Klinische Textilien im OP: Einweg oder Mehrweg?

Konkurrierende Versorgungssysteme, preisorientierter Einkauf aufgrund des kontinuierlichen Kostendrucks, schrumpfende Marktanteile für Mehrwegdienstleister und zurückgehende Margen bestimmen heute den Markt klinischer Textilien. Welche Aspekte sollten Klinikentscheider bei der Beschaffungsentscheidung berücksichtigen?Der gesamte Bereich der Wäscheversorgung, insbesondere auch der Teilbereich OP-Textilien, wird meist als austauschbarer Produktbereich betrachtet. Das heißt: Die angebotenen Produkte werden im Hinblick auf ihre Basisfunktionalität (z.B. Abdeckung des Patienten) als gleichwertig angesehen. Gleichzeitig spielen Qualitätsmerkmale wie der Tragekomfort bei OP-Kitteln eine nachrangige Rolle. In der Konsequenz ist die reine Preis- und Konditionenpolitik ausschlaggebend für die klinische Beschaffungsentscheidung. Unter dem Aspekt der Anforderungen an das OP-Management ist festzustellen, dass Infektionsgefahren im klinischen Betrieb zugenommen haben und mit erheblichen zusätzlichen Kosten verbunden sind. Insofern ist zu hinterfragen, welche Beiträge zur Hygienesicherheit durch textile Versorgungssysteme im OP erreicht werden können. Hygienesicherheit, Ökologie und ProzesssicherheitEine der Herausforderungen für die Krankenhäuser ist die Sicherstellung der Hygiene, d.h. die Vermeidung von Infektionen. Daher ist das Handlungsfeld „OP-Versorgung mit klinischen Textilien“ aus mehreren Gründen für die zukunftsorientierte OP-Gestaltung bedeutend: Die Art der Bekleidung bestimmt den Tragekomfort, der v.a. bei längeren Eingriffen die Konzentration der Akteure sowie den Ablauf der Prozedur beeinflusst.Die Art der Abdeckung (Reißfestigkeit, Klebefähigkeit etc.) beeinflusst die Hygienesituation im OP.Unter ökologischen Gesichtspunkten nehmen Fragen der Energiebilanz beim Herstellungs- und Entsorgungsprozess von OP-Textilien eine zunehmend wichtige Rolle ein. Ebenso gewinnt die Ressourcenschonung bei Beschaffungsentscheidungen an Bedeutung. Dieser Aspekt wird in Zukunft die Entscheidungen beeinflussen. Auch wird das „Bekenntnis zu grünen Produkten“ im Marketing an Bedeutung gewinnen. Für Prozessqualität, Patientenrisiken und Kosten ist daneben die Gestaltung der OP-Versorgungslogistik mit Medikalprodukten entscheidend, z.B. auf der Basis standardisierter, kundenindividueller Sets, durch Einsatz elektronischer Versorgungsschränke, Case Carts u.a. ablauforganisatorischen Organisationshilfsmittel.Eine Frage der SichtweiseDie Nutzer (Ärzte, Pflegekräfte) und die Entscheider (Einkauf, Controlling), schätzen die Auswahlkriterien Infektionsschutz und Sterilität, gute Handhabung und vergleichsweise niedrige Kosten unterschiedlich ein. Interessant ist dabei, dass die Einschätzung von Betriebswirten in Einkauf und Controlling deutlich positiver pro Einwegprodukt ausfällt als das Urteil der Ärzte. Letztere ziehen Mehrwegprodukte grundsätzlich und eindeutig vor, v.a. bei Eingriffen mit hoher mechanischer Belastung (z.B. Orthopädie),zeitintensiven Eingriffen (z.B. pulmonale Endarteriektomie),Eingriffen mit hohem Feuchtigkeitsgrad des OP-Feldes (z.B. Urologie) undkomplexen Eingriffen (z.B. im Hybrid-OP).Bei Patienten mit erhöhtem Infektionsrisiko sowie für den Fall, „dass es schnell gehen muss“ (zentrale Notaufnahme), sind die