Kliniken im Hamsterrad, Ärzteschaft im Dauerstress, Pflegekräfte im Frust – die Bundesregierung sieht Deutschlands Krankenhäuser vor einem drohenden Kollaps. Eine Großreform soll auch für Patienten und Patientinnen Verbesserungen bringen.

„Tatsächlich geht es den Krankenhäusern gar nicht gut“, sagte der SPD-Politiker am Dienstag, 6. Dezember 2022, im Deutschlandfunk. Das seit 20 Jahren bestehende System der Fallpauschalen funktioniere nicht richtig. Sie böten einen systematischen Anreiz, dass die Kliniken „in die Menge gehen“ und oft zu viel machten. Darunter leide die Qualität. Lauterbach sprach von einem Ungleichgewicht zwischen medizinischen und ökonomischen Aspekten.
Lauterbach stellt Reformvorschläge vor
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach stellte am Dienstag grundlegende Reformvorschläge zur Zukunft der Krankenhäuser in Deutschland vor. Erklärtes Ziel ist, die Versorgung stärker von finanziellem Druck zu lösen. Dafür soll die bisherige Vergütung über Pauschalen für Behandlungsfälle entscheidend verändert werden. Empfehlungen dazu hat eine Expertenkommission der Bundesregierung erarbeitet. Ein erstes Gesetzespaket, das u.a. mehr Geld für Kinderkliniken vorsieht, hatte der Bundestag kürzlich beschlossen.
Medizinische Gesichtspunkte sollen stärker in den Fokus
Patientinnen und Patienten in deutschen Krankenhäusern sollen in Zukunft weniger nach wirtschaftlichen und stärker nach medizinischen Gesichtspunkten behandelt werden. Das ist das Ziel umfangreicher Reformvorschläge, die Lauterbach in Berlin vorstellte. „Die Medizin wird wieder in den Vordergrund der Therapie gestellt und folgt nicht der Ökonomie“, versprach der SPD-Politiker.
„Die Krankenhäuser haben gravierende Probleme“, erklärte er weiter. Das Hauptproblem sei die Bezahlung der Kliniken über sogenannte Fallpauschalen. Das sind pauschale Sätze für vergleichbare Behandlungen – „egal wie aufwendig der Fall behandelt wird, egal, wo er behandelt wird, ob er gut behandelt wird oder nicht so gut behandelt wird“, wie Lauterbach erläuterte. Unterm Strich lohne es sich für Kliniken, möglichst viele Behandlungen auf möglichst billige Weise durchzuführen. „Somit hat man mit diesem System eine Tendenz zu billiger Medizin.“
Drei neue Kriterien der Klinikvergütung
Nach den Vorschlägen der Regierungskommission zur Krankenhausversorgung sollen die Kliniken stattdessen in Zukunft nach drei neuen Kriterien honoriert werden:
- Vorhalteleistungen,
- Versorgungsstufen und
- Leistungsgruppen.
Die geplante Reform solle in den kommenden Jahren einen Schwerpunkt Lauterbachs Arbeit bilden und stelle „eine Revolution im System“ dar, sagte Lauterbach.

Geplant: Überwindung der Fallpauschalen
Im Kern soll es um eine „Überwindung“ der Fallpauschalen gehen. Das System habe sich mittlerweile so verselbstständigt, dass es zulasten der Qualität der Versorgung gehe, lautet Lauterbachs Analyse. Das liege an einem „Hamsterrad-Effekt“: Nur mit einer Steigerung der Fallzahlen könnten Kliniken ihr Budget halten oder erhöhen. Und es machten Kliniken Gewinn, die für Leistungen möglichst wenig Geld ausgäben – höherer Aufwand bedeute dagegen tendenziell Verluste.
Insgesamt machen die Ausgaben für die bundesweit rund 1.900 Kliniken den größten Einzelposten bei den gesetzlichen Krankenversicherungen aus. Im vergangenen Jahr fielen nach Angaben des GKV-Spitzenverbands fast 85,9 Milliarden Euro dafür an – und damit etwa jeder dritte Euro gemessen an den gesamten Leistungsausgaben von 263 Milliarden Euro.
DKG: Krankenhausreform braucht den Konsens mit den Ländern
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft e.V. (DKG) forderte ein Gesamtkonzept für eine Reform. „Das ständige Herauslösen von Einzellösungen bringt mehr Verwerfungen als Fortschritt im System“, sagte Vorstandschef Gerald Gaß, den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Dienstag, 6. Dezember 2022). Zuerst müsse auch die Finanzierungslücke bei Betriebs- und Investitionskosten der Kliniken geschlossen werden, ehe eine Umverteilung der Mittel starte.
Mit der Vorstellung der Reformvorschläge der Expertenkommission beginne laut DKG dennoch nun der notwendige strukturierte Prozess, um die Reformvorschläge mit den Akteuren, Verbänden, Bund und Ländern abzustimmen. Die vorgesehenen Veränderungen im Finanzierungs- und Planungswesen des Krankenhaussystems sind eine Grundlage, um zu diskutieren, inwiefern sie umsetzbar und praktikabel sind.
