Zeit für Wandel Krankenhausstrukturreform: Wie rüstet sich eine Klinik für die Zukunft?

Zugehörige Themenseiten:
Klinikmarkt

Die stationäre Versorgungslandschaft wird sich verändern (müssen). Die gesundheitsökonomische Gesamtrechnung zeigt eine deutliche Diskrepanz zwischen den Gesundheitseinnahmen und -ausgaben. Es ist an den Kliniken, jetzt selbst aktiv zu werden und basierend auf dem Status quo existenzsichernde Strategien zu entwickeln.

Planungsrelevante Versorgungsregionen – Thüringen, Quelle BinDoc GmbH
Planungsrelevante Versorgungsregionen – Thüringen. – © BinDoc GmbH

Seit 2015 steigt die jährliche Diskrepanz zwischen den Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) und den Einnahmen des Gesundheitsfonds. Eine Entwicklung die politische Entscheidungsträger und die Mitglieder der Selbstverwaltung in ein Entscheidungsdilemma zwischen kurzfristigen Finanzzwängen und grundsätzlichen (langfristigen) Reformanforderungen manövriert. Als Reaktion, um einer dauerhaften Unterdeckung entgegenzusteuern sind die politischen Maßnahmen zumindest in der Theorie bekannt:

  1. Finanzierung und Steuerung durch Mehreinnahmen:
    • Erhöhung der Zusatzbeiträge
    • Kassenreserven abschmelzen
    • GKV-Beitragssätze erhöhen
    • GKV-Finanzierungsreform
      • Einnahmen aus Kapitalerträgen
      • Beiträge für ALG II Bezieher
      • Familiensplitting
  2. Finanzierung und Steuerung durch Minderausgaben:
    • Leistungskürzungen und -deckelung
    • Krankenhausstrukturreform

Was jüngst im Rahmen des Hauptstadtkongresses 2022 in einer Podiumsdiskussion zum Thema: „Der  Koalitionsvertrag im Stresstest – was kommt, was kommt nicht, was fehlt?“ noch diskutiert wurde, kam eine Woche später als Steuerungsinstrument durch Mehreinnahmen mit der Ankündigung der Bundesregierung die Zusatzbeiträge für gesetzlich Krankenversicherte ab 2023 zu erhöhen. Was bislang noch zu fehlen scheint, jedoch unter den vertreten Teilnehmenden in Berlin aus Wissenschaft, Leistungserbringern und Kostenträgern bereits als notwendige Forderung und übereinstimmende Meinung galt, ist ein bundespolitisches Zielbild für eine langfristig angelegte Krankenhausstrukturreform.

Vorbilder braucht das Land!

Entgegen vieler Erwartungen werden sich bei einer Krankenhausstrukturreform keine kurzfristigen finanziellen Entlastungen des Gesundheitssystems einstellen werden, da zunächst hohe Investitionen in die Nachnutzungskonzepte von stationären Infrastrukturen erforderlich sind, um einen Ab- bzw. Umbau der deutschen Klinik- und Versorgungslandschaft zukunftsgerichtet zu gestalten.

Erste landespolitische Entwicklungen zur zukünftigen Krankenhausplanung sind beispielweise in Nordrhein-Westfalen bereits zu verzeichnen und gelten als bundespolitisches Vorbild. Es liegt nahe, das Bundesland mit der höchsten Bevölkerung und den meisten Krankenhäusern hinsichtlich dieser Entwicklungen zu beobachten. Eine Frage die bei der Entwicklung eines Zielbildes zur Reformierung der Krankenhausstruktur ebenfalls gestellt werden darf – gibt es noch bessere Vorbilder?

Eine triviale Antwort darauf wird es nicht geben, aber die zur Verfügung stehenden Krankenhausstrukturdaten liefern hierzu bereits wertvolle Orientierungswerte. Exemplarisch hierfür steht das Bundesland Thüringen. Lediglich halb so groß und nur zehn Prozent der Bevölkerung im Vergleich zu NRW sind darin wohnhaft.

Dennoch scheint die stationäre Versorgungslandschaft dem bundespolitischen Zielbild bereits heut stark zu entsprechen. Wie so vieles im Gesundheitswesen sind auch die Versorgungsstrukturen in Thüringen „historisch bedingt“. Die planwirtschaftlichen Mechanismen zur Zentralisierung wirken dabei bis heute nach.

Qualitätsverbesserung durch Leistungskonzentration = Kliniksterben?

Insbesondere für hochspezialisierte Leistungen, die mitunter auch eine entsprechende personelle und medizintechnische Ausstattung im Krankenhaus erfordern, wird der Ruf nach Zentralisierung laut, um Qualitätsverbesserungen durch Leistungskonzentration herbeizuführen. Als krankenhausplanerisches Element gilt eine somatische Clusterung nach Leistungsbereichen und Leistungsgruppen. Wird das theoretische Modell zur zukünftigen Krankenhausplanung in NRW auf das Bundesland Thüringen am Beispiel von Ablativen Maßnahmen bei Herzrhythmusstörungen übertragen (Leistungsgruppe: Herz / Leistungsbereich: EPU/Ablation) erhält man folgende Orientierungswerte.