Behandler bereit, tendenziell eher Einwegprodukte einzusetzen. Aus diesen unterschiedlichen Sichtweisen wird auch die grundlegende Zielekonkurrenz zwischen Einkaufszielen (= Kosten senken) und Anwenderzielen (= Tragekomfort und Hygienesicherheit) deutlich. Interessant ist auch, mit welcher Wichtigkeit verschiedene Kriterien bei der Entscheidung über die Beschaffung der Textilien zum Einsatz kommen (Befragungen anlässlich des OP-Management-Kongresses 2010 und 2014). Mit einem Gewichtungsanteil von 68 Prozent wurde das „beste Preis-Leistungs-Verhältnis“ als wichtigstes Entscheidungskriterium angegeben. Jedoch handelt es sich hier de facto um eine „Ein-Faktor-Entscheidung“, da hinter dem rational klingenden Kriterium „der möglichst niedrigste Preis bei Erfüllung der definierten Basisfunktionalität“ (z.B. „Abdecken“) steht. Qualitätsaspekte wie Thermoregulation, Tragekomfort etc. spielen dabei keine Rolle.Einen Wichtefaktor von 23 Prozent erreichte das „kostengünstigste Produkt“. Dieses ist das mit den vergleichsweise geringeren Prozesskosten (inkl. Opportunitätskosten-Effekten). Diese werden aber in den meisten Beschaffungsprozessen nicht kalkuliert.Für den Faktor „Komfort/Handhabung“ liegt der Wichtefaktor bei sechs Prozent.„Ökologische Kriterien“ spielen mit einem Wichtefaktor von drei Prozent faktisch keine Rolle.Tragekomfort als Einflussfaktor Aus Arbeitswissenschaft und industrieller Ergonomieforschung ist bekannt, dass zwischen ermüdungsfreier Arbeitssystemgestaltung und Produktivität sowie Qualität ein direkter Ursache-Wirkungs-Zusammenhang besteht. Auch die Forschung im Klinikbereich über den Zusammenhang zwischen Gestaltung der Arbeitsumgebung und der Arbeitsplatzausstattung einerseits und der Arbeitseffektivität sowie von Patientenrisiken andererseits weist nach, dass Beeinträchtigungen durch Stressfaktoren wie z.B. mangelhafte Arbeitsplatzausstattung das Wohlbefinden der Mitarbeiter stören und das Auftreten von Arbeitsfehlern begünstigen. Der direkte Zusammenhang zwischen Tragekomfort und Arbeitseffizienz sowie Fehlermöglichkeiten des Personals wurde in verschiedenen Studien untersucht. In der Studie von Brandt (2011) liegt die Arbeitshypothese zu Grunde, dass der Tragekomfort von OP-Mänteln (ausgedrückt durch das messbare Kriterium „Körpertemperatur“) die Leistungsfähigkeit von Operateuren insofern beeinflussen kann, als mangelhafte Atmungsaktivität textiler Materialien gerade bei längeren Eingriffen (länger als zwei Stunden) Hitzestress auslösen kann. Dadurch können die psychomotorischen Eigenschaften beeinträchtigt werden. Das Bekleidungsphysiologische Institut Hohenstein bewertet die physiologische Funktionalität von OP-Mänteln auf Basis des Wasserdampfdurchgangswiderstandes als Gradmesser für die Atmungsaktivität von Materialien. Diese Messgröße wiederum definiert den Tragekomfort: Man geht davon aus, dass atmungsaktive Materialien eine Schweißverdampfung und damit die Kühlung des Körpers ermöglichen. Aus diesen Vorüberlegungen kann ein ergonomisches Entscheidungsmodell abgeleitet werden (Abb. 2). Je höher die Akzeptanz der Mitarbeiter für eine bestimmte textile Versorgungsvariante, desto größer ist die Arbeitseffizienz. Die Akzeptanz für eine textile Versorgungsvariante wird im Wesentlichen durch den Tragekomfort für das Personal