Gerade in der Finanzierungsfrage werden sich die Reformvorschläge aus Sicht der Krankenhäuser daran messen lassen müssen, ob sie tatsächlich nachhaltig eine Verbesserung für die Versorgung der Patientinnen und Patienten, die Krankenhäuser und die dort Beschäftigten bringen. Die von der Regierungskommission vorgestellten Veränderungen in der Finanzierung bedeuten aber laut DKG anders als von Minister Lauterbach angekündigt, weder die Abschaffung noch Überwindung des Fallpauschalensystems, sondern die auch von der DKG geforderte Ergänzung der DRGs um eine leistungsunabhängige Vorhaltefinanzierung.
Die DKG hat drei Säulen der Finanzierung vorgeschlagen:
- Vorhaltepauschalen, die den Krankenhäusern Sicherheit geben. Die DKG sieht hier Schnittmengen zum Reformvorschlag der Kommission.
- Adäquate Vergütung von klinisch-ambulanten Leistungen. Dies bedeute, dass die im Krankenhauspflegeentlastungsgesetz beschriebenen Hybrid-DRGs noch einmal überprüft werden müssen.
- Investitionskostenfinanzierung, die die tatsächlichen Bedarfe deckt. Nachhaltige und auskömmliche Investitionsfinanzierung sei der Ausgangspunkt für eine patientenorientierte, moderne und effiziente Krankenhausversorgung.
Finanzierungsreform und neue Krankenhausplanung
Die Kommission verbindet laut DKG die Finanzierungsreform mit einer neuen Krankenhausplanung und wolle über die bundeseinheitliche Definition der Versorgungsstufen (Level) hinaus festlegen, welche Leistungsgruppen in den verschiedenen Versorgungsstufen zulässigerweise behandelt werden. Insgesamt sollen 128 Leistungsgruppen gebildet und dann den verschiedenen Versorgungstufen zugeordnet werden. Damit gehen die Vorschläge sogar weit über die novellierte Krankenhausplanung des Landes Nordrhein-Westfalen hinaus. „Dieser sehr weitgehende Eingriff in das Krankenhausplanungsrecht der Bundesländer dürfte mit den dort Verantwortlichen kaum zu konsentieren sein“, heißt es seitens der DKG. Und weiter: „Aus unserer Sicht sind so tiefgreifende bundeseinheitliche Vorgaben zu Versorgungsstufen und Leistungsgruppen nicht erforderlich, und sie entsprechen auch nicht unserer Vorstellung von Landesverantwortung für die Versorgung.“
„Krankenhäuser brauchen verlässliche Perspektiven und Planungssicherheit. Die aktuelle Lage ist eher trostlos.“
Dr. Gerald Gaß
Die DKG plädiert dafür, dass es einen bundeseinheitlichen Orientierungsrahmen und vergleichbare Maßstäbe geben soll, gleichzeitig aber für die landesspezifischen Besonderheiten und die regionalen Versorgungsnotwendigkeiten ein ausreichender Handlungsspielraum bestehen bleibt. Man sehe die Gefahr, dass die Vorschläge die angestrebte Finanzierungsreform erschweren könnten. „Unser Fazit zu den Vorschlägen der Kommission lautet: Grundsätzlich richtige Gedanken zur Novellierung der Finanzierung, aber deutlich zu kurz gesprungen, weil die Hybrid-DRGs zur Ambulantisierung (…), die strukturelle Unterfinanzierung und die Defizite bei der Investitionsförderung schlicht ausgeblendet werden. In der Krankenhausplanung verliert sich die Kommission in kleinteiligen Planungsvorgaben und Regelungen und erschwert damit die Einigung zwischen Bund und Ländern. Die nächsten Monate werden von einem nicht einfachen Diskussionsprozess von Bund, Ländern und den umsetzenden Verbänden und Akteuren geprägt sein. Wir Krankenhäuser stehen für diesen Prozess bereit. Aber uns läuft auch die Zeit davon“, erklärt Gaß.
Kritik aus Bayern zur Krankenhausreform
Die Krankenhaus-Reformpläne sind nach Ansicht von Bayern für die Bundesländer nicht akzeptabel. „Die Planungen greifen unzumutbar in die Krankenhausplanungskompetenz der Länder ein, sagte Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) am Dienstag in München. Die Regierungskommission um Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) würden „ein zentral gesteuertes, quasi-planwirtschaftliches und hochtheoretisches System vorschlagen“, das sehr rasch zu einer massiven Konzentration der stationären Versorgungsangebote führen werde.
„Es ist zwar richtig und wichtig, dass das Fallpauschalen-System geändert wird. Wir brauchen wieder mehr Medizin und weniger Ökonomie“, betont Holetschek. Zudem kritisierte er, dass weiterhin kein Ausgleich für die massiv gestiegenen Sachkosten der Kliniken in Sicht sei. Die bestehende Unterfinanzierung solle stattdessen – mit Ausnahme der Pädiatrie, für die es mehr Geld geben solle – durch Umverteilung innerhalb des Systems „gelöst“ werden. Dies sei absolut unzureichend.
Vielmehr brauche es eine „weitsichtige Reform“ mit absehbaren Auswirkungen, die alle Verantwortlichen gemeinsam angehen könnten: Bund, Länder, Kommunen, Träger und Verbände. Um die Probleme in den Kliniken zu beseitigen, bleibe das Personal das Wichtigste, hier müsse gezielt gestärkt werden.
„Die Ressource Mensch fehlt, nicht die Betten.“
Klaus Holetschek