Kritik reißt nicht ab GKV-Finanzstabilisierungsgesetz: Referentenentwurf „völlig ungeeignet“

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Die GKV steht vor einer Milliardenlücke, das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat reagiert. Doch der aktuelle Referentenentwurf zum GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) steht massiv in der Kritik. Es fehle nicht nur an Nachhaltigkeit, sondern auch an Gerechtigkeit.

Protest GKV-Finanzen
Lauterbachs Vorhaben für die GKV-Finanzen ernten viel Kritik. – © Pineapple studio (stock.adobe.com)

Fakt ist: Der Finanzbedarf der GKV steigt im kommenden Jahr. Die Rede ist von 17 Milliarden Euro, nach Einschätzung des IGES Institutes sind es sogar 19 Milliarden Euro – in der Basisberechnung. 2024 seien es dann 25 Milliarden, 2025 30 Milliarden. Die Entwicklung ist laut IGES dynamisch zu betrachten und auch abhängig von Faktoren wie der Pandemieentwicklung aber auch dem Krieg in der Ukraine.

Am BMG hat man Ende Juni 2022 reagiert und einen Referentenentwurf für ein Gesetz zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-FinStG) vorgelegt. Darin heißt es, man wolle den Anstieg der Zusatzbeitragssätze ab dem Jahr 2023 und damit verbundene finanzielle Belastungen der Beitragszahlenden „mit einem Maßnahmenpaket begrenzen“. Das Vorhaben sei, die Belastungen auf die Schultern der Steuerzahlenden, der Krankenkassen, der Leistungserbringer und den Beitragszahlenden zu verteilen.

Geplante Maßnahmen des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes im Überblick

Der Bund selbst wolle 2023 einen weiteren Zuschuss an den Gesundheitsfonds in Höhe von zwei Milliarden Euro leisten. Zudem gäbe es ein Darlehen des Bundes in Höhe von einer Milliarde an den Gesundheitsfonds. Außerdem will man die Finanzreserven der Krankenkassen angehen, „die abzüglich eines Freibetrages von zwei Milliarden Euro 0,2 Monatsausgaben überschreiten“ – und zwar anteilig in zwei Stufen. So gewonnene Mittel sollen dem Gesundheitsfonds zugeführt werden. Der Anstieg der sächlichen Verwaltungsausgaben der Kasse soll 2023 auf 3,0 Prozent gegenüber dem Vorjahr begrenzt und die Zuweisungen für diesen Bereich um 25 Millionen Euro gemindert werden. Was so abgeschöpft wird, soll ebenfalls dem Gesundheitsfonds zu Gute kommen.

Auch im Krankenhausbereich soll gespart werden: Ab 2024 sollen „nur noch die Pflegepersonalkosten qualifizierter Pflegekräfte, die in der unmittelbaren Patientenversorgung auf bettenführenden Stationen eingesetzt sind, im Pflegebudget berücksichtigt werden“.

Weitere Maßnahmen betreffen u.a. eine Stabilisierung der Arzneimittelausgaben der GKV. Das Preismoratorium soll über den 31. Dezember 2022 hinaus um weitere vier Jahre verlängert und der Apothekenabschlag für die Dauer von zwei Jahren auf zwei Euro erhöht werden. Für 2023 und 2024 wolle man zudem eine Solidaritätsabgabe von pharmazeutischen Unternehmen erheben.

GKV-Finanzstabilisierungsgesetz: Chance vertan?

Kritik erntet das BMG dafür von so gut wie allen Seiten. Insgesamt wird zwar begrüßt, dass die GKV-Finanzstabilisierung angegangen wird, die Maßnahmen sind aber nach Ansicht vieler Akteure der Selbstverwaltung die falschen dafür. Der GKV-Spitzenverband sieht darin eine „vertane Chance“, die „kurzatmige Sonderfinanzierung zu beenden und zu einer soliden und nachhaltigen Finanzierung zu kommen“, heißt es in einem Pressestatement der Vorsitzenden des Verwaltungsrates des GKV-Spitzenverbandes, Uwe Klemens und Dr. Susanne Wagemann. Nach Ansicht der GKV handle es sich um eine „einseitige Belastung der Beitragszahlenden“, denn auch die Liquiditätsreserven im Gesundheitsfonds sowie auf Kassenseite stammten aus deren Portemonnaies. Zudem stelle die vorgesehene Abführung von vier Milliarden Euro aus den Kassenreserven „einen massiven Eingriff in die Finanzautonomie der selbst verwaltenden gesetzlichen Krankenversicherung dar“.