bestimmt. Wiederaufbereitungsprozess als QualitätsvoraussetzungGemäß Medizinproduktegesetz (MPG) muss die Aufbereitung von wiederverwendbaren OP-Textilien die Anforderungen der Norm EN 13795 erfüllen. Entscheidend für Hygienesicherheit und Funktionalitätsgarantie, aber ebenso für die Kosten der Nutzung wiederaufbereitbarer OP-Textilien, ist die Anzahl sicherer Aufbereitungszyklen. Qualitativ hochwertige Materialien, wie z.B. Mikrofilamentgewebe und textile Laminate, sind bis zu 80-mal wiederaufbereitbar. Wiederaufbereitung und Reparatur von Medikalprodukten wird in Zukunft aus drei Gründen an Bedeutung gewinnen: Wiederaufbereitung ist ein Beitrag zur Ressourcenschonung.Die Kosten je Einsatz eines Medikalproduktes können um 15 bis 75 Prozent durch Wiederaufbereitung bzw. Reparatur reduziert werden. Die Wiederaufbereitung von ausgewählten Einwegprodukten nach einem validierten Verfahren und Reparatur von OP-Instrumentarien trägt zu finanziellen Einsparungen bei. Gewebebeschaffenheit als QualitätsindikatorDie Gewebebeschaffenheit stellt eine entscheidende Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsvoraussetzung dar. Vor allem vor dem Hintergrund, dass wegen der Altersstruktur die Zahl infektionsgefährdeter Patienten und die der zeitaufwendigen und komplexen Eingriffe zunimmt, kommt es darauf an, Gewebe für textile OP-Produkte (Abdeckungen, Mäntel) zu verwenden, die Klimakomfort für Patienten und Operateure,Barrieresicherheit bzw. Infektionssicherheit,Klebefähigkeit (insbesondere Mehrfachklebefähigkeit) sowieFlüssigkeitsaufnahme und -abgabefähigkeit sicherstellen können. Der Klimakomfort bei OP-Mänteln und die Wärmewirkung bei Abdeckmaterial sind bei Mehrwegtextilien gegenüber Einwegprodukten als höher einzustufen. Zurückzuführen ist dies auf die unterschiedliche Gewebedichte (Einweg: 40 bis 50 g/m2; Mehrweg: 250 g/m2). Die Membrane zwischen Ober- und Unterschicht bei OP-Mänteln aus Trilaminat verhindert einerseits den Eintritt von Bakterien bzw. Viren von außen, andererseits wird der Austritt von Wasserdampfmolekülen von innen nach außen ermöglicht (Thermoregulationseffekt, v.a. bei Trilaminaten mit Polyurethan-Membran aus Polyfluorethylen). Daneben bewirken eingewobene leitfähige Karbonfasern eine permanente Antistatik. Mikrofilamentgewebe und textile Laminate gelten als besonders reiß- und scheuerfest und sichern flüssigkeitsregulierende Wirkungen. Die Partikelabgabe ist faktisch nicht gegeben. Die Robustheit des Gewebes ermöglicht bis zu 80 Wiederaufbereitungszyklen. Kostenvergleich Aus den bisher verfügbaren Studien bzw. Hypothesen zum Kostenvergleich zwischen Einweg- und Mehrweg-OP-Textilien wird deutlich, dass ein reiner Preisvergleich nur begrenzt aussagefähig ist. Das liegt daran, dass: die auf dem Markt befindlichen Konkurrenzprodukte bzgl. ihrer Ausstattungsmerkmale (z.B. Tuchgröße, inklusive/exklusive Stockinette, Anzahl Tücher) voneinander abweichen,alternative Anlieferungsformen und Logistikkonzepte (z.B. Anlieferung, Wiederaufbereitung, Entsorgung in einem separaten Logistikkreislauf oder Kombination der Wäsche- und Medikalproduktelogistik durch Verwendung modularer oder eingriffsbezogener Sets) unberücksichtigt bleiben,die Möglichkeit eines Einwegherstellers zur Quersubventionierung auf die Preisgestaltung ignoriert wird,externe Effekte wie die