Covid-19-Behandlung: „Moerser Modell“ Geringere Mortalität, mehr Lebensqualität

Der Erfolg des Moerser Modells der Therapie von Covid-Pneumonien ist wissenschaftlich belegt – aber findet kaum Nachahmer. Einblicke in das erfolgversprechende Behandlungskonzept der nichtinvasiven Beatmung. Die Zahlen sprechen für sich: Die Mortalitätsrate liegt im Krankenhaus Bethanien in Moers deutlich niedriger als bei der Behandlung laut Leitlinien von WHO und der Intensivmediziner-Gesellschaft DIVI. Die entsprechende Evidenz ist in Medizin-Journals publiziert. Und doch: Das Moerser Modell der nichtinvasiven Beatmung von an Covid-Pneumonie Erkrankten findet kaum Nachahmer. Geschäftsführer Dr. Ralf Engels, ein Mediziner, hat eine Aufforderung an die Gesundheitspolitik. Personalintensive Einzelbetreuung statt invasive Beatmung Dr. Engels ist stolz darauf, dass seine engagierten Mitarbeitenden diese personalintensive Methode der Behandlung der Covid-Patienten über viele Monate durchgehalten haben. „Die Methode setzt nicht auf frühe invasive Beatmung, sondern auf nichtinvasive Einzelbetreuung. Die Schulung von Mitarbeitenden zählte zu den Herausforderungen, die unsere Teams gemeistert haben.“ Im Bethanien Krankenhaus hat man sich schon sehr lange mit Alternativen zur Intubation beschäftigt, erinnert sich Dr. Thomas Voshaar. „Unser Haus hat vor Jahrzehnten als ‚Keimzelle‘ die nichtinvasive Beatmung mitentwickelt. Bis zu 30 Patienten haben wir zeitgleich in der Lungenklinik nichtinvasiv beatmet – Fälle von COPD, Lungenemphysem, Lungenüberblähungen oder restriktiven Erkrankungen“, erklärt der Chefarzt der Klinik für Lungen- und Bronchialheilkunde. Die Teams sammelten viel Erfahrung und dokumentierten sie wissenschaftlich. „Wir haben Nachteile und Risiken der invasiven Beatmung klar belegt“, sagt Voshaar – „mit allen Begleitaspekten, also Intubination, maschinelle Beatmung, Sedierung – ins Koma legen.“ All dies habe zu einer Vielzahl an Komplikationen geführt. Dazu zählen Infektionen, Lungenschäden, Volutraumata und Barotraumata, Kreislaufprobleme und mehr. Er betont die Herausforderungen: „So vieles ist zu leisten, um einen intubierten Patienten zu stützen, der vor der Intubation noch spontan geatmet hat. Bei den Patienten, die überleben, weiß man von Folgeproblemen an der Muskulatur, von Critical-illness-Neuropathie oder -Myopathie sowie von kognitiven Störungen.“ Eine Vielzahl an wissenschaftlichen Veröffentlichungen zeige, dass Patienten nach einer Intubation nicht mehr dieselben Menschen sind. Die Konsequenzen im Kontext der Covid-19-Pneumonie Vor diesem Hintergrund suchten die Teams in Moers schon früh in der Pandemie nach Alternativen zur Intubation bei schwerer Covid-19-Pneumonie. „Wir hatten in der Anfangsphase gehört, dass in China bis zu 97 Prozent der strategisch früh intubierten Patienten nicht überlebten – eine unfassbare Zahl“, erinnert sich der Chefarzt. „Dann sahen wir Berichte von Kollegen aus New York … weinend vor der Kamera angesichts der Folgen der Intubation auf ihre Patienten, von denen rund 80 Prozent verstarben. Diese Mediziner zeigten Abwehr gegen die Leitlinien und Chefs, die den Einsatz der maschinellen Beatmung forderten.“ In den USA ist die schematisierte Medizin noch deutlicher ausgeprägt – auch zur Absicherung gegen Klagen. „In Moers haben wir diese Beobachtungen mit unseren eigenen Erfahrungen abgeglichen – etwa mit den Therapieergebnissen bei ähnlich gelagerten Influenza-Pneumonien“, sagt Voshaar, „und wir fällten die Entscheidung: Wir werden alles tun, um diese Menschen nicht zu intubieren.“ Dazu zählen Gabe von Sauerstoff, High-Flow, CPAP, NIV und Awake-Proning (Drehen der Patienten auf den Bauch). Überlastung der Häuser durch Intubation auf Intensivstation Neben den negativen Folgen für die Patientinnen und Patienten war klar: Mit der strategischen frühen Intubation geraten die Intensivstationen rasch an ihre Grenzen. Voshaar erklärt: „In Moers haben wir daher die Intensivstation von Covid-19-Patienten freigehalten; wir haben eine Spezialstation außerhalb der klassischen Intensivmedizin eingerichtet, um möglichst lange die gewohnte High-End-Medizin praktizieren zu können.