Changemanagement Erfolgsfaktor des Risikomanagements

Die Einführung eines Systems zur systematischen Erfassung und Kommunikation von Beinahe-Ereignissen (CIRS) in klinischen Behandlungsprozessen ist ein wichtiger Schritt in Richtung Fehlereindämmung. Eine Studie des CKM an der Universität Münster deckt jetzt auf, dass der Erfolg der Implementierung v.a. von den Mitarbeitern abhängt.Erfolgsfaktor des Risikomanagements Systemen zur systematischen Erfassung und Kommunikation von Beinahe-Ereignissen (CIRS) in klinischen Behandlungsprozessen wird eine nachhaltige Wirkung bei der Eindämmung medizinischer Fehlerphänomene zugeschrieben. Einerseits tragen diese Systeme dazu bei, die Mitarbeiter aller Berufsgruppen für Fehlerphänomene, Fehlerkonsequenzen und die eigene Rolle in Fehlervermeidungsprozessen zu sensibilisieren. Andererseits sind CIRS-Konzepte eine Informationsquelle für eine schrittweise fachliche Professionalisierung. Trotz dieser grundsätzlich positiv zu wertenden Philosophie des „Lernens aus Fehlern“ begegnen viele Mitarbeiter der Einführung von CIRS-Konzepten mit Skepsis: Sie stellen die fallspezifischen Lernmöglichkeiten in Frage, bezweifeln inwieweit die Anonymität auch wirklich gewahrt bleibt und fühlen sich in ihrer Tagesarbeit behindert. Aus dieser Konstellation ergeben sich folgende Forschungsfragen: Welche Hindernisse stehen einer wirksamen Einführung eines CIRS entgegen? Durch welche kommunikativen sowie organisatorischen Maßnahmen lassen sich diese Hindernisse überwinden?Methode In einem Krankenhaus der Regelversorgung (240 Betten; 12.700 stationäre Fälle) wurde CIRS schrittweise eingeführt: im Oktober 2010 zunächst in den Abteilungen Urologie, Anästhesie, Intensivmedizin und im Zentral-OP, Anfang 2011 in den Abteilungen Gynäkologie, Geburtshilfe, orthopädische Chirurgie, Traumatologie sowie der Allgemein- und Viszeralchirurgie und im Sommer 2012 in den beiden Fachbereichen der Inneren Medizin. Der Start in der Abteilung Urologie erfolgte im Zusammenhang mit der anstehenden Zertifizierung. Im Rahmen einer Kick-off-Veranstaltung mit externer Unterstützung durch einen Risikoberater wurden unmittelbar vor der CIRS-Einführung insgesamt 106 Mitarbeiter geschult und über die Funktion eines CIRS sowie die CIRS-Organisation informiert. Im direkten Kontakt mit den Mitarbeitern wurden zudem Hilfestellungen durch Mitglieder des CIRS-Teams sowohl im OP als auch in den Stationen angeboten. Im September 2010 und März 2012 wurden anlässlich der CIRS-Einführung Mitarbeiterbefragungen durchgeführt, mit den Zielen, das Wissen um CIRS, die Wahrnehmung von Beinahe-Zwischenfällen im Alltag, die Bereitschaft, Beinahe-Zwischenfälle zu melden und Veränderungen im Mitarbeiterverhalten und in der CIRS-Nutzung zu erfassen. Sechs Monate danach wurde zudem eine Nachbefragung durchgeführt mit dem Ziel, erkannte Probleme zu konkretisieren und Lösungswege zu erarbeiten. Ergebnisse und Diskussion Bei einer absoluten Zahl von 107 Rückläufern 2010 wurde eine Rücklaufquote von 65 Prozent erreicht, was einen guten Wert darstellt, welcher in der nachfolgenden Befragung 2012 gehalten werden konnte und sich bei der Nachbefragung auf 42 Prozent verringerte. Im Vergleich der Ergebnisse von 2010 und 2012 wird deutlich, dass sich das Wissen der Mitarbeiter zum CIRS stark verbessert hat. Sowohl das Wissen um Begrifflichkeiten wie CIRS und Beinahe-Zwischenfälle als auch die Kenntnis von Ansprechpartnern bei Beinahe-Zwischenfällen (CIRS-Team) wurde