Umweltbelastung nicht Teil des betriebswirtschaftlichen Entscheidungskalküls sind undhäufig eine Identität von Produktfunktionalität und Qualität bei Einweg- und Mehrwegprodukten unterstellt wird.Die CKM-Studie (von Eiff 2007) brachte bezüglich des Kostenvergleichs folgende Ergebnisse: Bei den Kosten pro Stück liegen die Mehrweganbieter deutlich über den Kosten der Einweganbieter (Laminatmantel: 2,50 Euro; Einweg-Mikrofaser-mantel: 1,10 bis 1,90 Euro). Aber es gibt Unterschiede zwischen gleichnamigen Einweg- und Mehrwegprodukten: Mehrwegtücher sind im Durchschnitt größer als Einwegtücher.Einwegprodukte wiegen nur einen Bruchteil der Mehrwegprodukte und liegen daher nicht stabil und flatterfrei auf dem Patienten auf. Oft ist eine Beschwerung mithilfe von Mehrwegtüchern angezeigt (= zusätzlicher Kostenfaktor).Mehrwegprodukte übertreffen die Einwegprodukte in Bezug auf Reiß- und Berstfestigkeit.Bei den Setkosten gleichnamiger Sets liegen die Mehrweganbieter über den Kosten der Einweganbieter. Allerdings ist ein direkter Vergleich hier nicht möglich: Die Setinhalte sind von Anbieter zu Anbieter unterschiedlich.Die Qualität der in den Sets enthaltenen Produkte ist heterogen.Die Listenpreise entsprechen im Regelfall nicht den realen Preisen.Kostendifferenzen zwischen Einweg- und Mehrwegprodukten sind dann gegeben, wenn unterschiedliche Anforderungen aufgrund der Eingriffsart gestellt werden. Hier stellte die CKM-Studie fest, dass die Zusatzkosten des Einwegprodukts immer dann steigen, wenn der Grad der Dynamik und der Grad des Flüssigkeitsaustritts bei Operationen hoch ist. FazitDie vergleichende Analyse der Vorzugswürdigkeit alternativer Formen der Versorgung mit OP-Textilien (im Beispiel: Abdeckung und OP-Bekleidung; Einwegprodukte versus Mehrwegprodukte) auf Basis einer Metastudie hat zum Teil eindeutige Funktionalitätsvorteile bei Mehrwegprodukten erkennen lassen. Insbesondere der erhöhte Tragekomfort verhindert ein vorzeitiges Nachlassen der Konzentration des Personals, verringert das Fehlerpotenzial und trägt so zu gesicherter Arbeitseffizienz und Wirtschaftlichkeit von Prozeduren bei. Die Wiederaufbereitung von Medikalprodukten (also auch von textilen OP-Abdeckungen und -Mänteln) nach einem validierten Verfahren bei gesicherter Anzahl von Aufbereitungszyklen entlastet den Klinikbetrieb von vermeidbaren Kosten,leistet einen Beitrag zur Ressourcenschonung undträgt zur Vermeidung von Rationierung bei,ohne Qualität, Hygienesicherheit sowie Funktionalität zu beeinträchtigen.Die zur Herstellung von Mehrwegtextilien verwendeten Materialien (Mikrofilamentgewebe, textile Laminate) haben sich als extrem reiß-, berst- und scheuerfest erwiesen und setzen kaum Partikel frei. Textile Einwegprodukte sind bedarfsgerecht und wirtschaftlich einsetzbar, wenn es um Low-Performance-Eingriffe geht sowie im Notfallbereich. Demgegenüber sind textile Mehrwegprodukte mit wirtschaftlichem und qualitativem Vorteil einzusetzen in High-Performance-Anwendungsbereichen (hohe mechanische Belastung, hohes Flüssigkeitsaufkommen von außen nach innen, komplexer Eingriff mit Prozedurzeit von mehr als zwei Stunden). Der Setmarkt zieht auch in Zukunft weiter an. Mehrweganbieter können deutlich schneller auf die Wünsche der Krankenhäuser eingehen, um ein krankenhausindividuelles Set zusammenzustellen.