Klinikmarkt
Die Krankenhauslandschaft ist im Umbruch – mit Konzepten aus Berlin und mit von einzelnen Ländern getriebenen Planungen. HCM diskutiert die Herausforderungen und Erwartungen an eine bedarfsorientierte Versorgungslandschaft mit Rainer Pappert, Geschäftsführer der St. Augustinus-Gruppe, und dem Chief Operating Officer des Software- und Beratungsunternehmens BinDoc, Maximilian Schmid.

Die gesundheitsökonomische Gesamtrechnung zeigt eine deutliche Diskrepanz zwischen den Gesundheitseinnahmen und -ausgaben. Die stationäre Versorgungslandschaft muss sich unter anderem vor diesem Hintergrund verändern. Krankenhausplanerische Konzepte für eine Strukturreform bestimmen in den Ländern die aktuelle gesundheitspolitische Debatte. Leistungskataloge und Vergütungsansätze unter anderem laut Krankenhauspflegeentlastungsgesetz (KHPflEG) und dem Konzept der Regierungskommission stehen mit auf der Agenda.
Herr Pappert, wie bewerten Sie Stand und Ansätze der Krankenhausplanung in NRW?
Pappert: Wir haben in NRW einen transparenten Dialog erlebt. Gutachten machten die Vorschläge und Strukturen nachvollziehbar. Auch während der Antragsverfahren gab es einen intensiven Austausch mit Politik und Verbänden.
Was jetzt aus Berlin gekommen ist, wirkt überraschend: Eine Kommission ohne nachvollziehbares Mandat greift mit ihren Vorschlägen in Krankenhausstrukturen ein. Da stellt sich zwangsläufig die Frage: Wie passen die beiden Ansätze übereinander? Die 64 Leistungsgruppen in NRW sind kompakter und somit geeigneter – anstelle einer Quadratur des Kreises. Bei allen Ähnlichkeiten und Überlappungen zielt das Berliner Konzept mehr auf Vergütung, und es kann sich herausstellen, dass sich die beiden Ansätze im Weg stehen. Das muss man sich nun in Ruhe anschauen. Am 5. Januar 2023 soll es ja eine Konferenz geben, in der den Ländern die Konzeptpunkte dargestellt werden.
„Für die anstehenden Planungskonferenzen sehen wir uns gut vorbereitet.“
Rainer Pappert
Wo steht die St. Augustinus-Gruppe?
Pappert: In unserer Gruppe haben wir uns mit den Anforderungen auseinandergesetzt und pünktlich die Antragsunterlagen abgegeben. Für die anstehenden Planungskonferenzen sehen wir uns gut vorbereitet. Von unseren Leistungen sehen wir 70 Prozent auf der unteren Planungsebene – lokal, regional. Ein weiterer Teil ist auf Versorgungsebene geplant und der kleinste Teil auf Regierungsbezirksebene. Auf Landesebene haben wir keine Karten im Spiel. Bei einigen Aspekten gibt es Diskussionsbedarf – etwa bei der Planung von Revisionseingriffen in der Endoprothetik auf einer höheren Ebene als für die Erstversorgung. Bei Mindestmengen und Qualitätsmerkmalen sehen wir uns gut aufgestellt.
Das NRW-Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS) sowie die Regierungsbezirke zielen insbesondere auf trägerübergreifende Konzepte bei der künftigen Ausgestaltung der Versorgungslandschaft. Schafft das Planungspapier Anreize dafür, ggf. festgefahrene Strukturen mit benachbarten Häusern zu überdenken?
Pappert: Grundsätzlich sind Kooperationen zu begrüßen. Mitunter entsteht jedoch der Eindruck, als sei dieser Ansatz etwas Neues. Das ist mitnichten so – wechselseitige Zusammenarbeit gibt es seit jeher. Was hier nun ansteht, ist eine Intensivierung. Die grundsätzliche Bereitschaft dazu erkennen wir. Das Puzzlestück, das fehlt, ist allerdings die Frage „was geschieht danach“: Verschiebungen haben nämlich – neben ökonomischen Auswirkungen – auch Effekte auf geleistete Investitionen etwa in den Bereichen Bau und Medizintechnik. Bis zu einer Klärung halten sich Krankenhäuser daher ein Stück weit bedeckt.
Herr Schmid, BinDoc begleitet deutschlandweit Kliniken in der strategischen Entscheidungsfindung. Trägt die Abkehr von einer bettenorientierten hin zu einer leistungsorientierten Planung bei der künftigen Ausrichtung einer Klinik zu einer bedarfsorientierten Versorgungslandschaft bei?
Schmid: Meine Antwort lautet – ja. Die Planungsaktivitäten haben dazu geführt, dass Krankenhäuser ihr Leistungsportfolio überdenken. In versorgungsdichten Ländern wie NRW sind Strukturen gewachsen, die sich nicht in allen Fällen am Bedarf orientiert haben. Die Erwartung ist, dass die Feststellungsbescheide in vielen Fällen von den hauseigenen Vorstellungen abweichen werden. Das MAGS hat die Potenziale einer bedarfsorientierten Planung erkannt; als einziges Bundesland hat NRW hieran systematisch gearbeitet. Die bundespolitischen Vorschläge könnten dies ein Stück weit konterkarieren.
