Die Klinik für Allgemein-, Visceral- und Thoraxchirurgie am Klinikum Osnabrück hat für 15 Wochen den Einsatz von Minipausen im OP evaluiert. Das Ergebnis fällt positiv aus und liefert die Grundlage für eine langfristige Implementierung sowie die Ausweitung auf andere Abteilungen.
Auf ein Zeichen der OP-Leitung tritt das OP-Team zu einem verabredeten Zeitpunkt für zwei Minuten vom Tisch. Was folgt ist eine Form der physischen Intervention, z.B. Dehnübungen für belastete Muskelgruppen, oder eine kognitive Stressentlastung durch Entspannungsübungen. Sind 120 Sekunden abgelaufen, treten alle zurück an den OP-Tisch und setzen die Operation fort. Für die beteiligten Fachkräfte hat eine solche Unterbrechung gleich mehrere Vorteile. Dies zeigt eine aktuelle Feldstudie des Klinikums Osnabrück, die durch die Arbeits- und Organisationspsychologie der Universität Osnabrück und Dr. Tammo Straatmann, apl. Prof. Dr. Kai-Christoph Hamborg sowie Prof. Dr. Karsten Müller wissenschaftlich begleitet wurde. Zusätzliche Unterstützung erhielt das Projekt durch die BKK Mobil Oil aus Hamburg.
Ziel der Studie, die zwischen Juli und Oktober 2020 durchgeführt wurde, war es, Kurz- und Langzeiteffekte von Minipausen im OP auf das körperliche Schmerzempfinden, die Konzentrationsfähigkeit, Ermüdung, empfundene Zusammenarbeit im Team, emotionale Erschöpfung, Stress, empfundene Arbeitsbeanspruchung und organisationale Einstellungen der Chirurginnen und Chirurgen sowie der OP-Pflege zu messen. Dafür hat die Studienleitung um Dr. Stephanie Nobis, Tatjana Dellos und Alexandra Höger unter der Federführung vom Chefarzt der Klinik für Allgemein-, Visceral- und Thoraxchirurgie am Klinikum Osnabrück, PD Dr. Jürgen Tepel, einen Versuchsplan mit zwei Erhebungsphasen und einer Implementierungsphase konzipiert.
Zwei Arten von Minipausen stehen zur Auswahl
In der ersten Erhebungsphase wurden die Operationen dem bisherigen Standard entsprechend ohne Minipausen durchgeführt. In der zweiten Erhebungsphase wurden die Minipausen ab einer OP-Dauer von zwei Stunden standardmäßig alle 28 Minuten für zwei Minuten vorgenommen. Welche Art von Minipause – physische Intervention oder kognitive Stressentlastung – wurde im Vorfeld per Zufall entschieden (Randomisierung). Lässt es der Operationsabschnitt nicht zu, wird die Minipause auf den nächstmöglichen Zeitpunkt verschoben, das 28-Minuten-Muster anschließend fortgeführt oder die Minipause unterbrochen.
Am Forschungsprojekt teilnehmen konnten chirurgische und pflegerische Fachkräfte, die im Studienzeitraum mindestens einmal bei einer Operation eingesetzt waren. Daraus ergab sich eine Gesamtstichprobe von 26 Fachkräften und 14 Operationen in der ersten und 31 Operationen in der zweiten Erhebungsphase.
„Eine Studie der MHH Hannover hat die Effekte eines standardisierten intraoperativen Pausenschemas bei laparoskopischen Operationen in der Pädiatrie bereits untersucht“, erklärt Nobis im Gespräch mit HCM. Bei den Chirurginnen und Chirurgen haben sich dabei signifikant geringere Cortisolspiegel, Herzfrequenzvariabilitäten und Ermüdungserscheinungen gezeigt. Ebenso habe die Studie schließen lassen, dass die Minipausen einen positiven Effekt auf z.B. Schmerzen im Nacken haben und außerdem eine signifikant bessere postoperative Konzentrationsleistung ermöglichen. „Ergänzend dazu sollte unsere Untersuchung Erkenntnisse zur Wirksamkeit zwei verschiedener Arten von Minipausen sowie der langfristigen Effekte auf Beanspruchungsreaktionen und zum Commitment des Personals zum Unternehmen liefern“, erläutert die Leiterin des Bereichs Personalentwicklung & Betriebliches Gesundheitsmanagement (PE & BGM) des Klinikums Osnabrück.
