Kommentar Ist die „goldene Zeit“ des Managements vorbei?

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Qualitätsmanagement

Prof. Dr. Volker Nürnberg diskutiert auf dem diesjährigen Managementkongresses Krankenhaus Klinik Rehabilitation auf dem Hauptstadtkongress diese Frage mit einem hochkarätigen Podium. Denkanstöße und Ideen dazu, was Gesundheitswesen wie Management jetzt brauchen, hat er vorab exklusiv zusammengefasst.

Prof. Dr. Volker Nürnberg
Prof. Dr. Volker Nürnberg, BDO AG. – © privat

Das deutsche Gesundheitswesen ist das regulierteste der Welt. Nachdem ich in den ersten Semestern meinen BWL-Studenten alle Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft erklärt habe, muss ich sie bitten alles zu vergessen, da es im Gesundheitsmarkt keine freie Preisbildung, Wettbewerb und Angebotsfreiheit, weder bei Kostenträgern, noch bei Leistungserbringern gibt. Die Preise sind im Krankenhaus durch die DRGs festgeschrieben, im ambulanten Bereich durch die Gebührenordnung und dazu gedeckelt. Weiterhin gibt es Regulierungen und Reglementierungen der Produkte im Wesentlichen durch das SGB V. Bei den gesetzlichen Kostenträgern, der GKV, die weit über die Hälfte der Gesundheitsausgaben trägt heißt das, dass die Preise der rund 100 verbliebenen Kassen ganz nah beieinander sind und die Leistungen zu weit mehr als 90 Prozent identisch. In der privaten Krankenversicherung gibt es hingegen Unterschiede bei Leistung und Preis von mehreren 100 Prozent, die zu einem Wettbewerb um das beste Preis-Leistungsverhältnis und Qualität führen.

Ökonomisierung unumgänglich?

Obwohl der neue Gesundheitsminister noch weniger im Verdacht steht auf die Marktmechanismen zu vertrauen als sein Vorgänger, wird es nicht zu umgehen sein, zu einer Ökonomisierung des Gesundheitswesens zu kommen. Das heißt, der Einsatz jedes einzelnen Euros muss kritisch hinterfragt werden und man muss weg vom Giesskannenprinzip kommen. Die handelnden Akteure, also z.B. Krankenhauschefs und Krankenkassenvorstände, müssen endlich in die Lage versetzt werden, selbst proaktiv die Politik ihres Unternehmens zu gestalten. Es muss zu einer Differenzierung der Landschaft kommen, um durch Vielfalt Innovationen und Digitalisierung voranzutreiben. Die personalisierte, persönliche, präventive Medizin im deutschen Markt ist längst auch von den amerikanische Tech-Riesen wahrgenommen worden und diese werden beginnend bei der Online-Apotheke, über die Videosprechstunde bis zu neuen KI, VR und Big Data gestützten Angeboten versuchen, den Markt zu übernehmen.

Vor der Pandemie waren fast die Hälfte der Krankenhäuser defizitär. Ihre Reglementierung z.B. durch Krankenhausplanung und DRGs führen zum Teil zu Fehlanreizen. Die DRGs stehen seit einiger Zeit in der Kritik, sie würden dazu führen, dass zu viele Patienten und Patientinnen zu schnell durch die stationären Einrichtungen geschleust werden. Hier scheint eine Weiterentwicklung dringend geboten. Dazu kritisieren insbesondere die Krankenkassen die Vielzahl an finanziell lukrativen, operativen Eingriffen, z.B. wurden vor der Pandemie viele neue Wirbelsäulensektionen eröffnet.

Bei den Krankenkassen gibt es insbesondere den bizarren Morbi-RSA Ausgleich, bei dem Kassen an andere Krankenkassen mit einem günstigeren Beitragssatz Milliarden abgeben müssen. Dieser komplexe Mechanismus wird zum Teil unterwandert, so dass es nun zu einem Gesetz gegen den Missbrauch dieser Regelung gekommen ist.

Für den Sommer hat Karl Lauterbach einen „Strategieprozess“ und ein neues Gesetz zur Digitalisierung angekündigt. Es ist sicher überfällig, dass er sich diesem Thema widmet und die einzelnen Lobbygruppen werden bis dahin versuchen, Einfluss zu nehmen.