„Die politischen Akteure sollten mehr einfordern als Statements ohne gesellschaftsrechtliche Konsequenzen.“
Maximilian Schmid
Konzepte der neuen Krankenhausplanung in NRW zielen auf Kooperationen zwischen verschiedenen Krankenhausträgern ab – ist für Sie der plötzliche Sinneswandel hin zu Kooperation statt Konfrontation nachvollziehbar?
Schmid: Schon vor den Planungsprozessen haben sich in einigen NRW-Regionen Träger strategisch mit dem Thema Kooperation auseinandergesetzt – auch schlichtweg, um existenzfähig zu bleiben. Die neuen Ansätze begünstigen eine Intensivierung mit dem Ziel, bedarfsorientiert Zukunftsfähigkeit zu schaffen. Man mag über Zwangsehen sprechen … und diverse Absichtserklärungen mögen auch auf strategischem Kalkül beruhen. Die politischen Akteure sollten jedenfalls mehr einfordern als Statements ohne gesellschaftsrechtliche Konsequenzen. Anderenfalls könnten die anstehenden Planungskonferenzen für die Regierungsbezirke zu einem Basar verkommen.
Pappert: Allerdings könnte die nun in Berlin vorgestellte Finanzierung von Vorhaltekosten hier doch wieder Partikularinteressen bedienen und zu einer Konfrontation führen – gegenüber einer Kooperation.
Nach Abschluss der Planungskonferenzen – welche Rolle sehen Sie für die St. Augustinus Gruppe mit zwei somatischen Standorten in Ihrer Versorgungsregion?
Pappert: Das bedeutet einen Blick in die Glaskugel … Wir denken, dass wir uns bei unseren Kernleistungen verstärken können. So sehen wir uns mit unserem zertifizierten onkologischen Zentrum gut aufgestellt – auch hinsichtlich der Schlagzahl. Stroke Units und bariatrische Chirurgie bringen unserer Meinung nach ebenfalls Potenziale zur weiteren Stärkung. Bei Kardiologie und Thoraxchirurgie mag die Diskussion in der Gesamtsituation anders aussehen.
Insgesamt gehen wir mit dem Ansatz in die Planungskonferenzen, dass wir im Großen und Ganzen unsere Rolle als starker Player im Rheinland mit unseren zwei somatischen Häusern beibehalten und unsere medizinischen Kernleistungen weiter ausbauen können.
„Zu viele Player beschäftigen sich heute auf theoretischer Ebene im Gesundheitswesen mit zu vielen Aspekten.“
Rainer Pappert
Sind Kooperationen und ein abgestimmtes medizinisches Konzept der richtige Weg, um Synergien mit dem Ziel zu heben, die medizinische Qualität zu verbessern?
Pappert: Ja! Hat man hervorragende medizinische Qualität zum Ziel, so ist das Bündeln medizinischer Kompetenz für eine Reihe von Leistungsgruppen an bestimmten Standorten definitiv sinnvoll. Die nötige Erfahrung und Kompetenz auch im Kontext von Komplikationen führen zu höherer Struktur- und Ergebnisqualität. Dafür sind Patientinnen und Patienten bei planbaren Maßnahmen bereit, weitere Wege in Kauf zu nehmen. Wenn die Krankenhausplanung dies nun unterstützt, so ist das zu begrüßen.
Schmid: Meine Erwartungen im Hinblick auf die aus Berlin angekündigte „Revolution“ sind im Hinblick auf das Thema Qualität enttäuscht. Wir haben sämtliche Technologien verfügbar, die zur Messung von Qualität für eine Reihe von Indikationen erforderlich sind – etwa im Hinblick auf Komplikationen.
Pappert: Seit den 2010-er Jahren gibt es eine starke Qualitätsorientierung. Zu viele Player beschäftigen sich heute auf theoretischer Ebene im Gesundheitswesen mit zu vielen Aspekten – MD, GB-A und mehr. Weniger Akteure und klare Vorgaben für die Umsetzung – das würde helfen, das Thema Qualitätsmessung endlich Wirklichkeit werden zu lassen.
Krankenhauszukunft: Die Nikolaus-Überraschung aus Berlin
Am 6. Dezember 2023, dem Nikolaustag, fand die Mitgliederversammlung der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen zur Krankenhausplanung statt. Auch NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann nahm teil. In dieses Meeting platzte die Mitteilung zum Papier der Regierungskommission hinein, berichtet Rainer Pappert. Das KGNW-Meeting wurde zeitweise zu einem Public Viewing der BMG-Pressekonferenz, die die Überraschungen aus dem Berliner Nikolausstiefel präsentierte – und bei den Krankenhausverantwortlichen eine Vielzahl von Fragen aufwarf.
