwirklichungschancen haben. Wir haben alle etwas davon, wenn wir wir selbst sein können, anstatt in ein starres Korsett von geschlechterspezifischen Erwartungen gezwängt zu werden.Mittlerweile zählt die Kampagne neben sechs ehrenamtlichen Botschaftern (darunter auch Franken) auch einige prominente Unterstützer wie Sänger Clueso oder Schauspieler Bjarne Mädel (u.a. bekannt aus „Stromberg“ und „Der Tatortreiniger“). Nicht gegen, sondern mit Männern ist die Überschrift der Aktion, die alle Menschen gleichermaßen zum aktiv werden einlädt. „Männer können Female Empowerment vorantreiben, indem sie verstehen wollen, warum sie so denken und handeln, wie sie es tun. Und was die Konsequenzen dieses Denkens und Handelns für Menschen bedeutet, die nicht so sind wie sie. Das ist komplex, da wir mehr sind als Mann oder Frau, schwarz oder weiß, behindert oder nicht behindert. Wir sind all das in Kombination, weshalb es ein Verständnis intersektionaler Zusammenhänge braucht. Am Anfang könnte daher die Frage stehen: Wie wurde ich zu dem, der ich glaube, zu sein?“, erklärt Franken. Systeme jenseits des Patriarchats Wer also von den inneren Gesetzestexten aufblickt, die festlegen, wie welches Geschlecht auszusehen oder sich zu verhalten hat, macht den Weg frei für die Veränderungen, die v.a. viele Frauen als überfällig empfinden – Stichwort: Gender Pay Gap. Und gerade im beruflichen Umfeld brechen Erwartungen zunehmend auf und offenbaren völlig neue Chancen – von Frauen, die immer öfter in Management-Positionen zu finden sind, und Männern, deren Anteil unter den Pflegekräften stetig wächst. So lag der Anteil der männlichen Berufsanfänger 2009 bei 19 Prozent, 2019 waren es bereits 25 Prozent, wie das Statistische Bundesamt im Oktober letzten Jahres mitteilte. Denn gerade die Pflege gilt als traditioneller Frauenberuf. „Das ist historisch gewachsen“, erklärt Jäger. „Es ist ein Beruf am Menschen, der aus der Familienfürsorge entstanden ist und auf den ersten Blick nichts ‚erwirtschaftet‘.“ Aber gerade das produktiv und aktiv sein wird dem Stereotyp Mann zugeschrieben. Demgegenüber steht mit dem Pflegeberuf eine Tätigkeit, die neben Fachwissen und Professionalität auch Fürsorglichkeit, Empathie und Feingefühl erfordert. In diesem Zusammenhang etabliert sich zunehmend der Begriff „Caring Masculinity“. Eine weitere Facette von Männlichkeit, die sich laut Franken von dominanzorientierten Eigenschaften und Verhaltensweisen lossagt. Und letzten Endes heißt Gleichberechtigung genau das: Auch Männer dürfen sich neue Lebenskonzepte erschließen, denn „ohne Transformation von Männlichkeit(en) wird es keine chancengerechten Systeme jenseits des Patriarchats geben können“, erläutert Franken, „In jeder Branche braucht es Perspektivenvielfalt, damit gute Lösungen für gesellschaftliche, technologische und politische Herausforderungen gefunden werden können.“ So auch in Medizin, Pflege und im Healthcare-Management. Sabrina Demmeler Caring Masculinity: Männlichkeit im WandelSozialwissenschaftler Dr. Marc Gärtner, der am Institut für Männer- und Geschlechterforschung in Graz forscht, definiert Caring Masculinity als „Variante von Männlichkeit, die aus der feministischen Fürsorgeethik abgeleitete Werte umfasst (wie Aufmerksamkeit, Interdependenz, Mitverantwortung, Unterstützung, Empathie). Damit bezieht sich der Ansatz (...) zunächst auf praktische Sorgetätigkeiten – etwa in der Familie, bei der Hausarbeit, aber auch auf bezahlte Sorgeberufe in Erziehung und Pflege.“ (vgl. „Caring Masculinities. Über Männlichkeiten und Sorgearbeit“ auf www.bpb.de). Aber auch die Ablehnung von Gewalt und männlicher Dominanz spielt laut Soziologin Dr. Karla Elliott eine Rolle.

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