Verteilung der Prozeduren & Identifikation relevanter Versorger für Ablative Maßnahmen bei Herzrhythmusstörungen
Verteilung der Prozeduren & Identifikation relevanter Versorger für Ablative Maßnahmen bei Herzrhythmusstörungen. – © BinDoc GmbH

Dargestellt ist die Anzahl der Prozeduren für Ablative Maßnahmen aus dem prä-pandemischen Jahr 2019 nach Leistungserbringern und Versorgungsregionen. Die Darstellung zeigt, dass acht von insgesamt 13 Kliniken gemäß Sensitivitätsanalyse (s. Gutachten: Krankenhauslanschaft NRW 2019, S. 244) oberhalb der Grenzfallzahl liegen und damit als „relevant“ für die Versorgung in diesem Bereich gelten. Zwei von insgesamt 66 Kliniken in Thüringen waren demnach bereits für mehr als 50% der Leistungserbringung des gesamten Bundeslandes verantwortlich und liegen in der Versorgungsregion Mittelthüringen. In Nord- oder Südwestthüringen befindet sich kein (zukünftig) versorgungsrelevanter Leistungserbringer. Neben dem Versorgungsangebot spielt gleichzeitig der Versorgungsbedarf eine gewichtige Rolle in der bedarfsgerechten Ausrichtung einer Krankenhausplanung.

Häufigkeit pro 1.000 Einwohner und relative Wanderungssalden für Ablative Maßnahmen bei Herzrhythmusstörungen, Quelle BinDoc GmbH
Häufigkeit pro 1.000 Einwohner und relative Wanderungssalden für Ablative Maßnahmen bei Herzrhythmusstörungen. – © BinDoc GmbH

Insbesondere in Teilen Südwestthüringens war der Versorgungsbedarf in 2019 pro 1.000 Einwohner im Vergleich zum Rest des Bundeslandes beinahe doppelt so hoch, gemessen am Landesdurchschnitt (2,98). Aufgrund dessen, dass die Anzahl an versorgungsrelevanten Leistungserbringern in Südwestthüringen überschaubar ist (siehe Abbildung oben) entsteht eine Diskrepanz zwischen Versorgungsbedarf und Versorgungsangebot die, gemäß dem bundespolitischen Zielbild, durch Zentralisierung gelöst werden kann und sich in den Patientenströmen in Form von Wanderungssalden niederschlägt.

In drei aus sechs Landkreisen Südwestthüringens beträgt der relative Wanderungssaldo 100% was im Umkehrschluss bedeutet, dass alle darin wohnhaften Patienten den Landkreis verlassen haben, um sich in einer Klinik außerhalb dieser Landkreise behandeln zu lassen. (siehe Abbildung oben.)

Heute wissen was übermorgen passiert!

Neben dem Gesetzgeber sind die Entscheidungsträger auf Seiten der Leistungserbringer gleichermaßen gefordert die Versorgungslandschaft aktiv mitzugestalten. Zwar müssen krankenhausplanerische Rahmenbedingungen zunächst ordnungspolitisch festgelegt werden, ein frühzeitiger Blick in die Zukunft ist dennoch aus Sicht der Krankenhäuser empfehlenswert.

Eine Klinik, die im Status quo für sich beurteilen kann, in welchen Leistungsgruppen bzw. -bereichen sie eine strukturrelevante Rolle für die Versorgung einnimmt, kann das Heft des Handelns ex-ante in die Hand nehmen, um eine existenzsichernde Strategie zu entwickeln, bevor Dritte in einer ex-post Betrachtung über die Ausgestaltung und Zukunft einer Einrichtung durch eine Krankenhausstrukturreform (-bereinigung) entscheiden.

 Folgende Fragestellung sind zur Beurteilung relevant:

  1. Auf welche Klinikstandorte konzentrieren sich die Behandlungsfälle in einer ausgewählten Versorgungsregion?
  2. Welche Krankenhäuser werden gemäß neuer Planungsindikatoren als nicht mehr strukturrelevant gelten?
  3. In welchen Versorgungsregionen herrscht eine Unter- oder Überversorgung nach Leistungsbereichen?
  4. Welche Konsequenzen resultieren aus einer zukünftigen Krankenhausplanung für die Medizinstrategie eines Krankenhauses?
  5. Welche Szenarien entsprechen dem Worst-, Best- oder Real-Case?

Bettenorientierte vs. Leistungsorientiere Planung

Jedes theoretische Modell beinhaltet diverse Limitationen und so verhält es sich auch für die Entwürfe zur zukünftigen Krankenhausplanung. Zumindest in der Theorie scheinen die Vorteile der leistungsorientierten Planung gegenüber der bislang geltenden bettenorientierten Systematik zu überwiegen. Die skalierbare Granularität der Planungsdimensionen, die aktive Leistungssteuerung sowie die besonders relevante Berücksichtigung ambulanter Potenziale sprechen für die leistungsorientierte Planung gegenüber des geringen Detailgrades, des fehlenden Leistungsbezuges und der mangelnden Transparenz der bettenorientierten Planung. Lediglich die zunehmende Komplexität aufgrund der skalierbaren Granularität führt zu einem höheren Anforderungsbedarf auf Seiten der Planungsbehörden und ist damit von Nachteil.

Unabhängig davon welche Systematik in den einzelnen Bundesländern gilt (oder gelten soll) zeigt die eingangs formulierte Diskrepanz in gesundheitsökonomische Gesamtrechnung zu den Gesundheitseinnahmen und -ausgaben sehr ungeschminkt, dass sich die stationäre Versorgungslandschaft verändern wird.

Kontakt zum Autor

Maximilian Schmid, COO – Geschäftsführung, BinDoc GmbH, Kontakt: maximilian.schmid@bindoc.de