Pflegekräfte aus Bosnien Gekommen, um zu bleiben

Am Beispiel der Bosnierin Jelena Kurtinovic zeigte HCM in Ausgabe 1/2022, was nötig ist, damit internationale Pflegefachkräfte gut in Deutschland ankommen. In dieser Ausgabe geht es darum, wie die Integration dauerhaft gelingen kann. Die Bosnierin Jelena Kurtinovic möchte als Pflegekraft gerne in Deutschland bleiben. Ihr gelang vor Kurzem die Berufsanerkennung unter anderem mit Unterstützung der Hamburger Amesol Akademie. Intensivstation, Krankenhaus Groß-Sand im Hamburger Süden: Zwei Kissen werden gefaltet, eins kommt unter die Wirbelsäule des Patienten, das andere unter den Oberschenkel. Jelena Kurtinovic zeigt einer Auszubildenden die 30°-Lagerung. Gar nicht selbstverständlich, denn die eigentlich simplen Handgriffe sind auch für die erfahrenere Pflegefachkraft relativ neu. Im Dezember 2021 ist Kurtinovic aus Bosnien-Herzegowina nach Deutschland gekommen – auf Initiative ihrer Landsfrau Nevenka Ninkovic, die seit Langem im Wilhelmsburger Krankenhaus Groß-Sand in Hamburg tätig ist. Neben ihren Aufgaben als Hygienefachkraft rekrutiert sie für ihre Klinik Pflegekräfte in ihrer Heimat. „Die Ausbildung in Bosnien verläuft zwar anders, die Kolleginnen und Kollegen sind aber sehr gut qualifiziert. Vielen fehlt jedoch die Perspektive, in der Pflege ihren Weg zu gehen“, erzählt Ninkovic. Viel Neues – auch in der Pflege von Patienten Anders ausgebildet, aber sehr gut qualifiziert: Wer mit Jelena Kurtinovic arbeitet, würde das sofort unterschreiben. Die 22-Jährige hatte viereinhalb Ausbildungsjahre und weitere neun Monate Chirurgie-Erfahrung im Gepäck, als es sie nach Hamburg zog. Dort angekommen hieß es dennoch: lernen, lernen, lernen. Da war die neue Sprache, das andere Umfeld, ungekannte bürokratische Prozesse – und auch fachlich neue Herausforderungen. Der Pflegeberuf in Bosnien ist sehr medizinisch ausgerichtet, die Basispflege wird meist von Pflegehilfskräften oder Angehörigen übernommen. Doch Kurtinovic war für alles offen: „Ich fand es toll, zu lernen, wie sehr man das Wohlbefinden von Patienten schon mit kleinen Dingen verbessern kann.“ Gelernt hat sie nicht nur „by doing“, sondern auch in der Hamburger Amesol Akademie. Hier werden internationale Gesundheitsfachkräfte aus den Bereichen Pflege, Anästhesie- und Operationstechnische Assistenz (ATA/OTA) sowie Physiotherapie bei der Berufsanerkennung begleitet. Erwartungen vs. Realität? Vorbereitung ist alles Wie Jelena Kurtinovic geht es den meisten internationalen Pflegekräften: In Deutschland treffen sie auf einen veränderten Aufgabenbereich. Viele für sie gewohnte Tätigkeiten sind hier Ärzten vorbehalten. Aufgaben in der Basispflege sind hingegen den meisten neu. Um falsche Erwartungen zu vermeiden, setzt das Amesol-Team auf gute Vorbereitung. „Das Pflegeverständnis in Deutschland bzw. Unterschiede in den Berufsbildern sind schon in vorbereitenden Online-Kursen und dann nochmal in der Einführungswoche vor Ort zentrale Themen“, sagt Berufspädagogin Silke Helfrich. Doch nicht nur die internationalen Fachkräfte selbst, auch die aufnehmenden Teams sollten wissen, was auf sie zukommt. „Im sogenannten Team-Check-in fragen wir auf den Stationen nach bisherigen Integrationserfahrungen, gezielt auch nach erlebten Herausforderungen und Befürchtungen. Andere Ausbildungsinhalte und der erhöhte Unterstützungsbedarf internationaler Fachkräfte in hier selbstverständlichen Aufgaben kommen häufig zur Sprache“, sagt Helfrich. „Wir ermutigen dann dazu, primär darauf zu schauen, welche Kompetenzen jemand mitbringt, statt sie oder ihn daran zu messen, was noch nicht so gut funktioniert.