“ Dafür bot sich das Schlaflabor mit seinen exzellenten Überwachungsmöglichkeiten an. Nicht nur lassen sich dort alle relevanten Vitalparameter monitoren, sondern es gibt auch eine Gegensprechanlage, die hilft, das Betreten der infektionsbelasteten Zimmer zu reduzieren. Hinzu kommt eine Videoanlage für die kontinuierliche Beobachtung. Der Chefarzt erklärt: „Das war und ist wichtiger für uns als die Parameter wie Sauerstoffsättigung oder Horovitz-Index. Wir betreiben holistische Medizin, mit Fokus auf die klinische Gestalt des Patienten!“ Den Ansatz unter den Medizinerkollegen vermitteln Eine Reihe Tutorials in verschiedenen Sprachen erstellten die Moerser Mediziner, um Kollegen auch in anderen Ländern ihre Herangehensweise zu erklären. Sie beschrieben die Pathophysiologie der Pneumonie, fügten Kasuistik hinzu und eine Veröffentlichung über ca. 78 Patienten gemeinsam mit einem weiteren Krankenhaus im European Respiratory Journal, unter Open Research. „Inzwischen stehen wir bei 400 Intensivfällen; und unsere Sterblichkeit liegt bei dieser Patientengruppe unter zehn Prozent. Selbst wenn wir unsere Patienten, die als schwerkrank und überwachungspflichtig definiert sind, mit den All Comers in anderen Kliniken vergleichen, so ist unsere Sterblichkeit immer noch deutlich niedriger“, betont Voshaar. „In jedem Fall ist die Sterblichkeit bei Therapie erheblich niedriger. Wir veröffentlichen diese Statistik regelmäßig online als Covid-Barometer.“ Die Moerser Routine im Detail Seinen Namen haben örtliche Medien dem holistischen, gesamtheitlichen Konzept gegeben, erläutert Dr. Patrick Stais. „Wir wollten zum einen die Patientenströme trennen und den normalen Krankenhausbetrieb möglichst lange aufrechterhalten – und nicht durch Covid-19-Fälle beeinträchtigen. Dies gelang uns durch das Schlaflabor. Die Mitarbeitenden dort, Beatmungstherapeuten und -innen, haben eine besondere Expertise in der Beatmungsmedizin“, berichtet der geschäftsführende Oberarzt für Lungen- und Bronchialheilkunde am Krankenhaus Bethanien. „Wir entschieden uns, das Schlaflabor umzuwidmen und die Kompetenz des Teams für Covid-Fälle einzusetzen. Allerdings waren die Anforderungen an das Personal anders: Im Schlaflabor arbeitet man v.a. nachts, weniger tagsüber. Wir benötigten daher weitere pflegerische Unterstützung – und fanden diese in mehreren Abteilungen, insbesondere jedoch in der benachbarten Station: der Nephrologie.“ So bildeten die Moerser zu Anfang der Pandemie neue Teams – aus Kolleginnen und Kollegen, die sich freiwillig meldeten. Sie stellten einen Kodex für den Umgang miteinander auf. Auch Patientinnen und Patienten bekamen Handlungsanweisungen zu den besonderen Abläufen inklusive Hygieneanweisungen in Form eines Flyers. „Auch setzen wir eine App ein, um mit den Patienten durch Messaging und Videosprechstunden Kontakt zu halten – schon während des stationären Aufenthaltes und besonders nach Entlassung“, beschreibt Stais. „Akzeptanz für unser Therapieangebot fanden wir in der Bevölkerung v.a. durch Vorträge und Seminare. Termine mit Vertretern der Politik haben uns sehr bestärkt und ein wenig stolz gemacht!“ Auch in wirtschaftlicher Hinsicht stößt das Moerser Modell Denkprozesse an: Es gibt trotz der Evidenz der Vorteile kaum Häuser, die es einsetzen. Dr. Engels vermutet folgende Ursachen: „Nach einem Jahr können wir sagen, dass diese Behandlungsmethode noch nicht auskömmlich ist – die DRGs entsprechen bei weitem nicht dem Einsatz.“ Auch wenn er den finanziellen Covid-Ausgleich begrüßt, findet der Geschäftsführer, dass finanzielle Anreize auch für andere Kliniken geschaffen werden sollten und so anstelle invasiver Apparatemedizin das sanftere Modell zur Anwendung gebracht werden sollte. Engels, Voshaar, Stais im Video-Interview Weitere Details über das Corona-Behandlungsmodell geben die drei Experten des Moerser Hauses im exklusiven Video-Interview. https://www.youtube.com/watch?v=bcYRLfsu3eE&list=PLeGkfyrb4wjEt0LL4BGNgktdlJPHhv0bt&index=3 https://www.youtube.com/watch?v=O96WNQ6g9p8&list=PLeGkfyrb4wjEt0LL4BGNgktdlJPHhv0bt&index=1 https://www.youtube.com/watch?v=YtzoBzHngtE&list=PLeGkfyrb4wjEt0LL4BGNgktdlJPHhv0bt&index=2

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