Implementierungswunsch gegeben
Die ersten Studienergebnisse zeigen: Die vor der Studiendurchführung festgestellten Erwartungen an die Minipausen konnten sowohl bei den Pflegekräften als auch beim chirur-gischen Personal erfüllt werden. Signifikante Verbesserungen konnten beim Schmerzempfinden der Arme, des Nackens und der Schultern konstatiert werden. Allerdings konnte die Untersuchung nicht zeigen, dass sich z.B. die Konzentrationsfähigkeiten durch die Minipausen verbessert hat. Vor allem die positive Resonanz der Mitarbeitenden auf die Frage zum Wunsch der langfristigen Implementierung ist dagegen hervorzuheben. Diesbezüglich lagen die die Werte professionsübergreifend im Zustimmungsbereich. Und das obwohl das Prinzip der Minipausen dem chirurgischen Selbstbild widerspricht, wie Tepel gegenüber HCM gesteht: „Wir Chirurgen wollen auch ohne Pausen konstant leistungsfähig sein, aber nach mehreren Stunden OP stoßen auch wir an unsere Grenzen.“ Dass die fixierte Haltung kombiniert mit höchster Konzentration den Operierenden dem Körper einiges abverlangt, spürt auch das OP-Pflegeteam meist erst am Folgetag, z.B. in Form von Schmerzen an der Wirbelsäule oder im Nacken, wie Sophie Tepe, Operationstechnische Assistentin (OTA), und Wolfgang Göcke, Leiter der OP-Pflege, gegenüber HCM berichten. Für den BGM-Experten Sebastian Brandt eine logische Konsequenz der „ungünstigen Haltung und eingeschränkten Bewegungsmuster“ während einer Operation. Brandt hat mit seinem Team von centrumed nach einer Hospitation im Klinik-OP die Übungsets für die Studie entwickelt – basierend auf den durch Beobachtung und Befragung ermittelten Beschwerdeschwerpunkten. Ziel der Übungen sei nicht der vollständige Ausgleich der entstanden Belastungen. Es gehe vielmehr um eine kurzfristige Entlastung der beanspruchten Muskeln und Strukturen. „Dadurch kann nebenbei die eigene Arbeitsergonomie gestärkt und eine Sensibilisierung für gesunde Haltungs- und Bewegungsmuster erreicht werden“, erklärt Brandt.
Die naheliegende Befürchtung, durch die Pausen von der Operation abgelenkt zu werden, sehen weder Göcke und Tepe noch Tepel als bestätigt. Im Gegenteil: „Wenn man als Operateur den Widerstand gegen das Pausemachen überwunden, zwei Schritte Abstand vom Situs genommen hat und sich bewusst bewegt, verspürt man einen enorm positiven Effekt im eigenen Körper, der sich u.a. in einer erfrischten Konzentrationsfähigkeit äußert“, berichtet der Chirurg von seinen Erfahrungen. „Die Übungen verleihen einen Motivationsboost, der dafür sorgt, dass alle hochkonzentriert an den OP-Tisch zurückkehren“, beschreibt OTA Tepe einen ebenfalls wahrgenommenen Effekt. „Zudem haben die Minipausen einen starken Team-Building-Charakter“, ergänzt Göcke aus seiner Erfahrung. „Die Time-outs auf Dauer durchzuhalten resultiert erfahrungsgemäß aus einer gewissen Verpflichtung gegenüber der Gruppe“, erklärt Brandt die Wahrnehmung des OP-Pflege-Leiters. In einer Gruppe falle die individuelle Entscheidung, etwas für die eigene Gesundheit zu tun, weg und werde durch eine einmalige für alle geltende Entscheidung ersetzt. Das macht es einfacher.
Besonders beliebt am Klinikum Osnabrück sind die körperlichen Übungen, da diese es ermöglichen, den Körper aus fixierten Haltungen wie Halbrotationen um die geöffneten Körperstellen zu befreien.
Nachhaltige Selbstachtsamkeit
Obwohl den Minipausen zu Beginn teilweise mit Lächeln und Skepsis begegnet wurde, erfahren sie nach Ablauf der Studienzeit eine überwiegend positive Ressonanz. So positiv, dass auch Teams anderer Klinikbereiche darüber nachdenken, die kurzen Time-outs in ihre Prozesse zu integrieren. Als Grund fällt dabei immer wieder der Begriff Selbstachtsamkeit. „Wir möchten unseren Job so lange wie möglich und gleichzeitig mit bester Qualität auführen. Dafür ist es zielführend, unvermeidbare Belastungen so zu gestalten, dass ein Verschleiß abgemildert wird“, bringt es Tepel auf den Punkt.
Neue Erkenntnisse und ein Update zu den „Extra Time-outs“ 2023 folgt in Kürze hier.