Engpassmanagement bei Arzneimitteln und teure Medikamente Glücksspiel ums Leben

Der Schweizer Pharmahersteller Novartis verlost aktuell das Arzneimittel Zolgensma®, das zur Behandlung der spinalen Muskelatrophie (SMA) eingesetzt wird. Die deutschen Behörden erlauben die umstrittene Gentherapieverlosung.Ein Arzneimittel dient der Heilung. Erkrankungen sollen verhütet und die Diagnostik unterstützt werden. Seit 1961 ist das Arzneimittelgesetz in Deutschland schriftlich erfasst und geregelt. Hierin wird das Arzneimittel definiert, die Anforderungen beschrieben, Herstellungsbedingungen dargestellt, Zulassungsbedingungen aufgezeigt und die Abgabe von Arzneimitteln demonstriert. Der Schutz des Menschen ist durch die Richtlinien zu Wirksamkeit, Sicherung und Qualitätskontrolle festgelegt. Auswertungen von Risiken, Überwachung und Haftung für Arzneimittelschäden wurden 2019 überarbeitet. Das Arzneimittel Zolgensma® ist bisher ausschließlich in Amerika zugelassen (Mai 2019). Novartis verlost aktuell dieses Arzneimittel, das zur Behandlung der spinalen Muskelatrophie eingesetzt werden soll. Kinder mit spinaler Muskelatrophie Spinale Muskelatrophie (SMA) ist die häufigste erbliche Erkrankung mit Todesfolge im Säuglingsalter (Bowerman 2017). Zu den Symptomen gehören die Lähmung der Muskulatur bis hin zur Atemmuskulatur. Das Schlucken kann erschwert sein. Orthopädische und kardiologische Auffälligkeiten sind möglich. Diese Erkrankung wird größtenteils autosomal rezessiv vererbt (Walter & Thiele 2020). Das heißt, dass die Erkrankung dann auftritt, wenn beide Elternteile eine pathogene Genveränderung an ihr Kind weitergeben. Sie selber müssen nicht erkrankt sein. Somit überspringt die Erkrankung Generationen. Nur wenn Mutter und Vater ein krankhaftes NPHG-Gen vererben, wird ihr Kind an SMA erkranken. Verfügt lediglich ein Elternteil über diese pathogenetische Genveränderung, liegt das Risiko an SMA zu erkranken für das Kind bei 25 Prozent (König 2020). SMA kann in vier unterschiedlichen Typen vorkommen. Jeder Typ dieser Erkrankung ist nach seinem jeweiligen Entdecker benannt. Keine dieser Formen ist bis heute heilbar. Beim SAM Typ I (Werdnig-Hoffmann) sind Säuglinge noch vor dem 6. Lebensmonat von einer generalisierten Muskelschwäche (am ganzen Körper) betroffen. Bei einem von weltweit von 10.000 Neugeborenen tritt die Erkrankung auf. Die Kinder weisen eine schwere Bewegungsunfähigkeit auf. Sie können nicht selbstständig sitzen oder andere motorische Fähigkeiten erlangen. Vor dem 2. Lebensjahr kommt es häufig zu Lungenversagen und dem damit eintretenden Tod (Kolb & Kissel 2015) Ursächlich für das Verkümmern der Nervenzellen ist, dass ein wichtiges Eiweiß nicht in ausreichender Menge gebildet wird. Somit können die Informationen des zentralen Nervensystems (ZNS) nicht an die Muskulatur weitergeleitet werden. 2017 wurde in Deutschland erstmals ein Medikament zugelassen, das diesen Eiweißmangel teilweise ausgleicht (Matzik 2016). Verlosung einer Behandlung mit dem Medikament Zolgensma®Novartis verlost nun das zwei Millionen Euro teure Medikament, das einmalig verabreicht wird und als Gentherapie greifen soll. Die vollständige Wirksamkeit gilt bisher als noch nicht absolut bewiesen (Gurris 2020). 