Weniger Bürokratie, Resilienz und Qualitätsfokus

Das Gesundheitswesen braucht:

  • Eine Entbürokratisierung durch Digitalisierung. Das Krankenhauszukunftsgesetz ist ein Schritt in die richtige Richtung, auch wenn bisher davon nur Beratungen und IT-Häuser profitiert haben.
  • Mehr Wettbewerb um die beste Qualität bei Leistungserbringern und Kostenträgern.
  • Eine Zweitmeinungskultur bei Eingriffen und komplexen Therapien um Qualität zu erhöhen, Missbrauch zu reduzieren und Patientinnen und Patienten die maximale Sicherheit zu geben.
  • Resiliente Krankenhäuser, die auch in Zukunft auf Pandemien (es war sicher nicht die letzte Pandemie), disruptive Entwickelungen und technischen Fortschritt flexibel reagieren können.
  • Die Entschärfung und Digitalisierung der Schnittstelle zwischen ambulanten und stationären Leistungen, um Leistungserbringern mehr Potenziale zu geben die insbesondere im ländlichen Raum in intersektorale Angebote münden sollten. Der ländliche Raum droht zunehmend medizinisch abgehängt zu werden. Hier sind muss man die Leistungserbringer in die Lage versetzen, innovative Angebote zu konzipieren. Es spielt die Telemedizin eine Rolle, zumindest aber eine gute Vernetzung, medizinische Versorgungszentren könnten weiter aufgewertet werden, um die Trennung von Ambulant und Stationär zu überwinden.
  • Mehr marktwirtschaftliche Elemente in allen Ebenen, um die Entscheider gestalten zu lassen. Der Krankenhausgeschäftsführer ist ein Schleudersitz (vgl. BDO/DKI Studie), obwohl wesentliche Ergebnisparameter fremdbestimmt sind. Dies muss geändert werden, durch Ökonomisierung und Deregulierung bestimmter Bereiche.
  • Die Nachweispflicht der Klinken gegenüber den medizinischen Diensten sollte unabhängig geprüft und entbürokratisiert werden. Der Chef der Krankenhäuser Gerald Gaß moniert aktuell sogar neue, zusätzliche Bürokratie. Bis zu 20 Prozent der Krankenhausfälle werden aktuell durch die MDen geprüft.

Ohne Wertschätzung geht es nicht mehr

Den Verantwortlichen obliegt es, resiliente Unternehmen zu schaffen und die Unternehmenskultur zu gestalten. Für die patientenfernen Dienstleistungen heißt das auch: „Das Homeoffice ist gekommen, um zu bleiben“.  Denn im Gesundheitswesen gilt, dass ohne Wertschätzung und Benefits das Gehalt ein Schmerzensgeld bleibt. Das Personal, pflegerisch und ärztlich, wird zunehmend zum Flaschenhals und ein Branding von Krankhäusern stärkt ihr Standing bei Patientinnen und Patienten und potenziellem Personal. Spätestens mit Einführung der Personaluntergrenzen in bestimmten stationären Bereichen wurde die knappe Personaldecke der Häuser nochmals in den Fokus gerückt.

Die Pandemie und der Krieg werden langfristig Einfluss auf den Gesundheitssektor haben. Deutschland hat schon jetzt mit für 2022 prognostizierten knapp 6.000 Euro hinter der Schweiz die höchsten Pro Kopf Ausgaben der Welt. Es wird wegen Globalisierung und Migration nicht die letzte Pandemie gewesen sein und die aktuelle ist auch noch lange nicht durchgestanden. Dazu kommt, dass viele Krankenhäuser mit ausländischen Patienten insbesondere aus Russland gutes Geld verdient haben. Hier muss man sich ebenfalls neu ausrichten.

Der Forderung des wissenschaftlichen Leiters des Hauptstadtkongresses, Prof. Heinz Lohmann, nach einer am Patienten und der bestmöglichen Qualität ausgerichteten Krankenhausstrategie und Planung kann man sich vorbehaltslos anschliessen.

HSK 2022 Logo
Der HSK 2022 findet vom 22. bis 24. Juni 2022 live in Berlin statt. – © WISO S. E. Consulting

Paragrafen statt Wettbewerb: Ist die goldene Zeit des Managements vorbei?

Donnerstag, 23. Juni 2022, 11.30 bis 13 Uhr, Alpha 2, Krankenhaus Klinik Rehabilitation

Prof. Dr. Volker Nürnberg diskutiert mit

  • Dr. Matthias Keilen, Bezirkskliniken Mittelfranken,
  • Dr. Axel Paeger, Ameos Gruppe,
  • Heike Penon, Gesundheit Nord gGmbH – Klinikverbund Bremen,
  • Joachim Prölß, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf,
  • Dr. Carl Hermann Schleifer, Beratung Dr. Schleifer,
  • Prof. Dr. Jens Scholz, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein,
  • Dr. Reinhard Wichels, WMC Healthcare GmbH

Alle Informationen zum Programm des Hauptstadtkongresses sowie die Möglichkeit zur Anmeldung finden Sie mit einem Klick hierauf.

Kontakt zum Autor

Prof. Dr. Volker Nürnberg hat seinen Zivildienst im Krankenhaus in der Pflege absolviert und dort auch das gesamte Studium über weitergearbeitet. Er lehrt Gesundheitsökonomie an verschiedenen (internationalen) Hochschulen, vvolker.nuernberg@tum.de