Interview mit ARD-Programmdirektor Volker Herres „Investigativer Journalismus als Dienst am Verbraucher“

Mehr denn je wird im Fernsehen rund um Medizin und Pflege berichtet, hoch im Kurs stehen auch Serien zum Thema. Gerade den öffentlich-rechtlichen TV-Sendern kommt somit eine besondere Sorgfaltspflicht bei Recherchen zu. ARD-Programmdirektor Volker Herres über Stellenwert, Skandale und Verantwortung.Dreharbeiten zum ARD-Drama „Atempause“, das am 14. Juni um 20.15 Uhr läuft: Nach einem scheinbar harmlosen Unfall wird der hirntote neunjährige Hannes auf der Kinderintensivstation eingeliefert. Plötzlich sind seine Eltern (Katharina Marie Schubert und Carlo Ljubek) mit existenziellen Fragen konfrontiert, die das Leben, den Tod und das Danach betreffen.Kaum ein Tag, an dem nicht auf irgendeinem TV-Kanal v.a. über Missstände im deutschen Gesundheitssystem berichtet wird. Dabei schaffen es auch Großevents wie der Deutsche Pflegetag oder der Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit inzwischen in die Abendnachrichten. Doch nicht immer ist qualitativ nur Gold, was quantitativ glänzt. HCM sprach mit ARD-Programmdirektor Volker Herres über Bedeutung und Umgang mit diesen Themen. HCM: Herr Herres, welchen Stellenwert haben Gesundheit, Medizin und Pflege insgesamt im ARD-Programm? Herres: Einen großen. Schließlich sind wir alle früher oder später mit diesen Themen befasst oder von ihnen betroffen. HCM: Die dazugehörige Berichterstattung gerade in Formaten wie „Plusminus“ oder „Report Mainz“ hat in den letzten Monaten deutlich zugenommen. Woraus resultiert dieser aktuelle Fokus? Herres: Gesundheit und Pflege sind zentrale Themen unserer Gesellschaft und der Politik. Und die Diskussion und Information um Reformen oder Missstände findet selbstverständlich auch in unserem Programm statt. HCM: In der Gesundheitsbranche wird oft moniert, dass es dabei primär um Skandale geht. Kommen die neuerdings tatsächlich öfter vor oder lassen sich so einfach höhere Einschaltquoten erreichen? Herres: Tatsächlich mehren sich die negativen Schlagzeilen, wenn es um die Gesundheitsbranche geht. Und natürlich gehört es als öffentlich-rechtlicher Sender auch zu unseren Aufgaben, auf Missstände hinzuweisen. Investigativer Journalismus, wie wir ihn pflegen, versteht sich aber nicht als schiere Skandalberichterstattung, sondern als Dienst am Zuschauer und damit am Verbraucher. Wenn es also um Aufklärung geht, ist es doch im Interesse aller, möglichst viele Menschen umfassend zu informieren. Abgesehen davon beschäftigen wir uns durchaus auch unterhaltsam mit dem Thema Gesundheit: Denken Sie etwa an „Hirschhausens Quiz des Menschen“ oder an „Wissen vor acht“. HCM: Der Einfluss solcher Beiträge ist enorm, ob auf die Branche oder auf die Meinung von Millionen Zuschauern. Wie geht die ARD mit Falschmeldungen um? Herres: Seit April dieses Jahres arbeitet bei ARD-aktuell ein Verifikationsteam, das die Aufgabe hat, Meldungen auf ihren Wahrheitsgehalt, auf ihre Echtheit hin zu überprüfen. Abgesehen davon ist es in allen Redaktionen der ARD erklärtes Ziel, Meldungen auf den Grund zu gehen. Und wenn es dabei zu Missverständnissen kommen sollte – Sie spielen sicher auf die „Plusminus“-Sendung von Januar 2017 an, in der es um die Hygiene in Krankenhäusern ging –, dann reagieren wir sofort: Stellen richtig und recherchieren weiter, bis wir Gewissheit für uns und damit für unser Publikum haben. HCM: Das Erste ist aber auch federführend beispielsweise bei Programmschwerpunkten, wie erst im Mai zu „Gefährliche Medikamente“. Was können solch kompakte Themenabende gesellschaftlich bewirken? Herres: Diese Themenabende können hoffentlich eine gesellschaftliche Debatte auslösen, die in die Politik und Justiz hineinwirkt. Dies ist schon einmal gelungen mit Daniel Harrichs Themenabend über deutsche Waffenexporte. Er gab den Anstoß für eine „Aktuelle Stunde“ im Bundestag und ermöglichte die Wiederaufnahmen der Ermittlungen durch die Bundesanwaltschaft. Unser Mai-Themenabend über „Gefährliche Medikamente“ zeichnete – basierend auf geheim gehaltenen Dokumenten und Aussagen von sogenannten Whistleblowern – das Bild einer oft skrupellosen Branche. Und natürlich hoffen wir, sowohl mit dem Film wie auch mit der begleitenden Dokumentation öffentliche Debatten auszulösen, die letztlich dazu beitragen, eklatante Missstände zu beseitigen. HCM: Ebenso gelang der ARD gerade mit dem historischen Mehrteiler „Charité“ ein grandioser Erfolg. Welches Potenzial sehen Sie für medizinische Themen im fiktionalen Bereich? Herres: Medizinische Themen interessieren ein großes Publikum. Das sehen Sie schon allein an unserer wöchentlichen Serie „In aller Freundschaft“, die seit Oktober 1998 Woche für Woche immer dienstags um 21.00 Uhr mit großem Erfolg im Ersten läuft, wie die daraus entwickelte, beliebte Serie für den Vorabend „In aller Freundschaft – Die jungen Ärzte“. Oder an unserer anderen Vorabendserie „Familie Dr. Kleist“. Eine zweite Staffel von „Charité“ haben wir ebenfalls schon in Planung. Derzeit wird an den Büchern gearbeitet: Die Fortsetzung wird in der Zeit des Nationalsozialismus spielen. Es wird also auch um Aufarbeitung der Medizinverbrechen der Nazis gehen. Damals arbeitete Ferdinand Sauerbruch, einer der bedeutendsten Chirurgen des 20. Jahrhunderts, an der Charité. Sauerbruch war zunächst bekennender Nationalsozialist, protestierte aber dann entschieden gegen das NS-Euthanasie-Programm. In diesem historischen Spektrum wird sich der Inhalt der zweiten Staffel „Charité“ bewegen. Und mit dem Film „Atempause“ erzählen wir am 14. Juni 2017 um 20.15 Uhr – im Rahmen unserer diesjährigen Themenwoche, die der Frage „Woran glaubst du?“ nachgeht –, eine dramatische Geschichte, die sich auf einer Kinderintensivstation abspielt. Die Fragen stellte Carolina Heske.

Interview mit ARD-Programmdirektor Volker Herres „Investigativer Journalismus als Dienst am Verbraucher“

Reimbursement im Überblick

Digitale Gesundheit von A bis Z

Newsletter-Anmeldung