Drittes Digitalforum Gesundheit Berlin „Es braucht unruhige Störenfriede“

Beim Event der Gesundheitsstadt Berlin, das am 5. Mai 2023 rund 140 Teilnehmende in der Hauptstadt versammelte, wurde digital unterstütze Versorgung auch hinsichtlich der Rolle von Regionen und Kommunen beleuchtet. Ein Highlight: Die Auszeichnung neuer digitaler Versorgungsmodelle. Neustart Digitalisierung: Ungeduld auf dem Podium beim Digitalforum Berlin. Wie neue Versorgungsformen in der Realität aussehen könnten, wurde auf dem dritten Digitalforum Gesundheit erlebbar. Die Veranstalter der Gesundheitsstadt Berlin haben eine hochkarätige Auswahl all jener Akteure zusammengebracht, die es verstehen die Vision einer digitalen/hybriden Gesundheitsversorgung Realität werden zu lassen. Das Diskussions- und Co-Working-Event startete mit einer Reise: Dr. Alexander Schachinger, CEO beim Marktforschungsunternehmen EPatient Analystics, nahm die Teilnehmenden mit in die Erlebniswelten von Patientinnen und Patienten im europäischen Ausland im Umgang mit digitalen Gesundheitslösungen. Dabei identifizierte Schachinger für Deutschland drei Fehler und gleichzeitig drei Stellschrauben, die – richtig gedreht – neue Versorgungswege offenlegen können: Durch einen „regulativ-aggressiven“ Top-Down-Ansatz gelang es in Deutschland bisher nicht, die Menschen in der Digitalisierung im Gesundheitswesen wirklich mitzunehmen. Das fehlende Einbinden von regional verorteten, einflussnehmenden und digital affinen Leistungserbringern, wie es z.B. Dänemark vorgenommen hat, verhinderte in Deutschland das Aufkommen einer Bottom-up-Bewegung. Es wurde verpasst in die kompromisslose Face-to-Face-Kommunikation mit allen Beteiligten zu gehen, um ein transparentes, gemeinsames Vorgehen herzustellen. Angesichts der Herausforderungen, der sich die Gesundheitsversorgung gegenübersieht, fatal. Im Wettbewerb in Zeiten des Wandels Dabei ist die Digitalisierung eines der „drei“ D des Wandels, wie sie Dr. Daniel Dettling, Geschäftsführer der Gesundheitsstadt Berlin, Politikwissenschaftler und Zukunftsforscher, beschrieb. Neben Digitalisierung gehören dazu der demografische Wandel und Dekarbonisierung. Drei Dimensionen, die zum Handeln zwingen, die aber auch zum Wettbewerb um die besten Lösungen in der Veränderung anregen. Dieser fand auch im Vorfeld des Digitalforums Gesundheit in Berlin statt: Für den Award „Digitale Gesundheitsstädte und -regionen“ traten 14 Städte, Regionen, Netzwerke und Verbünde in den Ring, um von einer Jury bestehend aus elf Expertinnen und Experten der digitalen Versorgungstransformation zu den Siegerprojekten des erstmals ausgeschriebenen Awards zu gehören. Welche davon es aufs Treppchen geschafft haben, zeigt die Infobox Seite 27.„Deutschland wird den Wandel in den kommenden fünf Jahren intensiver spüren als die meisten anderen Länder, die hier weiter sind. Vor allem Kommunen und Regionen werden sich mit Versorgern stärker vernetzen und pass- und patientengenaue Lösungen entwickeln und anbieten. Entscheidend sind dabei transformative Kompetenz, Teilhabe und Transfer von der Forschung“, erklärt Dettling zur Relevanz der Siegerprojekte. Zu den Highlights des Events gehörte auch die Keynote von Prof. Dr. Heyo Kroemer, Vorstandsvorsitzender der Charité. Er beschrieb die Herausforderungen der Medizin im „Bermudadreieck der drei D“ und scheute sich nicht vor ehrlichen Worten: Der Generationenvertrag sei gekündigt, wenn angesichts der demografischen Entwicklung, die Leistungserbringer nicht mehr da sein werden – und ebenso wenig die Menschen, die für Gesundheitsleistungen bezahlen. „Hier hätte man vor zwanig Jahren gegensteuern müssen. Jetzt geht es darum, das Schlimmste zu verhindern, denn die konventionellen Finanzierungssysteme sind extrem unter Druck“, erklärte Kroemer. Ein Instrument der Wahl, das Gesundheitssystem „auf dem Niveau zu halten“ sei die Digitalisierung bzw. „digitale Gesundheitsansätze“. Die Vorhaben aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) verschriftlicht in der Digitalisierungsstrategie seinen dabei aus Kroemers Sicht unterstützenswert: „Ich kann nur hoffen, dass die Veränderungen nun endlich durchkommen.