„Es sind v.a. die Beitragszahlenden, die mit ihren Reserven und höheren Beiträgen die Finanzlücke in der gesetzlichen Krankenversicherung schließen sollen. Diese Herangehensweise ist nur nicht gerecht, sie lässt auch jegliche Nachhaltigkeit vermissen.“

Dr. Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse (TK)

Gesetzentwurf zur GKV-Stabilisierung „völlig ungeeignet“

Der AOK-Bundesverband begrüßt die Ankündigung aus dem BMG, einen Expertenrat für Finanzierungslösungen in der GKV einzusetzen, denn den aktuellen Gesetzentwurf erachte man als „völlig ungeeignet, die strukturelle Milliardenlücke der GKV langfristig zu schließen“. Jens Martin Hoyer, Stellvertretender Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes, empfiehlt daher „Sachverstand zusammenzubringen, um tragfähige Lösungen von Dauer zu entwickeln.“ Aktuell sehe man im Entwurf „eine gravierende Ungerechtigkeit zulasten der Beitragszahlenden, die mehr als zwölf Milliarden Euro und damit mehr als zwei Drittel der Mittel aufbringen sollen“, um die Finanzlücke zu schließen.

Durch den geplanten Rücklagenabbau sieht man beim AOK-Bundesverband die Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Kassen als selbstverwaltende und autonome Körperschaften „massiv gefährdet“.

Pflegebudget-Eingriff gefährdet laut DKG 20.000 Stellen

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) befürchtet die Streichung von mindestens 20.000 Stellen, wenn ab 2024 tausende Mitarbeitende nicht mehr über das Pflegebudget finanziert werden können. Für diese ist der Gesetzentwurf ein „Schlag ins Gesicht“, klagt DKG-Vorstandsvorsitzender Dr. Gerald Gaß. „Zudem würde alles, worauf sich die Selbstverwaltung in schwierigen Verhandlungen mittlerweile geeinigt hat, über den Haufen geworfen.“

Unterstützung kommt aus der Regierungsopposition: Der Bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek mahnt, die Bundesregierung dürfe nicht bei der Pflege in Krankenhäusern sparen und drängt auf deutliche Korrekturen. Das Vorhaben hinsichtlich des Pflegebudgets führe laut Holetschek zu einer Verschärfung der Belastung der Pflegekräfte. Außerdem nehme es den Krankenhäusern die notwendige Flexibilität, durch geeignetes zusätzliches Personal die Pflege zu entlasten und spricht von einem „verheerenden Signal an die Pflege und die Motivation der Pflegekräfte“.

„Statt den Krankenhäusern vor dem kommenden Herbst und angesichts stetig steigender Preise in allen Bereichen, die sie nicht weitergeben können, finanzielle Sicherheit zu geben, tut das Ministerium genau das Gegenteil.“

Dr. Josef Düllings, VKD-Präsident

Ärzteschaft warnt vor Leistungskürzungen „durch die Hintertür“

Kritik kommt auch von der Bundesärztekammer (BÄK): „Gespart wird hier v.a. am politischen Gestaltungswillen der Verantwortlichen. Statt eines schlüssigen Gesamtkonzeptes (…), präsentiert die Politik nur Stückwerk“, sagt der BÄK-Präsident Dr. Klaus Reinhardt. Exemplarisch stehe dafür nach Ansicht der BÄK die ebenfalls geplante extrabudgetäre Vergütung für Neupatienten in Arztpraxen. Ursprünglich sei sie mit dem Ziel eingeführt worden, die Patientenversorgung zu sichern.

Gegenvorschläge zu den Maßnahmen im GKV-Finanzstabilisierungsgesetz

Nach Ansicht des AOK-Bundesverbandes könne man die Belastung der Beitragszahlenden vollständig vermeiden, indem der Bund u.a. auf der Einnahmeseite seiner Finanzierungsverantwortung für angemessene Krankenversicherungsbeiträge für ALGII-Beziehende nachkomme. Das sei auch im Koalitionsvertrag so vereinbart. Gleichermaßen gelte das für die „überhöhten Steuerabgaben auf Arzneimittel, von denen der Bundeshaushalt zu Lasten der Beitragszahlenden profitiere“.

Nach Ansicht der BÄK brauche es einen höheren Bundeszuschuss für die GKV. Sie fordert diesen in Höhe von fünf Milliarden Euro (statt geplanter zwei Milliarden) für den Gesundheitsfonds ein. Für die Folgejahre brauche es dann einen „regelhaft dynamisierten ausreichenden Bundeszuschuss“. Außerdem regt die BÄK die Einführung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf Arzneimittel an.

Auch der bayerische Gesundheitsminister Holetschek sieht einen höheren Bundeszuschuss als Nachbesserungsmöglichkeit. Bayern schlage zudem seit langem eine Erhöhung der Beiträge des Bundes für ALGII-Beziehende vor.

GKV-Finanzstabilisierungsgesetz

Der Referentenentwurf zum GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) steht auf der Website des BMG zum Download zur Verfügung.