Aus jeder Reform gehen in aller Regel Gewinner und Verlierer hervor. Wird die Trägervielfalt einer Versorgungslandschaft durch die Bildung strategischer Allianzen geschwächt?
Schmid: Hierzu kommt mein klares Nein. Die neue Planung wird sich nicht zuungunsten der Trägervielfalt auswirken. Manche Häuser haben sich sorgfältiger als andere auf die künftigen Rahmenbedingungen eingestellt. Trägerübergreifende Konzepte fördern den Erhalt der Vielfalt – und strategische Allianzen sollten weder durch konfessionelle, kartellrechtliche oder andere Zwänge limitiert werden.
Welche Risiken und Chancen kann die Neuordnung einer Versorgungslandschaft auslösen – und wie werden diese von Klinikentscheidern mit Blick auf 2023 bewertet?
Schmid: Meine Gespräche mit Klinikentscheidern haben gezeigt, dass die Neuordnung der Kliniklandschaft durch Partikularinteressen geprägt ist. Des einen Chance ist des anderen Risiko! Das Korsett der Planungsebenen wird sich nicht auf jeden Leistungsbereich zwängen lassen – oder jeden Leistungserbringer, sofern er bereits eine überregionale Stellung in der Versorgungslandschaft einnimmt. Es wäre wenig zielführend, gute und anzunehmenderweise qualitativ hochwertige Strukturen gesetzgeberisch zu beschneiden – so hat Herr Pappert ja als Beispiel bereits die bariatrische Chirurgie genannt. In welchem Verhältnis soll die Anzahl der Leistungserbringer zu dem entsprechenden Versorgungsbedarf einer Leistungsebene stehen, damit dieses Verhältnis als bedarfsgerecht und flächendeckend erscheint?
Es wäre bedauerlich, die Chance zu verpassen, Leistungserbringern im entsprechenden Fall die Versorgungsrelevanz in bestimmten Leistungsgruppen abzusprechen. Ein frühzeitiges Bekenntnis hierzu würde die Transparenz der Planungssicherheit erhöhen.
Pappert: Der Landeskrankenhausplan sieht für Patt-Situationen bei gleichen Leistungsangeboten vor, dass es zu einer Besten-Auswahl kommt. Diese Methode ist jedoch nicht definiert. Hier können die Partikularinteressen der Krankenkassen – die auf der anderen Seite des Verhandlungstisches sitzen – dazu führen, dass es zu Verschiebungen in der Krankenhauslandschaft kommt.
Krankenhausplanung ist laut Grundgesetz Ländersache. Die Regierungskommission des Bundesgesundheitsministeriums kündigt parallel diverse bundesweit greifende Reformansätze an. Stimmen die Zielbilder darüber, wie das Krankenhaus der Zukunft aussehen soll, zwischen Bund und Ländern überein?
Schmid: Bereits in der Arbeitsphase der Kommission haben die Sozialminister der Länder klargestellt, dass beispielsweise „Bayern nicht NRW“ sei. Es erscheint sinnvoll, einen bundesweiten Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen die Länder agieren können. „Am Ende entscheidet, wer zahlt“ – das Versagen der Länder über die vielen letzten Jahre führt nun dazu, dass die Länder die Krankenhausplanung nur noch bedingt beeinflussen können. Dem unkontrollierten Kliniksterben nicht länger tatenlos zuzusehen, ist eine gesundheitspolitische Verpflichtung. Ob das mit den Vorschlägen aus Berlin besser funktionieren wird, lässt sich im Augenblick noch nicht abschließend bewerten. Dieser Weg erscheint mir jedoch tragfähiger als die Wege in 16 Ländern, die alle bislang in die falsche Richtung gegangen sind. Finanzierung und – landeshoheitliche! – Planung zu vermischen, war handwerklich ein ungeschicktes Vorgehen.
Der wirtschaftliche Ausblick zeichnet das Bild einer beginnenden Rezessionsphase. Glauben Sie, dass die Landesregierungen den finanziellen Zugeständnissen, die der Umbau einer Versorgungslandschaft erfordert, gerecht werden können?
Pappert: Spätestens in der zweiten Planungsrunde wird es zu spürbaren Veränderungen kommen. Um diese Veränderungen umsetzen zu können, bedarf es ganz profan finanzieller Mittel. Für diesen Umbau hat NRW – und das ist eine Premiere in der Republik – über fünf Jahre ein Budget von rund 2,5 Mrd. Euro vorgesehen. „Das ist ein Wort.“ Bauchschmerzen bereitet mir allerdings, dass wir generell viel zu langsam sind. So laufen noch immer Strukturfonds-Anträge aus einer Vorgänger-Regierung, zu denen noch kein einziger Stein verbaut ist. Mehr Geschwindigkeit muss ins System … auch anstelle weiterer Bürokratiemonster. Für die Träger heißt das – Ärmel hochkrempeln und zugreifen!
Das Interview führte Michael Reiter.