Digitalisierung und Patientensicherheit
Alle Patientendaten in einer digitalen Akte – automatisch und ohne händisches Erfassen von Vitalparametern. Dr. Rolf Lamberts, Leitender Oberarzt der Intensivstation der Kreisklinik Groß-Gerau, erklärt die Vorteile eines PDMS, was Kliniken bei Einführung erwartet und welches neue Feature die Covid-Forschung unterstützt.

Die überwiegende Mehrheit der Krankenhäuser nutzt noch immer analoge Patientenakten. Da ist es kein Wunder, dass medizinisches Personal Herzklopfen bekommt, wenn ihr Haus ein Patientenmanagement-System (PDMS) einführt oder aktualisiert. Doch einige Ärzte entscheiden sich sogar ganz bewusst für Kliniken, die mit entsprechenden Systemen arbeiten.
Die Kreisklinik Groß-Gerau verwendet ein solches System bereits seit zehn Jahren und hat nun mit einem Update auf den technisch modernsten Stand nachgebessert. Konkret handelt es sich um das System „Integrated Care Manager“ von Dräger, welches auf der Intensivstation eingesetzt wird. Das Programm überträgt automatisch alle am Patienten gemessenen Daten in eine elektronische Akte. Dies ist v.a. bei der hohen Datenmenge einer Intensivstation von Relevanz. So werden neben Vitalzeichen und Laborwerten beispielsweise auch andere Daten, die von angebundenen Beatmungsgeräten oder erweiterter Hämodynamikmessung stammen, eingespeist. Die Vorteile zur analogen, händischen Dokumentation sind vielfältig:
- Lückenlose Datenerfassung: Das PDMS dokumentiert minutiös sämtliche der zu messenden Patientendaten. Zum Vergleich: Ohne PDMS würden diese Daten regelmäßig nur einmal die Stunde notiert. Diese lückenlose Datenerfassung ermöglicht eine präzise Analyse von Symptomen und Diagnose von Krankheitsbildern, da jedes medizinische Ereignis (beispielsweise der Anstieg der Herzfrequenz, der Abfall von Blutdruck, etc.) genau nachverfolgt werden kann.
- Höhere Patientensicherheit: Mit einer lückenlosen Datenerfassung steigt notwendigerweise auch die Patientensicherheit, da Krankheiten mitunter schneller erkannt oder Behandlungen schneller angepasst werden können. Die Patientensicherheit steigt durch den Einsatz eines PDMS auch noch aus einem anderen Grund – und zwar die Vermeidung der Fehleranfälligkeit menschlichen Handelns: Bei der Abschrift von Messergebnissen kommt es zu Zahlendrehern, beim Schichtwechsel kann die Handschrift des vorherigen Kollegen nicht entziffert werden, beim Eintragen von Medikamenten wird das Komma an der falschen Dezimalstelle gesetzt oder ganz weggelassen. Solche Fehler sind ebenso häufig wie menschlich, können jedoch massive Auswirkungen auf die Behandlung des Patienten haben. Durch ein PDMS hingegen kann genau kontrolliert werden, wer zu welcher Zeit welchen Schritt ausgeführt.
- Geringere Mitarbeiterbelastung: Eine Pflegekraft, die nicht einen Großteil ihrer Zeit mit dem Aufschreiben von Patientendaten verbringt, hat mehr Zeit für die Arbeit am Patienten. Das entlastet nicht nur die medizinischen Mitarbeiter enorm, sondern kommt im Endeffekt auch dem Patienten zugute. Hinzu kommt, dass das PDMS auch dazu imstande ist, stationsübergreifende Standards festzusetzen und zu verknüpfen. Konkret bedeutet dies, dass für viele denkbare Szenarien Tipps, Erfahrungen sowie Handlungsleitfäden hinterlegt werden können, die dem behandelnden Arzt angezeigt werden, wenn entsprechende Daten vom System erhoben wurden. Auch die Erstellung des Arztbriefes wird deutlich erleichtert.
