Droht ein Kahlschlag der bayerischen Krankenhauslandschaft? Darauf deuten die Ergebnisse eines Gutachtens, das Klaus Holetschek (CSU) in Auftrag gegeben hat. Der Landesgesundheitsminister denkt nun über den Gang nach Karlsruhe nach. HCM sprach mit den Analysten über Fakten und Hintergründe: der Chief Operating Officer des Software- und Beratungsunternehmens BinDoc, Maximilian Schmid, im Interview.

Herr Schmid, welchen Ansatz haben denn Ihre Analysen?
Maximilian Schmid: Die wesentlichen Erkenntnisse des Gutachtens ergeben sich aus der Bewertung der Versorgungslandschaft im Kontext der Einwohnerzahl und der Fläche. Im Hinblick auf die Einwohner liegt die Versorgungsdichte im Freistaat bislang im bundesweiten Durchschnitt. Der große Unterschied besteht darin, dass Bayern im Vergleich zu anderen Bundesländern, nicht nur den Stadtstaaten, die Fläche um ein Vielfaches überschreitet.
Wie sehen die Folgerungen aus?
Schmid: Die Verteilung der Krankenhäuser in der Fläche führt in Bayern zu dem Dilemma, dass die Adaption des Regierungskonzeptes nur sehr schwer realisierbar ist: Eine flächendeckende und bedarfsgerechte Versorgung, die ja das eigentliche Ziel des Reformvorschlags darstellt, lässt sich mit dem Konzept nicht abbilden. Dies wird deutlich, wenn man sich die Anzahl und Verteilung der Häuser je Planungsregion bzw. Regierungsbezirk mit dem Versorgungslevel II ansieht – also die früheren Schwerpunkt- und Zentralversorger.
Welche Problematik verbirgt sich dahinter?
Schmid: Der Versorgungsbedarf in Bayern wird derzeit noch über eine Vielzahl von Fachkliniken abgedeckt, Diese Versorgungsform ist im Freistaat gegenüber anderen Bundesländern überrepräsentiert. Hierzu zählen insbesondere psychiatrische Kliniken sowie orthopädische und kardiologische Fachkliniken. Das Problem entsteht durch die starre Zuordnung von Leistungsgruppen zu Versorgungsleveln laut dem Reformvorschlag. Krankenhäuser mit Versorgungslevel 1n sowie Fachkliniken qualifizieren sich laut dem Reformkonzept für nur sehr wenige ausgewählte Leistungsgruppen. Von 128 möglichen Leistungsgruppen entfallen allein 74 auf Häuser mit Versorgungslevel II oder höher.
Organisiert ein Bundesland die Versorgungslandschaft im Status quo also über relativ viele Leistungserbringer mit Versorgungslevel 1n oder Fachkliniken und wenige Häuser des Versorgungslevels II, so kann in der Fläche ein Versorgungsdefizit resultieren. Das ist das Kernproblem, das unsere Analysen ergeben haben.
Welche Leistungsbereiche haben Sie analysiert?
Schmid: Im Detail untersucht haben wir den Leistungsbereich der Intensivmedizin, der sich konkret in drei Leistungsgruppen unterteilt Dies ist der einzige Leistungsbereich, den die Regierungskommission bislang unter Vorbehalt definiert hat. Die weitere Ausgestaltung der Leistungsgruppen soll ja künftig im Rahmen der Bund-Länder-Konferenzen ausdiskutiert werden.
Bei der Intensivmedizin zeigt sich, dass ein enormes Versorgungsdefizit dadurch entsteht, dass Krankenhäuser, die im Status quo sehr stark an diesem Leistungsbereich partizipieren, sich hierfür künftig aufgrund der starren Level-Zuordnung nicht mehr qualifizieren würden. So dürfen beispielsweise Krankenhäuser mit künftigem Versorgungslevel 1n oder Fachkliniken nicht mehr an der Leistungsgruppe der erweiterten Intensivmedizin (Stufe 2) partizipieren. Diese beiden Einrichtungsformen waren jedoch im letzten Berichtsjahr im Freistaat kumuliert noch für 33 Prozent dieser Leistungen verantwortlich. Ein Drittel aller Leistungen müsste somit durch andere Kliniken kompensiert werden – was insbesondere die Frage nach der Erreichbarkeit mit sich bringt.
