Pflegegesetzgebung
Angesichts immer höherer Kosten für Millionen Pflegebedürftige will die Regierung gegensteuern und die gesamte Finanzbasis verstärken. Dafür soll auch der Beitrag zur Pflegeversicherung steigen – aber nicht für alle.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach wirbt trotz breiter Kritik für die geplante Pflegereform, um Entlastungen und stabilere Finanzen zu erreichen. „Die Pflegebedürftigen haben unsere volle Solidarität verdient“, sagte der SPD-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. „Da die Kosten von guter Pflege steigen, darf die Solidargemeinschaft nicht wegschauen und diese höheren Kosten den zu Pflegenden und ihren Angehörigen überlassen.“ Zur Finanzierung soll der Pflegebeitrag zum Sommer erhöht werden und zudem stärker danach unterscheiden, ob man Kinder hat oder nicht. Größere Familien würden profitieren und ab drei Kindern weniger zahlen müssen als heute.
Pflegeversicherung: Beitrag wird zum 1. Juli 2023 angehoben
Laut einem Entwurf des Ministeriums soll der allgemeine Beitrag zum 1. Juli „moderat um 0,35 Prozentpunkte“ angehoben werden. Noch liegt er bei 3,05 Prozent des Bruttolohns, für Menschen ohne Kinder bei 3,40 Prozent. Gleichzeitig umgesetzt werden soll aber auch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach Eltern mit mehreren Kindern bessergestellt werden müssen als kleine Familien und Kinderlose.
So sieht es künftig für Familien mit drei und mehr Kindern aus
Konkret würden die Pläne dazu führen, dass Familien mit drei und mehr Kindern weniger zahlen als derzeit. Laut Entwurf läge der Beitrag bei drei Kindern künftig bei 3,10 Prozent – davon entfallen
- 1,40 Prozent auf die Versicherten und
- 1,70 Prozent auf die Arbeitgeber.
Bisher sind es beim Beitrag für Menschen mit Kindern für Arbeitgeber sowie für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jeweils 1,525 Prozent.
Beiträge in der Pflegeversicherung: Größerer Unterschied zwischen mit und ohne Kinder
Generell würde sich ein größerer Unterschied zwischen den Beiträgen mit und ohne Kinder ergeben – durch das Anheben des allgemeinen Beitrags um 0,35 Punkte und eine noch zusätzlich vorgesehene Anhebung des Zuschlags für Kinderlose um 0,25 Punkte. Dies führte laut einer Übersicht des Ministeriums dazu, dass
- der Beitrag ohne Kinder von nun 3,40 Prozent auf 4,00 Prozent steigt, davon 2,30 Prozent auf Beschäftigtenseite statt bisher 1,875 Prozent.
Teurer würde es auch für Familien mit einem Kind, für die der Beitrag laut Entwurf
- von 3,05 Prozent auf 3,40 Prozent steigen soll, dabei würde sich der Arbeitnehmeranteil von 1,525 Prozent auf 1,70 Prozent erhöhen.
- Mit zwei Kindern würde der Beitrag künftig bei 3,25 Prozent liegen – und der Arbeitnehmeranteil leicht auf 1,55 Prozent steigen.
Lauterbach sagte, es gelte die Finanzierung der Pflegeversicherung zu stabilisieren.
„In einer menschlichen Gesellschaft muss uns die Pflege Hochbetagter mehr wert sein. Dass immer mehr Menschen nach einem arbeitsreichen Leben in die Sozialhilfe abrutschen, werden wir nicht akzeptieren.“
Prof. Dr. Karl Lauterbach
In Heimen, aber ganz besonders bei der Pflege zu Hause müssten Leistungen deutlich verbessert werden.
Wie sehen die Entlastungen für Pflegebedürftige aus?
Um immer höhere Kosten für Pflegebedürftige abzufedern, sehen die Pläne dazu mehrere Entlastungen zum 1. Januar 2024 vor. So soll für Pflegebedürftige zu Hause das zuletzt 2017 erhöhte Pflegegeld um fünf Prozent steigen. Für Pflegebedürftige im Heim sollen 2022 eingeführte Zuschläge angehoben werden. Dies soll den Eigenanteil für die reine Pflege künftig im ersten Jahr im Heim um 15 statt 5 Prozent drücken, im zweiten um 30 statt 25 Prozent, im dritten um 50 statt 45 Prozent und ab dem vierten Jahr um 75 statt bisher 70 Prozent. Hintergrund ist, dass die Pflegeversicherung – anders als die Krankenversicherung – nur einen Teil der Kosten für die reine Pflege trägt. Dazu kommen für Heimbewohnerinnen und -bewohner noch Zahlungen etwa für Unterkunft und Verpflegung.