“ So könnte auch das Fazit der anschließenden Diskussionsrunde „Neustart Digitalisieurng“ lauten, zu der neben Dr. Johannes Danckert, Vorsitzender Geschäftsführung beim Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH, Dr. Markus Leyck Dieken, Geschäftsführer der gematik, Dr. Susanne Ozegowski, Abteilungsleiterin Digitalisierung und Innovation am BMG, Prof. Dr. Sylvia Thun, Direktorin für E-Health und Interoperabilität am Berlin Institut of Health (BIH), und Prof. Dr. Jochen A. Werner, Vorstandsvorsitzender am Universitätsklinikum Essen, aufs Podium gekommen waren. Ozegowski ließ die Teilnehmenden hoffnungsvoll in den Sommer blicken, als sie ankündigte, dass nach der Kabinettssitzung im Juni bzw. Juli nur noch Tage maximal Wochen bis zum Referentenentwurf folgen sollten. Neben dem Digitalgesetz ist auch ein Datennutzungsgesetz geplant – beide sollen gleichzeitig erscheinen –, damit die Datenschutz- und Datensicherheitsdiskussion in Deutschland nicht mehr in diesem Maße eine digitale Entwicklung beeinträchtigen können solle. Digitale (hybride) Versorgungsbeispiele Mit dem Award „Digitale Gesundheitsstädte und -regionen“ rücken (über-)regionale Versorgungsangebote und die Rolle von Kommunen in den Fokus. Alle Infos zu den Gewinnerprojekten und Statements der Menschen dahinter online: www.hcm-magazin.de/DiFG Erst kommunizieren, dann digitalisieren „Es braucht unruhige Störenfriede“, erklärte Leyck Dieken in der Runde: „Wir müssen endlich sagen, was wir gemeinsam wollen“, eine Einigkeit müsse rasch erzeugt werden. Dem pflichtete auch Werner bei, der sich zwar insgesamt „beruhigt“ zeigte, da er nach langer Zeit, „in der nichts passiert ist“, nun endlich Bewegung sieht. Allerdings äußerte sich Werner besorgt, ob der Gefahr, dass wir „Gesundheit hinten runterkippen lassen“. Er plädierte dafür, den Spirit derer, die in der digitalen Gesundheitsversorgung gut aufgestellt sind, dorthin mitzunehmen, wo die Transformation noch am Anfang steht. Dabei gab Werner zu bedenken: „Über Digitalisierung steht die große Überschrift Kommunikation.“ „Wir erklären viel zu schlecht, wofür Digitalisierung gut ist. Das Ganze ist ein riesiger Kulturwandel.“ Sein Wunsch: Eine Strategie, die auf mehr als ein Jahrzent angelegt ist und trotz Regierungswechseln weiterverfolgt wird. „Am Schluss geht es um die Patientinnen und Patienten, das Ziel dürfen wir nicht aus den Augen verlieren.“ Bei den Workshops am Nachmittag beschäftigten sich die Teilnehmenden in kleinen Gruppen unter der Leitung und mit dem Input von erfahrenenen Transformateuren und Transformateurinnen wie Nikolaus Huss, Geschäftsführer bei KovarHuss GmbH, Laura Wamprecht, Managing Director bei Flying Health GmbH, Dr. Mina Baumgarten, Ressortleitung Entwicklung Krankenversorgung und Qualität bei Vivantes, Nils Alwardt, Ressortleiter IT und Digitalisierung bei Vivantes, mit Fragen wie: Was können wir tun, um Smart Care in die Praxis uu bringen? Wie kommen digitale Gesundheitsstädte und -regionen in die Realität? Die Werkstattberichte im Anschluss fielen klar aus: Neues muss ausprobiert werden. Das Scheitern anderer sollte Mut machen statt abzuschrecken und es braucht Teams, Teilhabe, Transformation und Tempo. Die Diskussionen prägte ein neuer Begriff: Translation. Sie beschreibt in der Biologie den letzten Schritt der Proteinbiosynthese: Am Ende des Prozesses steht die erfolgreiche Synthese – also die Neuordnung und Vereinigung mehrer Bestandteile zu einer neuen, übergeordneten Einheit eines Proteins. Auf die Digitalisierung angewandt stellt Translation ein neues Level des digitalen Veränderungsprozesses dar, der weit über bisherige Unternehmungen hinausgeht, aber bereits in Piloten (siehe Infobox) sichtbar wird. Das Digitalforum Gesundheit will diese Themen weiter begleiten und in einer Neuauflage 2024 wieder auf die Bühne holen: „Es ist wichtig über den Nutzen zu sprechen und zu erklären, wie gut die neuen Entwicklungen sind, das ist unsere Chance auf nächste Schritte“, resümiert Dr. Iris Hauth, Vorstandsvorsitzende der Gesundheitsstadt Berlin. 2024 soll das Motto lauten: „Digitalisierung einfach machen!“ Kontakt zur Autorin Bianca Flachenecker HCM-Chefredakteurin, bianca.flachenecker@holzmann-medien.de

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