gesteigert. Dies lässt auf eine gute Kommunikation des Themas CIRS schließen, wozu die Kommunikationskanäle Intranet, Mitarbeiterversammlung, Mitarbeiterzeitung sowie persönliche Gespräche genutzt wurden. Schwächen sind bei der Meldung von Beinahe-Zwischenfällen über das Intranet festzustellen. Die Handhabung des Eingabe-Tools ist für knapp 30 Prozent der Mitarbeiter problematisch. Trend zur Fehlersensibilisierung Die gesteigerte Wahrnehmung von Beinahe-Zwischenfällen im Arbeitsalltag lässt darauf schließen, dass sich die Kenntnis über CIRS und die realistische Einschätzung von Beinahe-Zwischenfällen erheblich in Richtung Fehlersensibilisierung entwickelt haben (Abb. 1). Dies zeigt auch, dass die Zahl der Zwischenfälle nicht zugenommen hat, die Mitarbeiter dafür aber jetzt sensibler sind, wenn es um Fehlererkennung und -vermeidung geht. Betrachtet man die Organisationskultur des Krankenhauses, wird deutlich, dass das Vertrauen in das Kollegengespräch als Lösungsinstrument und Lernquelle an Bedeutung gewinnt. Dadurch, dass Zwischenfälle mit den Kollegen besprochen werden, hat sich eine Transparenzkultur etabliert. Weiterhin wird deutlich, dass sich die Eigenständigkeit sowie „quick Response“ der Mitarbeiter unter Einbezug des Vorgesetzten organisationskulturell verankert hat. Dies lässt auf einen Rückgang der Angstkultur schließen, wodurch die Hierarchieangst der Mitarbeiter abnimmt. Der hohe Stellenwert der Eigeninitiative wird außerdem dadurch begründet, dass Zwischenfälle lieber mit den Kollegen besprochen werden, als sie dem CIRS-Team zu überlassen (Abb. 2). Die Freitextangaben der Mitarbeiter machen jedoch deutlich, dass dies durch teilweise fehlendes Vertrauen ins CIRS-Team begründet sein kann. Vorwürfe wie die Bevorzugung von Mitarbeitern/Abteilungen bei der Bearbeitung von CIRS-Eingaben oder die missbräuchliche Nutzung durch Mitarbeiter unterstreichen dies. Außerdem beklagen die Mitarbeiter die Spanne zwischen der Eingabe eines Beinahe-Zwischenfalls und der Reaktion durch das CIRS-Team. Gestärkt wird dies dadurch, dass das CIRS-Team mit seinen Aktionen zur Fehlervermeidungsorganisation zwar überwiegend erfolgreich, die Erfolgsquote mit 57 Prozent aber noch nicht überzeugend (signifikant) ist. Der positive Ergebnis wird dadurch gestärkt, dass 63 Prozent der Mitarbeiter mit der Arbeit des CIRS-Teams in Sachen Veränderungen zufrieden sind. Jedoch lässt die Unzufriedenheitsquote von 37 Prozent darauf schließen, dass ein deutliches Verbesserungspotenzial besteht. Bestätigt wird dies durch die Bewertung der Informationen und Rückmeldungen durch das CIRS-Team (67 Prozent ausreichend, 33 Prozent verbesserungswürdig). Das Prinzip des anonymen Meldesystems stößt auf eine hohe Mitarbeiterakzeptanz und sollte unbedingt beibehalten werden. Die größten Probleme, die sich aus den Befragungsergebnissen ergeben, beziehen sich auf die Eingabemöglichkeit eines Beinahe-Zwischenfalls im Intranet und auf den Zeitmangel. Speziell der Zeitmangel erschwert die CIRS-Eingabe trotz weniger Pflichtfelder. Zeitmangel ursächlich für Fehler Ein weiterer Grund könnte die fehlende Ruhe an den Computer-Arbeitsplätzen sein. Speziell in den Stationsstützpunkten stellt dies ein Problem dar. Eine anonyme Eingabe ist hier fast unmöglich. Der Faktor Zeitmangel wurde bereits in einer CKM-Studie zur Führung und Motivation aus dem Jahr 2000 untersucht. Schon in dieser Studie zeigt sich, dass der Zeitmangel im Pflegebereich Ursache für jede Art von