“ Berufsanerkennung: Fachliche und persönliche „Learnings“ Bei Jelena Kurtinovic war es gerade ihr eher medizinischer Hintergrund, der ihr beim Start in Deutschland zugute kam. Zwar hatte sie noch keine Erfahrungen auf einer Intensivstation, viele dort anfallende Aufgaben waren ihr dennoch vertraut. Ihr Know-how hat auch ihr Team sofort registriert: „Damit hat sie sich schnell in unseren Abläufen und auch im Team zurechtgefunden“, erinnert sich Michael Simon, pflegerische Leitung der Intensivstation im Krankenhaus Groß-Sand. Und: „Was ihr noch fehlte, hat sie in kurzer Zeit aufgeholt.“ Neben den neuen fachlichen Inhalten berichtet Kurtinovic auch von persönlichen „Learnings“ aus dem Anerkennungsprozess. Für sie rückblickend das Wichtigste: „Wir Pflegekräfte müssen lernen, auf uns aufzupassen.“ Das bestätigt Melanie Schwarzbach, Psychologin in der Amesol Akademie. „Auf sich selbst zu achten, haben viele internationale Kolleginnen und Kollegen nicht gelernt. Ein Großteil stammt aus kollektivistisch geprägten Kulturen, wo die gemeinschaftlichen über den individuellen Interessen stehen. Entsprechend ist die Stärkung von Resilienz bzw. Empowerment unserer Trainees ein wichtiger Teil unseres Konzepts und in allen Workshops präsent.“ Ein Schwerpunkt ist dabei die Kommunikation. „In Deutschland kommunizieren wir sehr direkt – das ist für die meisten Teilnehmenden ungewohnt. Es ist also wichtig, dass sie lernen, bei Verständnisschwierigkeiten nachzufragen, Probleme anzusprechen und im Zweifel auch mal ‚nein‘ zu sagen“, sagt Schwarzbach. Denn nur so können Gesundheitsfachkräfte in ihren herausfordernden Berufen und dazu in neuer Umgebung dauerhaft auf stabilen Beinen stehen und ihre Teams nachhaltig verstärken. Die Bedeutung von Kommunikation betont auch Kurtinovic: Die offene Gesprächskultur auf ihrer Station sei ein Grund, warum sie sich hier so wohl und mittlerweile „zuhause“ fühlt. Nächstes Ziel: Fachweiterbildung Für die Bosnierin steht fest: Sie möchte in Deutschland bleiben. Dafür hat sie mit der Berufsanerkennung im September 2022 einen Meilenstein erreicht. Perspektivisch möchte sie die Fachweiterbildung zur Anästhesie- und Intensivpflegekraft absolvieren. Ihr Arbeitgeber steht hinter ihr. „Die personellen Anforderungen an Intensivstationen steigen stetig, der Wettbewerb um qualifizierte Fachkräfte entsprechend auch. Pflegefachkräfte, die motiviert sind und sich entwickeln wollen, sind gerade für uns als kleines Haus Gold wert“, sagt Stationsleiter Simon und Pflegemanagerin Tanja Rados ergänzt: „Die Gewinnung, Integration und Weiterbildung internationaler Fachkräfte ist zwar finanziell, personell und administrativ aufwendig, bei langfristiger Zusammenarbeit aber alle Mühen wert.“ Kontakt zur Autorin: Sarah Sieweke, Freie Journalistin, text@sarah-sieweke.de

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