Marktdynamik in der Gesundheitswirtschaft M&A – Perspektiven und Trends

Die Marktsituation in der Gesundheitswirtschaft ist in besonderer Weise geprägt durch Fusionen und Übernahmen (Mergers and Acquisitions, kurz M&A). Dabei fällt auf, dass sich in den Jahren seit der DRG-Einführung im Jahr 2004 die Transaktionsstrategien erheblich verändert haben.M&A – Perspektiven und Trends In gleichem Maße hat sich die Struktur der Spieler um Finanzinvestoren, ausländische strategische Investoren und Industrieunternehmen erweitert. Für diese Entwicklung sind eine Reihe von Gründen verantwortlich, wobei insbesondere die Dynamik des Reha-Marktes und die Wachstums- sowie die Konsolidierungsprognosen des Marktes für die Pflege- und Seniorenbetreuung das M&A-Geschehen in der Gesundheitswirtschaft im Hinblick auf Strategieoptionen und Rollenwandel zwischen Bieter und Kunde erheblich bestimmen. Das Phänomen der alternden Gesellschaft bewirkt mehrere Effekte, die den M&A-Markt insgesamt, die strategische Richtung sowie die Finanzierung von M&A-Transaktionen beeinflussen. Als Folge des demografischen Faktors wächst die Zahl der Pflegebedürftigen. Die Anbieterseite von Pflegeleistungen stellt sich im Januar 2012 hochfragmentiert dar: Fast 11.000 ambulante und 900 vollstationäre Anbieter von unterschiedlicher Größe und Betreuungsqualität sowie unterschiedlicher Finanzkraft charakterisieren die polypolistische Marktstruktur. Aus dieser Marktsituation heraus entwickeln sich neue Perspektiven für M&A-Transaktionen. Einerseits ist die hohe Fragmentierung eines Marktes Konsolidierungsansporn, um durch Bildung größerer Einheiten Kosten- und Qualitätsvorteile zu erreichen. Andererseits steht dem Pflegemarkt eine massive Qualitätsregulierung bevor: Einführung des Pflege-TÜV, Veröffentlichung von Qualitätskennzahlen im Internet und Leistungsvergleiche (Benchmarking) durch die Kostenträger. Die Pflegereform aus dem Jahr 2008 schreibt vor, dass zwischen Pflegeheimen und Krankenkassen verbindliche Standards zur Pflegequalität zu verbessern sind. Solche Zertifizierungsvorschriften sind typischer Auslöser für M&A-Transaktionen, da die Erfüllung dieser Vorschriften wirtschaftlich nur in größeren Organisationseinheiten bzw. in Netzverbünden zu gewährleisten ist. Weiterhin löst die Entwicklung neuer Behandlungs- und Betreuungskonzepte einen Zwang zu Unternehmensverbindungen aus, mit dem Ziel, die Kosten pro Fall bei zertifizierter Qualität der Versorgung zu begrenzen. Dies betrifft insbesondere die Krankheitsbilder Demenz, Alzheimer und Parkinson, die mit zunehmendem Alter häufiger vorkommen. Im Jahr 2007 waren 54 Prozent der Pflegebedürftigen etwa 80 Jahre und älter; 65 Prozent sind für das Jahr 2030 und 78 Prozent für 2050 prognostiziert. Die Zahl der Demenzerkrankungen betrug im Jahr 2010 circa 1,2 Millionen; für 2030 rechnet man mit 1,8 Millionen und für 2060 mit 2,5 Millionen Erkrankten. Kosten senken, aber wie? Demenz führt in 90 Prozent der Fälle zu dauerhafter Pflegebedürftigkeit; gleichzeitig ist der Pflege- und Betreuungsaufwand eines an Demenz Erkrankten um circa 800 Euro monatlich höher als bei nicht erkrankten Patienten. Da ältere Menschen in der Regel mehrere Krankheitsbilder gleichzeitig aufweisen, steigt die Nachfrage nach medizinischen Leistungen qualitativ und quantitativ an. Multimorbide Patienten verursachen höhere