Seit Inkrafttreten des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes im Juli 2015 muss ein Medizinisches Versorgungszentrum nicht mehr rein fachübergreifend sein. Dafür wurde in der MVZ-Definition des § 95 SGB V, Absatz 1, das Wort „fachübergreifend“ gestrichen. Damit war der Weg für zahnmedizinische MVZ (Z-MVZ) frei.
Dies stieß nicht überall auf Beifall. Die Vertreterversammlung der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) forderte, das Ganze rückgängig zu machen. Zahnärzte übten einen freien Beruf aus und seien eigenverantwortlich in sachlich-persönlicher Weisungsfreiheit tätig. Die „unkontrollierte Anzahl von angestellten Zahnärzten in einem MVZ sowie die Möglichkeit der GmbH-Bildung“ würden damit nicht übereinstimmen. Auch die Sorge, Finanzinvestoren könnten den Z-MVZ-Markt erobern, treibt den Berufsstand um. Dazu kommt, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn im Gesetzentwurf für Dialyseanbieter die Möglichkeit beenden möchte, fachfremde MVZ zu gründen. Nach Bekanntwerden dieser Pläne forderte die KZBV auch die Möglichkeiten für Kliniken, Z-MVZ zu betreiben, einzuschränken. Gemeinsam mit der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) haben sie einen Änderungsantrag zu § 95 Abs. 1a SGB V vorgelegt. Dieser sieht vor, dass sich Krankenhaus-MVZ nur noch an der vertragszahnärztlichen Versorgung beteiligen dürfen, wenn sie einen zahnärztlichen Versorgungsauftrag innehaben und wenn das entsprechende MVZ in einem unterversorgten Gebiet oder im zahnärztlichen Planungsbereich der Klinik liegt.
HCM sprach zu Z-MVZ mit Rechtsanwalt Jens Pätzold, dessen Kanzlei in den letzten drei Jahren die Gründung von gut 170 Z-MVZ juristisch begleitet hat.
HCM: Betrachten wir das Ganze aus Patientensicht. Macht es für ihn einen Unterschied, wo er sich behandelt lässt?
Pätzold: Für den Patienten gibt es bei der Behandlung in einem MVZ keinen Unterschied. Dies rührt schon daher, dass die meisten Z-MVZ aus bestehenden Gemeinschaftspraxen entstanden sind. Diese haben sich nur einen zulassungsrechtlich anderen Mantel übergestülpt. Der Patient kann ein MVZ daher kaum von einer herkömmlichen Gemeinschaftspraxis unterscheiden. In beiden arbeiten Zahnärzte innerhalb einer rechtlichen Gemeinschaft zusammen und treten nach außen als Einheit auf. Ein Unterschied ist nur auf einer Ebene feststellbar, die ein Patient nicht wahrnehmen kann.
HCM: Ziel der Gesetzesänderung war ja u.a. die Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung auf dem Land. Werden MVZ aber nicht meist im Umfeld strukturstarker Ballungsgebiete gegründet? Wird also nicht die dort ohnehin schon bestehende Überversorgung verstärkt und die Tendenz zur Unterversorgung auf dem Land noch intensiviert?
Pätzold: Die von uns gegründeten MVZ sind nur zu einem geringen Teil in Ballungsgebieten angesiedelt. Der Großteil ist in ländlichen Regionen und mittelgroßen Städten vorzufinden. Einer Konzentration auf Ballungszentren gibt es unserer Erfahrung nicht.
Es wird auch immer wieder behauptet, dass MVZ sich in Ballungszentren „gründen“ würden. Fakt ist, dass sie sich meist nicht neu gründen. Es handelt sich vielmehr um bestehende Praxen, die sich nun einer anderen zulassungsrechtlichen Form bedienen. Durch die Z-MVZ hat sich also an der Versorgungslandschaft bisher nahezu nichts verändert.
HCM: Wie viele der von Ihrer Kanzlei in den letzten Jahren gegründeten bzw. von einer Berufsausübungsgemeinschaft in ein solches umstrukturiertes MVZ sind denn auf dem Land angesiedelt?