Fehlerphänomen ist. Die Ursache dafür ist, dass die Pflegekraft im Zeitbudget keine oder nur sehr wenig Zeit für qualitätsfördernde Maßnahmen hat. Es wird jedoch auch deutlich, dass das Problem Zeitmangel durch eine bessere Arbeitsorganisation entkräftet werden kann, da viele Arbeiten für die Kernaufgabe überflüssig sind und somit eine Verschwendung darstellen. Diese Tätigkeiten müssen identifiziert und vermieden werden. Folge wäre mehr Zeit für die Eingabe von Beinahe-Zwischenfällen und die Chance, einen Beitrag zur Verbesserung des Risiko- und Qualitätsmanagements und somit für die Sicherheit der Patienten zu leisten. Der Zeitmangel sowie die scheinbar umständliche Nutzung des Eingabe-Tools für die Beinahe-Zwischenfälle wurden als Anlass genommen, eine kurze Nachbefragung der Mitarbeiter durchzuführen. Damit sollte bestätigt werden, dass das CIRS an sich von den Mitarbeitern als erfolgversprechendes Instrument zur Steigerung der Patientensicherheit gesehen wird, die Probleme aber eher in der konkreten Umsetzung und den organisatorischen Rahmenbedingungen des Krankenhauses zu suchen sind. Dieser Sachverhalt wird auch dadurch bestätigt, dass sich bei nur 16 Prozent der Mitarbeiter die Erwartungen an das CIRS erfüllt haben. In die vorliegende Nachbefragung ging die Meinung von 105 Mitarbeitern ein; das entspricht 42 Prozent der von der CIRS-Einführung betroffenen Mitarbeiter. Die Ergebnisse zeigen, dass die Zahl der CIRS-Befürworter mit 67 Prozent deutlich über der Zahl der Skeptiker liegt (33 Prozent). Dadurch, dass berufsgruppenspezifisch ausgewertet wurde, zeigt sich, dass der Großteil der Skeptiker bei den ärztlichen Mitarbeitern anzusiedeln ist. Fragt man konkret nach der Umsetzung des CIRS im betroffenen Krankenhaus, ergibt sich, dass sich 54 Prozent der Mitarbeiter durch das CIRS eher belastet als unterstützt fühlen. Auch hier geht die Tendenz stark Richtung ärztlicher Dienst bei der negativen Meinungsäußerung. Unentschlossene und skeptische Mitarbeiter müssen im Rahmen des Changemanagements mit besonderen Kommunikationsanstrengungen überzeugt werden. Hierzu sollten sogenannte Change Agents identifiziert werden, die sich mit dem Veränderungsprozess identifizieren und nicht zum CIRS-Team gehören. Diese Personen können Einfluss auf Skeptiker nehmen und diese vom Wert des CIRS überzeugen. Die Analyse der Befragungsergebnisse zeigt, dass sich etwa zehn Prozent der Befragten als Change Agents eignen. Auffällig ist, dass diese über die Berufsgruppen gleich verteilt sind, was ein Vorteil bei der Überzeugungsarbeit darstellen kann. In der Nachbefragung werden die Ergebnisse aus den ersten beiden Befragungen bekräftigt. Der Zeitmangel ist das größte Problem bei der CIRS-Meldung. Mangelnde Bereitschaft spielt eher eine untergeordnete Rolle. Die bestehende CIRS-Organisation ist verbesserungsbedürftig und animiert zur Selbsthilfe. Den Mitarbeitern wurden Freitextfelder zur Verfügung gestellt, um zusätzliche Aspekte zu äußern, die nicht durch die geschlossenen Fragen abgefragt wurden. Auffällig ist, dass die Intention von CIRS, Aufmerksamkeit zu schaffen und Fehler zu vermeiden, von den Mitarbeitern erkannt wird. Zeitgleich werden die Defizite, die bei der CIRS-Umsetzung herrschen bzw. die erfolgreiche CIRS-Umsetzung hemmen, deutlich sichtbar. Zeitmangel, Personalmangel und Überforderung sind ein klares Indiz dafür, dass den Mitarbeitern organisationstechnisch die Möglichkeit fehlt, CIRS-Meldungen zu machen, auch wenn die Wachsamkeit