Sind diese Konsequenzen nur für Bayern relevant?
Schmid: In einer ähnlichen Situation ist Baden-Württemberg zu sehen. Dort ist die politische Lage jedoch anders. In den neuen Bundesländern hingegen funktioniert die Versorgung aufgrund der gewachsenen Strukturen aus der Planwirtschaft schon weitgehend so, wie es sich die Bundespolitik wünscht. Thüringen und Sachsen bieten hier gute Beispiele: Magnetkrankenhäuser wie etwa in Chemnitz, Leipzig und Bad Berka nehmen den Versorgungsauftrag bereits sehr überregional wahr.
Was bringt der Realitäts-Check denn zwischen den Zeilen mit sich?
Schmid: Die Regierungskommission hat sich keinen Gefallen damit getan, einen Vorschlag vorzulegen, dessen Auswirkungen sie nicht vorab analysiert hat. Der klare Vorwurf gegenüber dem BMG lautet, die Konsequenzen nicht überprüft zu haben. Inwieweit das Vorpreschen gegebenenfalls einem strategischen Kalkül entspricht, mag ich nicht beurteilen: Erst eine Handlungsgrundlage liefern, dann Zugeständnisse einräumen? Das ist jedenfalls Wasser auf die Mühlen der Kritiker, die vor diesem Hintergrund eventuell Verhandlungen und Kompromisse verweigern. Dass Akteure aus dem Umfeld der Kommission Analysen durchführen und Defizite ihres Kommissionspapiers aufzeigen, dient ebenso wenig der Schaffung von Vertrauen. Die Ergebnisse aus der DKG-Analyse und dem BinDoc-Gutachten zeigen im Kern übrigens das gleiche – dass der Reformvorschlag angepasst werden muss.
Welche weiteren Hinweise haben Sie für die Leistungserbringer?
Schmid: Alle Krankenhausgesellschaften und Länderministerien fokussieren zurzeit die Versorgungsstrukturen und Krankenhausplanung. Was dabei droht, unter den Tisch zu fallen, ist das Thema der Vergütung. Sie steht im Mittelpunkt der dritten Empfehlung der Kommission. Die Veränderung der Finanzierung zielt auf eine Reform der DRGs, auf Vorhaltepauschalen und mehr ab.
Entscheidungsträger, mit denen wir sprechen, fragen sich: Wo sind die Hybrid-DRGs platziert, die Tagespauschalen, der neue AOP-Katalog? Konsequenzen hieraus können noch viel gravierender sein als die künftigen Leistungsmöglichkeiten für die Häuser. Der Refinanzierungsrahmen muss stimmen! Die Bundespolitik hat sich auch für die Reform der Vergütung einen engen Terminrahmen auferlegt. Hier gilt keine Länderzuständigkeit. In einer Zeit, in der die meisten Krankenhäuser negative Ergebnisse schreiben, hat das eine zentrale Bedeutung!
Die Argumentation aus dem BMG lautet – die Reaktion aus den Ländern und Verbänden ist Panikmache. Wie lautet Ihre Einschätzung?
Schmid: Das Reformpapier soll einem unkontrollierten Kliniksterben entgegenwirken, sagt Lauterbach. „Wir verhindern mit dem Reformpapier eine Insolvenzwelle.“ Tatsache ist: Eine rasche Klärung insbesondere bei der Finanzierung muss her, sonst sterben die Häuser doch.
Und: Niemand weiß, was ein Umbau laut Konzept kosten würde. Die Schätzungen liegen zwischen 60, 80 oder 100 Milliarden. Ich nenne ein Beispiel: Das Krankenhaus Memmingen würde von der bisherigen Versorgungsstufe 2 künftig auf Versorgungslevel III eingestuft. Durch den Effekt von einem zu kompensierendem Versorgungsbedarf, der durch die Herabstufung anderer Leistungserbringer resultiert, bedeutet dies ein Mehr an Leistungen, die Infrastruktur usw. erfordern. Diese Investitionen müssen bezahlt werden.
Bitte Ihr Fazit zum Thema Reformfinanzierung?
Schmid: Wer zahlt, entscheidet. Länder sollen für den Umbau zahlen, ohne zu entscheiden. Das wird nur schwer vermittelbar sein.
Das Interview führte Michael Reiter.