Pätzold: Von diesen MVZ befinden sich rund ein Drittel in Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern. Ein weiteres Drittel befindet sich in Städten und Gemeinden mit weniger als 20.000 Einwohnern. Ein Problem in dieser Debatte ist die von der KZBV verwandte Definition von „ländlich“. Auch Regionen, in denen Bürgermeister und Landräte um (Zahn-)Ärzte ringen, werden noch als „städtisch“ bezeichnet. So gibt es z.B. in NRW nach der KZBV-Definition nur zwei ländliche Landkreise, in Baden-Württemberg acht! Das führt zu einer falschen Darstellung.
HCM: Was veranlasst Ärzte dazu, eine existierende Berufsausübungsgemeinschaft in ein MVZ umzustrukturieren?
Pätzold: Das liegt z.B. daran, dass die Möglichkeit, Juniorpartner in die Praxis aufzunehmen, juristisch erschwert wurde. Juniorpartner sind in den letzten Jahren zunehmend ins Fadenkreuz der Sozialgerichte und der Finanzämter geraten, verbunden mit Regress- und Haftungsgefahren für die Praxen. Eine Motivation ist auch, dass im Z-MVZ die Anstellungsmöglichkeiten nicht beschränkt sind. Das ist in Zeiten, in denen immer mehr Junge geregelte Arbeitszeiten und Teilzeitmöglichkeiten präferieren, zum Erhalt der Versorgungsstruktur wichtig. Wer es ernst meint mit der Versorgungssicherheit, kann daher nicht zugleich Z-MVZs verteufeln. Es ist zu offensichtlich, dass hinter dieser Kritik allzu oft Eigeninteressen stecken, die hinter angeblichen berufspolitischen Aspekten versteckt werden.
HCM: Gibt es also bald nur noch große Praxisstrukturen?
Pätzold: Nein. Der überwiegende Teil aller Praxen sind Einzelpraxen. Die Zahlen dazu sind weitgehend stabil. In der aktuellen Debatte gewinnt man den Eindruck, dass die gesamte Versorgungslandschaft von MVZs überflutet würde. Das ist Unsinn, ebenso, dass das Ende des freien Berufes bevorstünde. In der Humanmedizin sind mehr als 13 Jahre nach Einführung der MVZ nur knapp sieben Prozent der Behandler in MVZ angestellt. Es wird natürlich eine Zunahme an Z-MVZ geben. Ursächlich sind dafür zwei Faktoren: Erstens wird der Einsatz modernster Medizintechnik immer kapitalintensiver. Nicht jeder Zahnarzt kann und möchte dazu aber hohe Bankkredite aufnehmen. Zweitens wächst die Zahl der Zahnärztinnen. Diese wünschen sich Anstellungs- und Teilzeitmöglichkeiten. Gleichwohl wird das Z-MVZ auch künftig nicht das vorherrschende Modell sein. Es wird eine Vielfalt, ein Nebeneinander der verschiedenen Praxisstrukturen, geben.
HCM: Und welche Gefahr geht davon aus, dass mit dem § 95 des GKV-VSG nichtzahnärztliche Fremdinvestoren in den MVZ-Markt einsteigen können?
Pätzold: Hier müssen wir zwei Aspekte auseinanderhalten: die Diskussion um das MVZ als Versorgungsstruktur und die Diskussion um Investoren im ambulanten Versorgungsmarkt. Dies wird fälschlicherweise gerne miteinander vermengt.