durch CIRS gesteigert wurde. Größtes Problem ist hier sicherlich der Zeitmangel. Die Ishikawa-Technik Um die genauen Ursachen dafür zu identifizieren, warum sich jeder zweite Mitarbeiter durch das CIRS eher belastet als unterstützt fühlt, wurden alle Befragungsergebnisse in einem Ursache-Wirkungs- Diagramm zusammengestellt (Abb. 3). Dadurch wird deutlich, in welchen Bereichen Probleme entstehen, die den Erfolg von CIRS hemmen. Die Ursachen lassen sich in die Bereiche Mensch, Milieu, Methode und Messung clustern. Es zeigt sich, dass die quantitativ meisten Probleme im Bereich der Methode, worunter auch die CIRS-Organisation fällt, entstehen. Der Zeitmangel wird im Bereich Milieu erfasst und lässt sich auf eine mangelhafte Arbeitsorganisation zurückführen. Mit Hilfe der Ishikawa-Technik wird das Kernproblem des Changemanagement-Prozesses transparent gemacht. Mit der Ursachen-Wirkungs-Analyse lassen sich Maßnahmen entwickeln und begründen, die für eine Verbesserung des CIRS effizient sein können. Im Bereich Mensch sollte das Changemanagement zum Einsatz kommen. Die Skeptiker müssen identifiziert werden und mit der Hilfe von Change Agents vom Erfolg des CIRS überzeugt werden. Hierbei ist zu beachten, dass nicht alle Mitarbeiter zu überzeugen sind, es gibt immer Menschen, die sich mit Veränderungen nicht identifizieren können (die „Unbeweglichen“). Außerdem ist auf soziale Netzwerke unter den Mitarbeitern zu achten. Sind Change Agent und Skeptiker nicht in einem Netzwerk, sind die Erfolgschancen gering. Bei der Meldung von Beinahe-Zwischenfällen muss sichergestellt sein, dass die Eingabe von Zwischenfällen einfach gestaltet ist und die Anonymität bei der Eingabe gewährleistet ist. Das Milieu bezieht sich im Wesentlichen auf die Arbeitsorganisation. Hier kommt es darauf an, flankierend zur Einführung eines CIRS die Arbeitsinformations- und Entscheidungsprozesse und damit das komplette Zeitbudget einer Person so zu strukturieren, dass ausreichend Zeit zur Verfügung steht, um qualitätsfördernde Maßnahmen zu realisieren (Qualitätszirkel) und nicht wertschöpfende Tätigkeiten aus dem Arbeitsspektrum einer Person zu eliminieren (Verschwendungsmanagement). Einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren bei der Entwicklung und Umsetzung einer CIRS-Organisation ist eine zielgerichtete Sachorientierung und zeitnahe Kommunikation. Dabei kommt es darauf an, den Mitarbeitern zu signalisieren, dass ihre Beobachtungen und ihr Engagement ernst genommen werden, indem Maßnahmen zur Fehlervermeidung bzw. zur Organisationsverbesserung zeitnah zur Umsetzung angestoßen werden. Wichtig ist auch, dem Mitarbeiter zu erklären, dass sich die verschiedenen Vorschläge im Hinblick auf Umsetzungsqualität, Qualitätsverbesserungswirkungen und Kosteneffekten unterscheiden und deshalb auch unterschiedlich priorisiert werden. Fazit Der kritische Erfolgsfaktor bei der Einführung eines CIRS als Instrument zur Risikominimierung und damit zur Erhöhung der Patienten- und Mitarbeitersicherheit ist die Begleitung durch ein effektives Changemanagement. CIRS verursacht einen Mehraufwand für die Mitarbeiter. Dies ist besonders in Zeiten des Personal- und Fachkräftemangels problematisch. Deshalb ist es dringend erforderlich, den Nutzen des CIRS ausreichend an die Mitarbeiter zu kommunizieren und die Fehlermeldungen der Mitarbeiter zeitnah und transparent zu nutzen, um so Veränderungsprozesse anzustoßen.

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