Medizinische Innovationen Geschäftsfeld oder „Spielzeug“?

Medizinische Innovationen stehen hoch im Kurs. Doch welche sind für welches Krankenhaus wichtig und richtig? Und wie rechnen sich solche Investitionen langfristig – oder vielleicht gar nicht? Dr. Michael Wilke, Geschäftsführer der inspiring-health GmbH, weiß, was bei diesen Anschaffungen zu bedenken ist, wo Risiken und echte Fallen lauern.„Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen“ – so ein Zitat des Philosophen Aristoteles aus dem 4. Jahrhundert vor Christus. Eine Erkenntnis, die gut 2.000 Jahre später nichts an Aktualität eingebüßt hat. Etwa, wenn es in der Gesundheitswirtschaft um medizinische Innovationen geht: Niemand kann sie aufhalten, doch die Frage ist, wie mit ihnen sinnvoll umgegangen wird. Denn kaum ein Feld gilt als so zukunftsträchtig für bessere Behandlungsmedthoden und Heilungserfolge und steht zudem für die Arbeitserleichterung der Ärzte. Doch dieser Fortschritt hat seine Tücken. Zum Beispiel, weil er erst einmal bezahlt sein will, sich langfristig rechnen muss und idealerweise zu Erlösen führt. Der Berater Dr. Michael Wilke von inspiring-health, ursprünglich Chirurg, beobachtet den Trend. HCM: Herr Dr. Wilke, für wen sind medizinische Innovationen gedacht – primär für Patienten oder auch für Ärzte? Wilke: Der Treiber einer Innovation ist der Bedarf der Patienten. Jedoch muss man unterscheiden zwischen den sogenannten Schritt- und Sprung-Innovationen. Zu den Schritt-Innovationen zählen solche, die eine Verbesserung bringen. Ein Beispiel: Der Da-Vinci-OP-Roboter bringt eine typische Verbesserung für den Chirurgen, dem seine Arbeit erleichtert wird – jedoch tut er nichts anderes als zuvor, nämlich operieren. Hier geht es also um eine kontinuierliche Verbesserung eines bestehenden Verfahrens. Sprung-Innovationen sind die „echten“, z.B., wenn durch eine völlig neue COPD-Behandlungstechnik Patienten mit einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung geholfen werden kann, die zuvor durch andere Maßnahmen keine Chance mehr hatten. Beide Formen nützen Patienten und Ärzten. Denn wenn ich mich bei einer OP weniger anstrengen muss, habe ich natürlich auch als Mediziner etwas davon. HCM: An welchen Kriterien stelle ich fest, ob eine Anschaffung zu meinem Krankenhaus passt? Wilke: Ein Manager sollte zunächst überlegen: Kann ich es mir grundsätzlich leisten, tief in die Tasche zu greifen für eine Sache, die erst einmal mehr kostet? Damit einher geht die Frage nach dem Nutzen: Für welche Patienten eignet sich die Investition, wie viele davon habe ich schon bzw. welche zusätzlichen Kunden gibt es in der Region, die ich noch erreichen könnte? Wichtig hierzu ist auch der Punkt, ob bzw. wie so eine Investition über die Fallpauschalen abgebildet wird? Denn da gibt es durchaus interessante Finanzierungsmöglichkeiten, etwa für die „Neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB)“ – oder aber eben nicht. Ganz wichtig ist eh die Frage nach der Rentabilität über die Zeit, also nach dem sogenannten Return on Investment. Schließlich müssen die Ärzte auch mit diesen Innovationen umgehen können. Doch erfahrungsgemäß sind es sowieso am ehesten die Mediziner, die eine Innovation befördern wollen, solche Ideen kommen weniger aus dem Management. HCM: Werden bei solchen Überlegungen ausreichend Erfahrungsberichte zu Produkten herangezogen bzw. wie verhalte ich mich, wenn es gar keine gibt? Wilke: Wenn keine oder wenig medizinische Erkenntnisse vorliegen, sollte ich mich fragen, ob ich ein typischer „Eearly Adaptor“ bin oder eher nicht. „Normale“ Kliniken fangen daher meist erst einige Jahre nach Universitätskliniken mit der Einführung von Innovationen an. Anders verhält es sich bei Fachkrankenhäusern: Wenn ich z.B. auf Lungenheilkunde spezialisiert bin, Fachärzte und Experten beschäftige, kann es sehr sinnvoll sein, frühzeitig eine Innovation einzuführen. HCM: Wo liegen die größten Risiken – bei der (Gegen-)Finanzierung? Wilke: Ein finanzieller Verlust ist immer ungünstig, kann aber hausintern besprochen und geregelt werden. Das größte Risiko ist, dass Sie eine Innovation einführen, die sich im Alltag nicht bewährt. So etwas steht oft in der Zeitung, bringt einen Imageverlust und kann dazu führen, dass dem Haus mehr Schaden entsteht, als „die Sache wert war“. In der Reihenfolge spielt also erst einmal die Einführung der Innovation eine Rolle, dann folgt die Finanzierung, die sich eventuell erst über einen längeren Zeitraum auszahlt. HCM: Gibt es weitere Fallen, die zu beachten sind? Wilke: Im positiven Sinne: Mit Innovationen lässt sich Werbung machen, nach dem Motto: Tue Gutes und rede darüber. Wichtig ist, einweisende Haus- und Fachärzte in mein Krankenhaus einzuladen und sie über meine Neuerungen zu informieren, denn ich bin darauf angewiesen, dass die Kollegen die Patienten auch zu mir überweisen. Im schlimmsten Falle missglückt die eine Einführung, der Misserfolg wird in der Presse oder online breitgetreten und der Geschäftsführer verliert seinen Job. HCM: Ihr Fazit – sind medizinische Innovationen ein echtes Geschäftsfeld auch mit Erlösen oder eher „Spielzeug“? Wilke: Wer Innovationen in geordneten Verfahren einführt, kann sich mit der Zeit per „Innovationen mit Augenmaß“ einen guten Ruf erarbeiten und daraus tatsächlich ein Geschäftsfeld machen. Alles andere bliebe „Spielzeug“. HCM: Wohin wird der Trend gehen? Wilke: Ich glaube, dass wir zu einer Dreiteilung kommen. Vorneweg werden die forschungsnahen Häuser gehen, die frühzeitig Neuerungen testen – sie sind prädestiniert, innovative Entwicklungen erfolgreich zu befördern. Danach folgen die, die es verstehen, sich durch ein geschicktes Management und mit publizistischer Unterstützung am Markt zu positionieren. Übrig bleiben die Häuser, bei denen die „schwarze Null“ oberstes Gebot ist, die sich eher zurückhaltend und konservativ verhalten. Hier werden innovative Methoden eher nicht zur Anwendung kommen. HCM: Aber kann man auch mit konservativen Strategien überleben? Wilke: Sofern man seinem Versorgungsauftrag gerecht wird – ja. Das bedeutet jedoch: Schuster bleib bei deinen Leisten. Wenn solche Häuser mit Innovationen anfangen, laufen sie Gefahr, sich zu übernehmen. Die Fragen stellte Carolina Heske.

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