Behandlungskosten. Kostensenkungen im Behandlungsprozess sind notwendig, um den Preisverfall bei der Vergütung medizinischer Leistungen zu kompensieren. Diese sind zu erreichen durch Bildung größerer Behandlungs-einheiten und Spezialisierung von Leistungen; beides vorzugsweise erreichbar durch Fusion oder Übernahme (Abb. 1). Innovative Eingriffsarten, wie z.B. der transapikale Aortenklappenersatz (TAVI), ermöglichen die Behandlung gerade von älteren Patienten. Solche Eingriffstechniken erfordern Spezialisierung und eine entsprechende OP-Infrastruktur. Die damit verbundenen Vorhaltekosten können durch Zentrenbildung als Folge von M&A-Transaktionen gesenkt werden. Dynamik des Reha-Marktes als M&A-Auslöser Mitte der 90er Jahre griff der Gesetzgeber erheblich in den bis dahin ökonomisch hochattraktiven Reha-Markt ein: Die Reha-Normzeit im vollstationären Bereich wurde von 28 Tagen auf 21 Tage verkürzt, das Reha-Genehmigungsverfahren wurde verschärft und die Handhabung von Reha-Verlängerungen erfolgte restriktiver. Die Folgen: Im Jahr 1997 brach der Markt um 18 Prozent auf 1,57 Millionen Fälle ein. Die Auslastung fiel auf durchschnittlich 66 Prozent. Die Zahl der Reha-Anbieter reduzierte sich von 1.404 auf 1.239 (Stand 2010). Im Jahr 2008 wurden über zwei Millionen Fälle behandelt und die Auslastung stieg wieder an auf 81 Prozent. Im gleichen Jahr betrug das Umsatzvolumen der Reha-Branche circa acht Milliarden Euro; im Krisenjahr 1997 lag es bei rund 6,3 Milliarden Euro. Die zunehmende Attraktivität des Reha-Geschäfts zeigt sich z.B. an der Entwicklung des Unternehmens „Mediclin“. Zu dieser Gruppe gehören zehn Akutkrankenhäuser und 23 Reha-Kliniken. Der Konzernumsatz wurde von 2005 bis 2009 um etwa 6,8 Prozent auf 470 Millionen Euro erhöht und das EBITDA verbesserte sich auf circa 71 Millionen Euro. Ursache für das Konzernwachstum waren die Reha-Kliniken; hier ist das EBITDA jährlich um fast 15 Prozent gestiegen und die EBITDA-Rendite wuchs von 15,2 (2005) auf 19 Prozent (2009). Noch höhere Rendite erzielte das Unternehmen Medical Park. Die EBITDA-Rendite entwickelte sich von 22,1 Prozent (2004) auf 23,2 Prozent (2008). Der Umsatz betrug 96,2 Millionen Euro im Jahr 2008 und der EBITDA-Gewinn 22,3 Millionen Euro. Die Auslastung erreichte ungewöhnliche 92 Prozent. Der Reha-Markt ist durch die wachsende Nachfrage gekennzeichnet. Der demografische Faktor und die damit einhergehende Zunahme multimorbider, nach einem Krankenhausaufenthalt rehabilitativ zu betreuender Patienten, ist auch hier ein Auslöser. Gleichzeitig gewinnt die Rehabilitation im Sinne von Prävention an Bedeutung; dies ist auch erklärtes politisches Ziel. Die präventive Komponente der Rehabilitation erreicht auch deshalb gesteigerten Stellenwert, weil typische, auf Lebensweise und Arbeitswelt zurückzuführende Krankheitsbilder zunehmen: Dazu gehören u.a. psychosomatische Erkrankungen wie Depression, Suchterkrankungen und Burn-out. Soziotherapie und Adaption werden verstärkt nachgefragt. Ebenso nimmt die psychologische Betreuung von Patienten zu – dies insbesondere bei kardiologischen Patienten (bei Herzklappenersatz oder Transplantation). Eine Reihe von Indizien sprechen dafür, dass im Reha-Markt verstärkt Fusionen und Akquisitionen stattfinden werden: Die Kostenträgerstruktur ist uneinheitlich und birgt für Anbieter erhebliche ökonomische Risiken. Die