- Erleichterte Übergabe an andere Abteilungen: Die gesteigerte Übersichtlichkeit der medizinischen Daten führt auch dazu, dass Patienten reibungsloser an andere Abteilungen übergeben werden können. So kann beispielsweise Patient X, dem es nach einem mehrtägigen Aufenthalt auf der Intensivstation besser geht, ohne großen kommunikativen und logistischen Aufwand zur weiteren Rehabilitation der Abteilung für Innere Medizin übergeben werden. Wo vielerorts noch die händische Übergabe der Papierakte, ein umfassendes Briefing und ein immerwährendes Nachhaken bei Unstimmigkeiten und Unleserlichkeit der Akte vonnöten ist, genügt durch ein PDMS das elektronische Übermitteln der Patientenakte, z.B. Informationen zum Kostaufbau, welche Medikamente in der Folge genommen oder nicht genommen werden sollen oder welche Physiotherapie notwendig ist.
- Verbesserte Zusammenarbeit mit Haus- und Fachärzten: Was für die Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen innerhalb des Krankenhauses gilt, gilt in diesem Zusammenhang selbstverständlich auch für die Zusammenarbeit mit Externen. Eine nicht zu unterschätzende Funktion des PDMS ist der elektronisch erstellbare Arztbrief. Das Dokument zieht sich durch die relevanten voreingestellten Felder automatisch die Informationen aus dem System und trägt sie vollständig an der vorgesehenen Stelle ein. Für den nach dem Krankenhausaufenthalt behandelnden Arzt ist somit sofort ersichtlich, welche Medikamente der Patient während des Aufenthalts erhalten hat und welche Behandlungen durchgeführt worden sind. Auf dieser Grundlage kann der Haus- oder Facharzt die geeignete Anschluss-Therapie erstellen.
Datenstatistiken aus PDMS verbessern Forschung
Die aufgeführten Vorteile des PDMS sorgen dafür, dass die Kreisklinik mit einer hochmodernen Patientenbetreuung aufwarten kann. Und durch das Update kommen weitere nützliche Anwendungen hinzu. Ein großes Plus ist beispielsweise die Statistikfunktion zur Datenauswertung, die insbesondere auch zur Bewältigung der Corona-Pandemie zum Einsatz kommt. Denn durch genaue Patientenstatistiken über Beatmungsstunden, Art der Medikamentation und Häufigkeit bestimmter zusätzlich auftretender Symptome oder Krankheitsbilder kann viel über das Virus gelernt werden – wovon spätere Fälle oder auch Long-Covid-Patienten profitieren.
PDMS einführen: Mit diesen Kosten müssen Kliniken
Einer der Gründe, warum Patientenmanagement-Systeme in deutschen Krankenhäusern häufig noch nicht zur Anwendung finden, sind sicherlich die nicht unerheblichen Kosten. Trotz des neuen Krankenhauszukunftsfonds, der digitale Klinik-Projekte unterstützt, sind die Ausgaben erst einmal hoch. Grund ist, dass sich der Preis für die Neueingliederung eines PDMS pro Patientenbett berechnet. Grundsätzlich kann pro Bett mit einer technischen Investition von ca. 10.000 Euro gerechnet werden. Hinzu kommen Personalkosten: Man braucht für die Konfigurierung, die Vernetzung und Schulung eines solchen Systems ein engagiertes Team aus Klinikern und IT, das zumindest in der Aufbauphase ein hohes Maß an Freistellung von der Regelarbeit benötigt.
Intensivmedizin der Zukunft – nur mit PDMS
Ein Faktor, der insbesondere kleinen und ländlichen Häusern, wie der Kreisklinik, zugute kommt: Während Grundversorger vergleichsweise wenig Intensivbetten (zur Veranschaulichung: die Kreisklinik hat acht Intensivbetten) ausstatten können, belaufen sich die Kosten für einen Maximalversorger mit über 40 Intensivbetten schnell auf eine halbe Millionen Euro. Auch trägt sich eine derartige Investition bei einem kleinen Haus schneller, denn durch die geschlossenen Dokumentationslücken kommt es zu weniger Erlöseinbußen. Das liegt auch daran, dass Ärzte am Ende weniger Zeit für die Administration aufwenden müssen und mehr Zeit für die Arbeit am Patienten bleibt. Mittelfristig führt aber v.a. in der Intensivmedizin an einem PDMS kein Weg vorbei.
Autor Dr. Rolf Lamberts ist Leitender Oberarzt der Intensivstation an der Kreisklinik Groß-Gerau.