Und wenn wir über Investoren reden, dann ist auch hier zu differenzieren. Investor ist nicht gleich Investor. Hier gibt es traditionelle Krankenhausträger und Familienunternehmen, die sich langfristig in der Zahnmedizin engagieren wollen. Und es gibt die klassischen Finanzinvestoren. Gerade auf dem Land können und werden durch überörtliche Klinik-MVZ-Modelle Praxisstrukturen aufrechterhalten, für die ansonsten kein Nachfolger mehr gefunden würde. Die Beteiligung eines Fremdinvestors muss also nichts Schlimmes sein. Es ist eine Möglichkeit, Praxiswachstum zu finanzieren. Das kann man über Fremdkapital mittels kreditgebender Banken gestalten oder über Eigenkapital, das ein Investor einbringt. Das Kapital des Investors kann für den Zahnarzt wesentlich risikoärmer sein als das Kapital einer Bank. Zunächst geht also von dem Investor keine originäre Gefahr aus. Wie immer muss man seriöse von unseriösen Anbietern trennen. Darauf sollte man sich konzentrieren, statt mit Pauschalurteilen, die meist nur von der Unkenntnis wirtschaftlicher Zusammenhänge zeugen, gegen Investoren im Gesundheitswesen zu Felde zu ziehen.
HCM: Die KZBV fordert, den Einfluss der Finanzinvestoren einzudämmen. Sie könnten Objekte nach einer gewissen Zeit mit Gewinn verkaufen. Ist diese Sorge berechtigt?
Pätzold: Unser Gesundheitswesen ist sehr komplex. Jeder Erwerber müsste nicht nur die MVZ-Gruppe, sondern auch das dahinterstehende Krankenhaus erwerben, das in komplizierte sozial- und planungsrechtliche Geflechte eingebettet ist. Kaum ein Markt ist regulierter. All dies verhindert einen „freien Handel“ mit Praxen. Und eines ist auch klar: Wenn ein Objekt mit Gewinn verkauft werden soll, muss es zuvor solide geführt werden. Dazu gehören auch zufriedene Patienten. Man muss also Renditeerwartung und seriöse Zahnmedizin nicht voneinander trennen. Das sollte übrigens auch kein niedergelassener Zahnarzt tun.
HCM: Wer darf überhaupt ein MVZ gründen und betreiben?
Pätzold: Ein Z-MVZ kann von Vertragszahnärzten, Krankenhäusern, Kommunen und aktuell noch von nichtärztlichen Dialyseanbietern gegründet werden.
HCM: Welche Voraussetzungen sind dabei zu beachten?
Pätzold: Nach der herrschenden Meinung bei den Zulassungsausschüssen sind mindestens zwei im MVZ tätige Ärzte nötig. Die Fachgruppen sind jedoch beliebig.
HCM: Und welche Rechtsformen sind dabei zulässig?
Pätzold: MVZ können als Gesellschaft bürgerlichen Rechts, als Partnerschaftsgesellschaft, als GmbH oder auch als Genossenschaft gegründet werden. Insbesondere Kommunen können auch öffentlich-rechtliche Rechtsformen nutzen.
HCM: Welche Risiken lauern auf die potenziellen Gründer?
Pätzold: Keine allzu großen, sofern die Beratung die wirtschaftlichen, steuerlichen, juristischen und strategischen Rahmenbedingungen berücksichtigt. Hier ist es wichtig, die richtigen Berater zusammenzubringen, die dann Hand in Hand zusammenarbeiten.
HCM: Ihr Fazit. Sind Z-MVZ eher Fluch oder Segen?
Pätzold: Nichts davon. Sie sind ein Instrument vertrags(zahn)ärztlicher Versorgung mit gewissen Unterschieden zur Einzelpraxis oder zur Berufsausübungsgemeinschaft. Ideal wäre es, wenn KZBV und BZÄK die unterschiedlichen Bedürfnisse der Zahnärzte akzeptierten und mit allen Beteiligten einen partnerschaftlichen Weg zur Aufrechterhaltung und Verbesserung der Versorgung gingen.
Jens Pätzold
- Rechtsanwalt Jens Pätzold ist Fachanwalt für Medizinrecht und Gründungspartner von Lyck+Pätzold. healthcare.recht. Er betreut nationale und internationale Healthcare-Unternehmen, hier v.a. in den Bereichen Kooperation, Compliancemanagement und Medizinprodukterecht. Die niedergelassenen (Zahn-)Arztpraxen berät er bei der strategischen und rechtlichen Optimierung.
- Kontakt: kanzlei@medizinanwaelte.de