gesetzliche Rentenversicherung (DRV) ist mit fast 40 Prozent der größte Nachfrager nach Reha-Leistungen, aber die DRV betreibt auch eigene Reha-Kliniken und bestimmt die Qualitätsparameter für die Vergabe von Leistungen weitgehend. Hinzu kommt, dass aufgrund des Prinzips „Reha vor Rente“ die DRV-Patienten im Schnitt deutlich jünger sind als GKV-Patienten und damit weniger Pflegeaufwand erfordern. Gleichzeitig hat sich die Vergütungsschere zwischen GKV und DRV weiter geöffnet: Für einen Patienten nach Bypass-Operationen vergütet die DRV (Stand 2010) etwa 130 Euro pro Reha-Tag bei 21 Tagen Behandlungsdauer. Während die Vergütung im Bereich der GKV (je nach Krankenkasse) auf bis zu 85 Euro Tagessatz gefallen ist. Hinzu kommt, dass die GKV verstärkt dazu übergeht, mit den Reha-Anbietern Pauschalangebote zu verhandeln, wobei Beträge von 1.500 Euro für eine komplette Rehabilitation in maximal 15 bis 17 Tagen mittlerweile keine Seltenheit mehr sind. Zusätzlicher Kostendruck resultiert auch aus der Tatsache, dass die Krankenhäuser ihre Patienten schneller entlassen. Dies ist einerseits Folge des DRG-implizierten Anreizsystems, wonach die Vergütung pro Fall pauschal erfolgt, ohne Berücksichtigung der Verweildauer; andererseits liegt dies auch an dem Fortschritt in der Medizin, da durch die minimalinvasiven Eingriffstechniken und schonende Narkoseverfahren der Patient schneller akutmedizinisch austherapierbar ist. Diese Patienten, so stellt die REDIA-Studie fest (von Eiff 2011), sind zwar akutmedizinisch abschließend versorgt, können allerdings aufgrund geklammerter Nähte und vergleichsweise schlechtem Allgemeinzustand in vielen Fällen in den ersten vier bis sechs Tagen nach der Aufnahme in die Reha-Klinik nicht an der Therapie teilnehmen. Transaktionsstrategien Wundversorgung, Medikations- und Pflegeaufwand nehmen seit dem Jahr 2003 in den Reha-Kliniken kontinuierlich zu und treiben die Kosten in die Höhe. Aufgrund dieses Kosten- und Leistungsdrucks werden M&A-Transaktionen im Reha-Bereich bzw. unter Beteiligung von Reha-Kliniken künftig zunehmen. Es zeichnen sich vier grundsätzliche Transaktionsstrategien ab: Private Equity Fonds werden durch die im Vergleich zu anderen durch die Finanzkrise gebeutelten Branchen hohen EBITDA-Margen angelockt und übernehmen einzelne Kliniken oder Klinik-Gruppen. Im Jahr 2009 erfolgte die Übernahme der Median-Gruppe durch AVENT und MARCOL. Im Jahr 2010 erfolgte der Management-Buy-out des kompletten Reha-Bereichs der Marseille-Kliniken unter Beteiligung des PE-Fonds AUCTUS Capital Partners. Strategische Investoren versuchen, über Akquisitionen Geschäftsvorteile und/oder Spezialisierungsgewinne zu realisieren. So z.B. Medical Park durch die Übernahme der Neurologischen Klinik Bad Camberg im Jahr 2009. Mobilisierung von Economies of Scale Kooperationen zwischen Akuthäusern und Reha-Kliniken haben sich zwar grundsätzlich bewährt, sind aber oft nicht verbindlich genug, um zeitnahe, marktkonforme strategische und operative Entscheidungen zu treffen. Diese Nachteile werden durch Clusterstrategien und Campuskonzepte überwunden. Cluster, also regional (lokal) konzentrierte Ansammlungen von medizinischen Leistungsanbietern unterschiedlicher vertikaler Stufen der Wertschöpfungskette (Abb. 2), ermöglichen die Mobilisierung von Economies of Scale durch Zentralisierung von Tertiärleistungen (Speisenversorgung, Reinigung, Wäsche, Einkauf, Logistik, Verwaltung), die Erreichung von Economies of Scope durch spezialisierte Angebote (Betreuungskonzepte wie z.B. Assisted Living, Demenzversorgung, Parkinsonversorgung) und durch Economies of Management (Verhandlungen mit Kostenträgern aus einer Hand für integrierte Leistungsangebote über alle Stufen der Wertschöpfungskette). Clusterstrategie Die Clusterstrategie wird vorzugsweise von strategischen Investoren (private Gesundheitskonzerne) verfolgt, um Absatz- und Zuweisermärkte zu sichern sowie am Wachstum des Pflege- und Seniorenbetreuungsmarktes zu partizipieren. Ein Campus ist ein Verbund von medizinischen Leistungsanbietern, die komplementäre Leistungen für komplexe Krankheitsbilder vorhalten. Ziel ist die Bildung eines Kompetenzzentrums, das in einem Netzverbund die Rolle als Systemkopf übernimmt und/oder die Entwicklung eines Leuchtturms, der in besonderer Weise (internationale) Patienten anzieht. Die ganzheitliche Versorgung des Patienten erfordert alle Ressourcen, die für eine anschließende Rehabilitation sowie eine ergänzende ambulante Behandlung zweckmäßig sind. Ein Campus enthält sowohl medizinische Leistungs- und Servicebereiche als auch Steuerungs- und Koordinationsinstitutionen (Abb. 3). Campuskonzept Das Campuskonzept ist die medizinisch anspruchsvollste und ökonomisch bedeutsamste M&A-Strategie, da sie systematisch-medizinischen Sachverstand voraussetzt, medizinstrategische Fähigkeiten verlangt und ein langfristig orientiertes Übernahmekonzept erfordert. Insbesondere die räumliche Konzentration von akutstationären und rehabilitativen Leistungen ermöglicht Prozessvorteile in den Bereichen Case Management, Wundversorgung, Transferpflege und Patientenhotel. Darüber hinaus zeigt sich, dass Campuskonzepte ganzheitliche, an der gesamten Versorgungskette orientierte innovative Eingriffstechniken eher einführen als isoliert handelnde Akutkrankenhäuser ohne direkte ökonomische Verbindung zu Reha-Kliniken. Erkenntnisse und Ausblick Der Markt für M&A gewinnt an Dynamik und durchläuft eine Entwicklung, die deutlich geprägt ist von vertikalen, netz- und clusterorientierten M&A-Strategien. Daneben gewinnen ausländische Investoren, internationale Krankenhausketten ebenso wie Private Equity Fonds Interesse an deutschen Kunden. Der M&A-Markt wird nicht auf Krankenhäuser beschränkt bleiben, sondern insbesondere durch vertikale und laterale Fusionen und Übernahmen gekennzeichnet sein: Krankenhäuser übernehmen Reha-Kliniken und Seniorenpflegeheime, um Patienten entlang des Behandlungs- und Versorgungspfades zu betreuen. Reha-Kliniken übernehmen Krankenhäuser mit dem Ziel, Einweisermärkte zu sichern. Unternehmen der Medizinindustrie kaufen Krankenhäuser und Reha-Kliniken, einerseits, um Management-Know-how bzw. die Krankenhausbetriebsführung zu erwerben und um den Markt bzw. Kunden kennenzulernen, andererseits, um Absatzmärkte für eigene Produkte zu erschließen. Absehbar ist auch, dass Krankenhäuser (insbesondere nicht universitäre Maximalversorger) eine „Preferred Deliverer Strategy“ anstreben: Eine Zusammenarbeit zwischen Klinik und Medizinunternehmen, um gemeinsam innovative Produktentwicklung zu betreiben sowie Pilotprojekte durchzuführen. Dies ist eine Vorstufe für eine M&A-Transaktion.

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