Demenz-Modellprojekt StattHaus Offenbach Leben und leben lassen

Vor vier Jahren startete die Hans und Ilse Breuer-Stiftung ein wegweisendes Modellprojekt für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen: Das StattHaus Offenbach bietet neben einem Informations- und Beratungszentrum Tagesbetreuung sowie eine ambulant betreute Wohn-Pflege-Gruppe unter einem Dach.Als eigenes Pilotprojekt in der Begleitung von an Demenz Betroffenen hat die Hans und Ilse Breuer-Stiftung unter dem Namen „StattHaus Offenbach“ nach umfassender Sanierung ein Demenzzentrum in einer denkmalgeschützten Gründerzeitvilla aufgebaut. Das Haus bietet Räumlichkeiten für neun Menschen mit Demenz, die seit November 2014 eine ambulant betreute Wohngemeinschaft bilden. Die Wohn-Pflege-Gruppe wird in geteilter Verantwortung gemeinsam von Angehörigen, einem ambulanten Pflege- und Betreuungsteam, freiwilligen Helfern und von der Stiftung als Vermieter organisiert und begleitet. Zugleich stellt das von der Stadt Offenbach und dem hessischen Sozialministerium geförderte Modellhaus ein ambulantes Zentrum mit Beratungs- und Informationsangeboten, Tagesgästebegleitung und Nachbarschaftscafé dar. Das Ziel: Eine Anlaufstelle für Betroffene und Pflegende, das aktuelle Erkenntnisse aus der medizinischen Forschung und Versorgungsforschung miteinander verbindet. HCM sprach mit Jutta Burgholte-Niemitz, der Leiterin des StattHauses. HCM: Frau Burgholte-Niemitz, was ist das Besondere an Ihrer Wohngemeinschaft? Burgholte-Niemitz: Die Wohngemeinschaft im StattHaus wird in Selbstverwaltung von Angehörigen geleitet und hat den Vorteil, dass die dort lebenden Mieter mit Demenz alle Angebote im Haus mitnutzen können. Das Leben findet v.a. unter dem Aspekt Alltagsnähe und Normalität statt, das heißt, die WG-Bewohner sind aktiv in die Abläufe der Tagesgestaltung eingebunden: Kochen, Waschen, Putzen oder Einkaufen wird wie von zu Hause bekannt weitergelebt und so gut es geht mitgestaltet. Selbst bei fortschreitendem Krankheitsprozess bleiben die Menschen bis zuletzt in der WG wohnen. HCM: Wie muss man sich das Zusammenleben der neun verschiedenen Mieter-Charaktere vorstellen? Burgholte-Niemitz: Sehr bunt und vielschichtig. Aufgrund der überschaubaren Wohnsituation entwickelt sich eine Art familiäre Nähe und Vertrautheit. Darin sind auch Unpässlichkeiten und kleine Konflikte enthalten, wie im normalen Alltagsleben auch. Die Herausforderung der Pflegenden besteht im Ausgleich der Symptome der Demenz und dem Herstellen eines gelingenden Alltags für die WG-Mieter. HCM: Was bedeuten diese vergleichsweise „luxuriösen“ Umstände für Personalschlüssel sowie Miete und Pflegekosten? Burgholte-Niemitz: In der Tat ist der Personalschlüssel sehr komfortabel. Durch den Mix aus Pflegepersonen, Haushaltshilfen, Alltagsbegleitern und Angehörigen kann der Tag durchgängig mit der Anwesenheit von mindestens zwei Personen sichergestellt werden. In der Nacht ist immer eine Person für die neun Mieter vor Ort. Die Kosten sind in der Zuzahlung vergleichbar mit einer klassischen Pflegeeinrichtung. Die WG-Konstruktion kommt natürlich mit viel weniger Verwaltungsaufwand, also Kosten aus, da die Angehörigen diese Abläufe mit übernehmen. HCM: Die WG ist selbstverwaltet von Angehörigen. Hat das nur Vor- oder auch Nachteile? Burgholte-Niemitz: Aus meiner Sicht mehr Vorteile, da die Verantwortungsübernahme der Angehörigen sich durch die gesamte WG-Organisation bemerkbar macht. Die Angehörigen nehmen ihre Rolle als Nutzer und Auftraggeber wahr und steuern damit deutlich. Natürlich kommt es hin und wieder vor, dass sich nicht alle Angehörigen gleichermaßen einbringen können, jedoch gilt für alle – wie in der häuslichen ambulanten Pflege üblich –, die eigene Kundensouveränität wahrzunehmen. Für die Pflege- und Betreuungskräfte bedeutet dies, sich wie bei anderen Kunden als Gast in einem fremden Zuhause einzustellen. HCM: Einige Bewohner kamen aus Pflegeheimen, bei ihnen wurden dann beispielsweise sedierende Medikamente ab- bzw. heruntergesetzt. Was leisten Sie, was andere Einrichtungen nicht schaffen? Burgholte-Niemitz: Die räumliche Umgebung und das häusliche Milieu beeinflussen das persönliche Wohlbefinden, das gilt auch für Menschen mit Demenz. Die Überschaubarkeit in Kombination mit den gewohnten alltäglichen Abläufen unterstützen Sicherheitsgefühl und Orientierung. Das feste Betreuungsteam und die Mitwirkung der Angehörigen ermöglichen Kontinuität und den Aufbau von sorgenden Beziehungen, die stark zur Stabilität der einzelnen Menschen beiträgt. HCM: Mal in die Zukunft gedacht: Ist so eine WG die optimale Lösung für Menschen mit Demenz? Burgholte-Niemitz: In jedem Fall! Wir möchten mit dafür sorgen, dass weitere Demenz-WGs entstehen. Die hessische Fachstelle für selbstverwaltete Demenz-WGs, deren Trägerschaft wir als Stiftung übernommen haben, setzt sich mit aller Professionalität für die Entwicklung und Unterstützung neuer Projekte ein. Die Fragen stellte Carolina Heske.

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