Kritik an den Plänen zur Pflegeversicherung
An den Plänen wird weiter Kritik laut. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) forderte am Sonntag erneut mehr Zuschüsse aus Steuermitteln. „Der Bund muss selbst Verantwortung übernehmen und Defizite der Pflegekassen ausgleichen.“ Wenn wegen des demografischen Wandels künftig weniger Erwerbstätige mehr Pflegebedürftige allein über Beiträge finanzieren müssten, bekomme man ein großes Problem.
Der Linke-Fachpolitiker Ates Gürpinar sagte, Lauterbachs Problem sei, dass er zur Finanzierung nur eine Antwort kenne: Erhöhung der Beiträge. Längst sei aber klar, dass man im jetzigen System an die Grenzen gestoßen sei. „Nötig ist ein Umdenken, damit finanziell starke Schultern endlich mehr Verantwortung für die Pflege tragen.“
AOK-Bundesverband zur Pflegeversicherung: Gemeinsamer Brandbrief an den Bundeskanzler und den Finanzminister
Laut Referentenentwurf für ein Pflegeunterstützungs- und entlastungsgesetz (PUEG) sollen im Koalitionsvertrag vereinbarte Leistungsverbesserun-gen in der Pflegeversicherung umgesetzt werden. Zusagen der Ampelkoalition zur Finanzierung von versicherungsfremden Leistungen durch den Bund sind allerdings nicht vorgesehen.
Unterdessen fordern Pflegekassen, Sozialverbände und die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in einem gemeinsamen Brandbrief an Bundeskanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner Unterstützung aus Steuermitteln für die finanziell angeschlagene Pflegeversicherung. Dazu sagt Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes und Initiatorin des Briefes: „Im Koalitionsvertrag hat sich die Ampel-Regierung nicht nur auf Leistungsverbesserungen, sondern auch auf eine dauerhafte finanzielle Stärkung der Sozialen Pflegeversicherung verständigt. Mit dem nun vorliegenden Referentenentwurf wird dieses Versprechen aber nicht eingelöst. Es fehlt die im Koalitionsvertrag zugesagte Finanzierung von versicherungsfremden Leistungen durch den Bund.“
Zwar sollen Leistungsverbesserungen kommen wie
- die Dynamisierung der ambulanten Leistungsbeträge und
- die Ausweitung des Anspruchs auf Pflegeunterstützungsleistungen.
In dem Entwurf fehle aber die Refinanzierung der Corona-bedingten Mehrkosten durch den Bund in Höhe von 5,5 Milliarden Euro. Vor allem aber fehlt die steuerliche Gegenfinanzierung der Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige, die bislang von der Pflegeversicherung bezahlt werden. Damit müssen sämtliche reformbedingte Mehrausgaben und das strukturelle Defizit durch die Beitragszahlenden finanziert werden.
Bei den Leistungsverbesserungen hält die Koalition Wort, bei der Finanzierung der versicherungsfremden Leistungen stiehlt sie sich aus der Verantwortung.
„Dabei muss die Soziale Pflegeversicherung gerade in Krisenzeiten ein Stabilitätsanker sein und einen Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit leisten. Mit dem Referentenentwurf ist die Pflegeversicherung aber weiter ohne sichere finanzielle Grundlage. So ist absehbar, dass die geplanten Maßnahmen mit Beitragserhöhungen und weiteren Belastungen der Beitragszahlenden einhergehen werden.“
Dr. Carola Reimann
Den gemeinsamen Brief zur Pflegefinanzierung finden Interessierte mit einem Klick hierauf.
bpa kritisiert unzureichende Pläne zur Entlastung der Pflegebedürftigen und fordert Maßnahmen zur Sicherung der Pflege
Zum heute bekanntgewordenen Entwurf des Bundesgesundheitsministeriums für eine Pflegereform sagt der Präsident des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste e.V. (bpa), Bernd Meurer: „Eineinhalb Jahre nach dem Koalitionsvertrag legt der Bundesgesundheitsminister einen Reformentwurf vor, der den aktuellen Herausforderungen nicht gerecht wird. Das ist sehr wenig, sehr spät.
Nach teuren vorangegangenen Gesetzen wie dem GVWG sind die für die Pflegebedürftigen finanzierbaren Leistungen zusammengeschrumpft. Die jetzt vorgeschlagenen Leistungserhöhungen reichen nicht aus, um hier echte Entlastungen zu schaffen.
All das nützt zudem nichts, wenn Pflegebedürftige und ihre Angehörigen
- keinen Heimplatz,
- keine ambulante Versorgung oder
- keine Tagespflege finden.
Auf die existenziellen wirtschaftlichen Bedrohungen der Pflegeeinrichtungen hat Minister Lauterbach keine Antwort gefunden. Er dreht mit weiteren bürokratischen Anforderungen sogar noch an der Belastungsschraube. Die aktuellen Insolvenzen sind ein Warnzeichen. Die Pflegeeinrichtungen brauchen ein Sofortpaket zur Unterstützung.”