100 austherapierte, an SMA erkrankte Kinder können durch die Bewerbung ihrer Eltern an der Verlosung teilnehmen und laut Herstellerangaben von der Erkrankung geheilt werden. Das Paul-Ehrlich-Institut in Langen, das für die potenzielle Gabe des Medikamentes in Deutschland zuständig ist, erkennt die Härtefallproblematik. Die Verabreichung des Medikamentes wäre bei einem Losgewinn in Deutschland laut Institut zugelassen. Ethische ProblematikFür die Familien ist es sicherlich am meisten belastend, für ihr Kind entscheiden und ertragen zu müssen, ggf. keinen Losgewinn zu erleben. Sie sind der Situation ausgeliefert. Durch Zahlung der Kosten durch die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) wurden in Härtefallregelungen Betroffene in Einzelfällen behandelt. Aktuell wächst der Druck auf Politik und Bundesausschüsse. Zulassungsverfahren und Margen werden diskutiert. Ein neuer Trend zeichnet sich deutlich ab. Ein Trend, der sich abzeichnetPharmakonzerne konzentrieren sich zunehmend auf Nischenmärkte, so dass nicht wie zuvor große Nutzergruppen im Fokus stehen, sondern Gewinne durch sehr teure Medikamente angestrebt werden. Hier fehlen die rational nachvollziehbare Kostenkalkulation und ihre transparente Darstellung. Die Preise eines Medikamentes entstehen durch die sehr hohen Entwicklungskosten. Schätzungen zufolge liegen diese bei 2,7 Milliarden Dollar je Präparat. Dieser Prozess dauert bis zu 15 Jahre pro Medikament. Nur eins von zehn entwickelten und getesteten Präparaten wird letztendlich zugelassen. Die Kosten für die neun nicht zugelassenen Medikamente trägt der Pharmakonzern. Der Patentschutz für das zugelassene Präparat liegt bei 20 Jahren (Generikum, geschützt durch das Symbol ®). In dieser Zeit muss das Unternehmen die Entwicklungskosten für zugelassene und auch für nicht zugelassene Präparate erwirtschaften und somit liquide bleiben, um auch zukünftig forschen zu können. Nach dieser Zeit kann jedes andere Pharmaunternehmen das Medikament „nachbauen“, ohne selbst entwickelt und in die Entwicklung investiert zu haben. Ab diesem Zeitpunkt bestimmen Angebot und Nachfrage als Wirtschaftsprinzip den Preis für das jeweilige Medikament (Beispiel: Bepanthen® und Panthenol). Der Trend im Rahmen der pharmazeutischen Forschung entwickelt sich zunehmend hin zu einer individualisierten Medizin, die seltener auftretende Erkrankungen fokussiert. Die Entwicklung eines zugelassenen Präparates ist aufwendiger. In Amerika hat Novartis den Krankenkassen Ratenzahlungen angeboten. Noch 2020 soll Zolgensma® in Deutschland zugelassen werden, so dass dann auch die GKV den Umgang mit dieser Perspektive diskutieren muss. Ein Jahr lang kann Novartis den Preis für das durch sie entwickelte Medikament selbst bestimmen, danach prüft das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) den Zusatznutzen für Patienten und die damit verbundenen Kosten. Die Vergleichskosten für das bereits zugelassene Medikament zur Behandlung von spinaler Muskelatrophie (Spinraza®) liegen bei vier Millionen US-Dollar für einen Behandlungszeitraum von zehn Jahren. Das Medikament wird alle vier Monate ins Rückenmark injiziert. Das ist eine sehr belastende Verabreichungsform für das von SAM Typ I betroffene Kind und seine Eltern. Bei dieser Behandlungsform besteht keine Heilungschance. Vorliegende Studienergebnisse über die Behandlung von spinaler Muskelatrophie zeigen auf, dass der frühzeitige Einsatz adäquater Präparate nach gesicherter Diagnose im präsymptomatischen Zustand die Entwicklung des Kindes deutlich verändert (König 2017). FazitDie Debatte um die Zulassung neuer Wirkstoffe und damit verbundene sowie gerechtfertigte Preise für den medizinischen Fortschritt der Individualmedizin hat gerade erst begonnen. Vorschläge für bessere Alternativen fehlen aktuell. Um mehr Dosen des Medikamentes Zolgensma® herzustellen, müssen Kosten, Nutzen und Ethik diskutiert werden. Eine transparente und rational nachvollziehbare Preispolitik muss politisch gelenkt werden. Die dadurch entstehende Kostenkalkulation muss kommuniziert werden. Mittelpunkt aller Diskussionen ist aktuell das jeweilige an spinaler Muskelatrophie erkrankte Kind, seine Familie und seine Chance auf ein gesundes Leben.

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